Das oft unterschätzte Problem des Spritzens an Urinalen gehört zu den unangenehmsten Herausforderungen in öffentlichen und nicht-privaten Sanitäranlagen weltweit. Seit mehr als einem Jahrhundert hat sich das grundlegende Design von Urinalen kaum verändert. Trotz ihrer allgegenwärtigen Präsenz kämpfen Betreiber von öffentlichen Toiletten immer noch mit hygienischen Problemen, die durch feinste Urintropfen verursacht werden, welche beim Urinieren auf den Boden und umliegende Flächen spritzen. Diese Tropfen sind nicht nur abstoßend zu sehen, sondern fördern auch die Ausbreitung unerwünschter Gerüche und bakterieller Kontaminationen, die das Nutzererlebnis erheblich beeinträchtigen. Zudem erfordert die Reinigung diese unliebsamen Hinterlassenschaften einen enormen Verbrauch an Reinigungsmitteln, Wasser und Arbeitszeit, der Kosten sowohl ökologischer als auch ökonomischer Natur verursacht.
Eine neue Forschungsarbeit unter der Leitung von Dr. Zhao Pan von der Universität Waterloo (Kanada) hat das bekannte Problem mit einem frischen wissenschaftlichen Blickwinkel betrachtet. Anstatt auf oberflächliche Lösungen wie absorbierende Matten oder optische Zielmarkierungen zu setzen, widmeten sich die Experten der grundlegenden Ursache: dem Winkel, in dem der Urinstrahl auf die Oberfläche des Urinals trifft. Durch akribische mathematische Modellierung und präzise Experimente gelang es ihnen, den sogenannten kritischen Winkel von etwa 30 Grad zu identifizieren – ein Winkel unterhalb dessen der Urinstrahl nahezu ohne Rückprall oder Spritzer abläuft. Diese Entdeckung hat weitreichende Folgen für das Design künftiger Urinale.
Wenn der Strahl flach mit weniger als 30 Grad auf die Oberfläche trifft, wird das Spritzverhalten drastisch reduziert – genauer gesagt um etwa 95 Prozent im Vergleich zu einem senkrechten Aufprall. Interessanterweise zeigt auch die Natur dieses Prinzip. Hunde beispielsweise urinieren instinktiv mit einem flachen Winkel an vertikale Oberflächen, was sie vor unangenehmem Eigenbespritzung schützt. Die Wissenschaft machte sich diese Beobachtung zunutze und entwickelte zwei innovative Urinaldesigns, die dieses physikalische Prinzip umsetzen: Cornucopia und Nautilus. Beide neuen Designs zeichnen sich durch eine speziell geformte Innenseite aus, deren Geometrie den Urinfluss bei verschiedenen Nutzerhöhen so lenkt, dass der Aufprallwinkel des Strahls stets unterhalb des kritischen Winkels bleibt.
Dabei berücksichtigen die Designer unterschiedliche Benutzersituationen, von Kindern über Erwachsene bis hin zu Personen im Rollstuhl, was die Zugänglichkeit und den Komfort deutlich verbessert. Besonders das Nautilus-Urinal überzeugt durch sein niedriges Profil und vielfältige Anpassungsmöglichkeiten, wodurch es sich hervorragend für barrierefreie Sanitäreinrichtungen eignet. Um ihre Konzepte zu validieren, bauten die Forscher Prototypen und setzten diese in einem eigens entwickelten Testverfahren ein, das menschliches Urinieren mit variierenden Durchflussraten und Nutzerpositionen simuliert. Im Vergleich zu klassischen Urinalen, darunter das historische Modell aus Marcel Duchamps berühmtem Kunstwerk „La Fontaine“ und moderne kommerzielle Urinale, zeigten Cornucopia und Nautilus dramatisch verringerte Spritzmuster. Die modernen Urinale produzierten bis zu einem Meter weit sichtbare Spritzer, während die neuen Entwürfe nahezu keine sichtbaren Spritzer verursachten.
Messungen ergaben eine Verringerung der Spritzmenge um bis zu 95 Prozent unter anspruchsvollen Bedingungen. Neben der verbesserten Hygiene bietet die Vermeidung von Spritzern durch die physikalisch optimierten Designs weitere Vorteile. Die eingesparte Reinigungsarbeit schlägt sich unmittelbar in Kosteneinsparungen nieder, wie am Beispiel des Torontoer U-Bahn-Systems deutlich wird, das jährlich über 122.000 kanadische Dollar allein für Reinigungskosten je Badezimmer ausgibt. Weniger Spritzwasser verringert außerdem den Verbrauch von Reinigungsmitteln und vor allem von Wasser – ein entscheidender Aspekt angesichts zunehmender Wasserknappheit in vielen städtischen Regionen rund um den Globus.
Schätzungen zufolge existieren in den USA etwa 56 Millionen Urinale in nicht-privaten Einrichtungen. Das bedeutet, dass täglich etwa 350.000 Liter Urin unkontrolliert auf Böden und Wände spritzen. Durch die Einführung der neuen Urinaldesigns könnte diese Menge auf nahezu null reduziert werden, wodurch etwa eine Million Liter Urin täglich von den Bodenflächen ferngehalten würden. Bei einem angenommenen Faktor von zehn Mal so viel Wasser zur Reinigung könnten rund zehn Millionen Liter Wasser täglich eingespart werden – eine beeindruckende Zahl für den Umweltschutz.
Die technische Umsetzung der neuen Designs ist bemerkenswert einfach. Statt teurer neuer Materialien oder komplexer Technologien benötigt es lediglich eine Neugestaltung der Innenflächengeometrie, die mit herkömmlichen Porzellantechniken gefertigt werden kann. Das vereinfacht die Einführung und erlaubt eine schnelle Integration in bestehende Produktionsprozesse von Sanitäranlagenherstellern. Der geringe Aufwand verdeutlicht zugleich, dass nachhaltige Innovationen nicht immer durch hochkomplexe Technologie entstehen müssen, sondern häufig durch intelligente Anwendung physikalischer Grundprinzipien. Die Forscher betonen dabei, dass ihre Prototypen mit einem speziellen beschichteten Schaumstoff gefertigt wurden, der sogar eine ungünstigere Oberflächenbenetzbarkeit als Porzellan bietet.
Daraus lässt sich folgern, dass die tatsächliche Wirksamkeit der neuen Urinalgeometrie im Handel mit klassischen keramischen Materialien sogar noch besser sein dürfte. Dennoch sind weitere Studien und Feldversuche notwendig, um die Langzeitpraktikabilität und die Akzeptanz bei Nutzern in realen Umgebungen zu überprüfen. Ein mögliches Vorurteil könnte darin bestehen, dass der Fokus allein auf physikalischer Splash-Reduktion die Reinigung nicht komplett obsolet macht. Doch allein die Verringerung der direkten Spritzer auf umliegende Flächen entlastet Reinigungspersonal deutlich und reduziert Bakterienherde und schlechte Gerüche signifikant. Darüber hinaus resultiert die barrierefreie Bauweise der neuen Urinale in einer höheren Benutzerfreundlichkeit, von der breite Bevölkerungsgruppen profitieren.
Die Forschung unter der Leitung von Dr. Zhao Pan wurde im Fachjournal PNAS Nexus veröffentlicht und stellt damit einen bemerkenswerten Durchbruch im großen Feld der Sanitärtechnik dar. Die Verknüpfung von theoretischer Modellierung, experimenteller Validierung und praktischer Umsetzung in Form von Prototypen ist ein glänzendes Beispiel für angewandte Ingenieurwissenschaften, die alltägliche Probleme lösen und gleichzeitig gesellschaftlich relevante Herausforderungen wie Hygiene und Umweltschutz adressieren. Diese Entwicklung zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie scheinbar banale Herausforderungen mit Hilfe fundierter wissenschaftlicher Methoden nachhaltig gelöst werden können. Wer hätte gedacht, dass die Physik hinter einem einfachen Urinal einen so großen Einfluss auf unsere Umwelt und öffentliche Gesundheit haben kann? Der gezielte Einsatz von Differentialgleichungen und Fluiddynamik eröffnet neue Wege in der Gestaltung öffentlicher Infrastruktur und macht deutlich, dass technischer Fortschritt oft in den Details steckt.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Kombination aus verbesserter Hygiene, barrierefreiem Design und Ressourcenschonung das Potenzial besitzt, die sanitären Anlagen der Zukunft grundlegend zu revolutionieren. Die Verbreitung der neuen Urinalmodelle Cornucopia und Nautilus könnte nicht nur die Sauberkeit und das Nutzererlebnis in öffentlichen Toiletten maßgeblich verbessern, sondern auch einen spürbaren Beitrag zu globalen Nachhaltigkeitszielen leisten. Es bleibt zu hoffen, dass Hersteller und Betreiber diese Innovation schnell aufgreifen, damit unser Alltag vom physikalisch optimierten Urinalspritzschutz profitieren kann.