Die wissenschaftliche Gemeinschaft durchläuft einen bedeutsamen Wandel hinsichtlich Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Ein Meilenstein dieser Entwicklung ist die jüngste Ankündigung des renommierten Wissenschaftsjournals Nature, das transparente Peer-Review auf alle künftig veröffentlichten Forschungsarbeiten auszuweiten. Diese Entscheidung folgt erfolgreichen Pilotprojekten und zahlreichen positiven Resonanzen aus der Wissenschaftswelt. Sie verspricht, die bisher oft als „Black Box“ verschriebene Begutachtung wissenschaftlicher Arbeiten zu öffnen und damit das Verständnis für die Entstehung von Forschungsergebnissen zu fördern. Das Peer-Review-Verfahren gilt seit Jahrzehnten als Herzstück der Qualitätssicherung in der Wissenschaft.
Es besteht in einem kritischen Austausch zwischen Forschenden und fachkundigen Gutachtern, die die Originalität, Richtigkeit und Relevanz der Untersuchung bewerten. Bislang waren die Inhalte dieses Prozesses meist vertraulich, sodass nur die final veröffentlichte Arbeit der Öffentlichkeit zugänglich war. Dies führte jedoch dazu, dass viele wichtige Hintergründe, Diskussionen und Verbesserungen für Außenstehende unsichtbar blieben. Nature hatte bereits im Jahr 2020 Autoren die Möglichkeit angeboten, freiwillig die Begutachtungsberichte und Antworten der Autoren auf die Gutachterkommentare zu veröffentlichen. Diese sogenannte transparente Peer-Review wurde bei der Schwesterzeitschrift Nature Communications bereits seit 2016 praktiziert.
Die automatische Veröffentlichung der Peer-Review-Dateien für alle neuen Forschungsartikel ist nun ein konsequenter Schritt, um den wissenschaftlichen Prozess noch offener zu gestalten. Die Peer-Review-Dateien enthalten die Berichte der Gutachter sowie die Rückmeldungen der Autoren. Die Identität der Gutachter wird weiterhin geschützt, es sei denn, diese entscheiden sich explizit für eine namentliche Nennung. Damit bleibt der Schutz der Reviewenden gewährleistet, während gleichzeitig der Diskurs zu Forschungsarbeiten nachvollziehbar wird. Interessierte Leser können so nachvollziehen, wie bestimmte Schlüsse zustande gekommen sind und welche Herausforderungen bei der Studienbewertung diskutiert wurden.
Dieser Schritt ist vor allem ein Beitrag zur Förderung der wissenschaftlichen Integrität und Nachvollziehbarkeit. In einer Zeit, in der Fake News und Misstrauen gegenüber Wissenschaft zunehmen, kann Transparenz ein entscheidendes Mittel sein, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in wissenschaftliche Erkenntnisse zu stärken. Öffentlich zugängliche Peer-Review-Berichte geben Einblick in die kritische Reflexion und Verbesserung, die hinter jeder veröffentlichten Studie steckt. Die Entscheidung hat zudem unmittelbare Vorteile für Forschende, insbesondere für Nachwuchswissenschaftler. Für sie bietet die transparente Einsicht in Begutachtungsprozesse eine wertvolle Lernerfahrung, die zeigt, wie konstruktives Feedback zu besseren wissenschaftlichen Ergebnissen führt.
Sie können so Einblick in die verschiedensten Aspekte der Begutachtung erhalten: von methodischen Hinweisen bis hin zu inhaltlichen Korrekturen und Verbesserungsvorschlägen, die in das Endprodukt eingeflossen sind. Die Offenlegung der Begutachtung kann auch zu einer stärkeren Anerkennung der Reviewer-Arbeit führen. Die Bewertung und kritische Auseinandersetzung mit Forschungsarbeiten ist ein wesentlicher Dienst an der Wissenschaft, der oft unsichtbar bleibt. Wenn Reviewer ihre Berichte veröffentlichen, wird ihr Beitrag transparenter und wertgeschätzt – nicht zuletzt auch durch die Möglichkeit, unter eigenem Namen genannt zu werden. Seit Langem fordern Expertinnen und Experten im Bereich der Forschungspolitik eine Veränderung der Art und Weise, wie wissenschaftliche Arbeiten evaluiert und veröffentlicht werden.
Die Pandemie hat diese Diskussion nochmals beschleunigt. Die COVID-19-Krise bot der Weltöffentlichkeit eine seltene Gelegenheit, wissenschaftliche Prozesse quasi in Echtzeit mitzuerleben. In dieser Zeit wurden Diskussionen, Entdeckungen und Korrekturen unmittelbar sichtbar. Nach der akuten Phase kehrte man jedoch vielfach wieder zur traditionellen Geheimhaltung zurück. Nature verfolgt mit der Ausweitung der transparenten Peer-Review das Ziel, diese Offenheit dauerhaft in die Wissenschaftskommunikation zu integrieren.
Die wissenschaftliche Erkenntnis ist alles andere als statisch; sie entwickelt sich durch fortwährende Diskussionen und neue Erkenntnisse ständig weiter. Genauso vielfältig und dynamisch sollte auch der Prozess der Begutachtung und Veröffentlichung sein. Der Schritt von Nature ergänzt eine Vielzahl anderer Initiativen im Bereich Open Science, die das Ziel verfolgen, wissenschaftliche Inhalte frei zugänglich und transparenter zu gestalten. Dazu gehören offene Daten, freie Zugänglichkeit von Publikationen und die Förderung einer kollaborativen Forschungsumgebung. Eine transparente Begutachtung ist hierbei ein weiterer Baustein, um den gesamten Lebenszyklus wissenschaftlicher Erkenntnisse besser nachvollziehbar zu machen.
Eine umfassende Veröffentlichung der Peer-Review-Informationen trägt zudem dazu bei, Fehlinformationen und Missverständnisse abzubauen. Kritische Leserinnen und Leser können die Argumentationen der Forschenden und Reviewer vergleichen und besser einschätzen, welche Erkenntnisse fundiert sind und wo noch Unsicherheiten bestehen. Das stärkt die wissenschaftliche Diskussionskultur und macht den komplexen Forschungsprozess für Laien zugänglicher. Es ist zu erwarten, dass das erweiterte Angebot der transparenten Begutachtung weitere Chancen eröffnet, wissenschaftlichen Fortschritt kollaborativ und verantwortungsvoll zu gestalten. Auch Medienvertreter können von dieser zusätzlichen Transparenz profitieren, indem sie komplexe Studien besser aufbereiten und hinterfragende Reportagen schreiben.