Die Ernährungssicherheit ist eine der grundlegenden Herausforderungen, denen sich Länder weltweit gegenübersehen. Während die globale Bevölkerung stetig wächst, geraten viele Nationen zunehmend unter Druck, genügend Nahrung für ihre Bürger zu produzieren. Überraschenderweise zeigt eine aktuelle Studie, dass nur ein Land auf der Erde in der Lage ist, alle Lebensmittel, die seine Bevölkerung benötigt, vollständig selbst herzustellen: Guyana. Dieses kleine südamerikanische Land hebt sich damit in einer Welt ab, in der nahezu alle anderen Staaten auf Importe angewiesen sind oder in bestimmten Lebensmittelgruppen Defizite aufweisen. Die Forschung, veröffentlicht in der renommierten Fachzeitschrift Nature Food, vergleicht weltweit die Produktion von sieben wichtigen Lebensmittelgruppen – darunter Obst, Gemüse, Milchprodukte, Fisch, Fleisch, pflanzliche Proteine und stärkehaltige Grundnahrungsmittel – mit dem tatsächlichen Bedarf der jeweiligen Bevölkerung.
Ziel war es, die Selbstversorgung und Resilienz der Länder in Bezug auf ihre Ernährung zu messen. Guyana wurde dabei als einziges Land identifiziert, das in sämtlichen sieben Kategorien ausreichend produziert, um den Bedarf seiner Bevölkerung komplett zu decken. Diese Erkenntnis ist von erheblicher Bedeutung vor dem Hintergrund globaler Krisen, die Lieferketten unterbrechen können. Der Krieg in der Ukraine, die COVID-19-Pandemie und klimabedingte Naturkatastrophen haben in den letzten Jahren schmerzhaft aufgezeigt, wie fragil internationale Nahrungsmittelversorgungen sind. Länder, die sich stark auf Importe verlassen, sind besonders anfällig für plötzliche Versorgungsengpässe.
Die Studie führt auch aus, dass viele Länder weltweit im Tiersektor, insbesondere bei Fleisch und Milchprodukten, überproduzieren – weit über den Bedarf ihrer eigenen Bevölkerung hinaus. Gleichzeitig gibt es gravierende Defizite bei nahrhaften pflanzenbasierten Lebensmitteln und stärkehaltigen Grundnahrungsmitteln. Weniger als die Hälfte der untersuchten Länder produziert genug pflanzliche Proteine wie Bohnen, Kichererbsen, Linsen oder Nüsse. Nur rund ein Viertel ist in der Lage, ausreichend Gemüse anzubauen. Dieses Ungleichgewicht stellt nicht nur ein Problem hinsichtlich Ernährung und Gesundheit dar, sondern zeigt auch die Herausforderungen in der nachhaltigen Land- und Lebensmittelwirtschaft.
Geografisch gesehen schneiden Länder in Europa und Südamerika tendenziell besser ab, wenn es um Nahrungsmittelautarkie geht, während kleine Inselstaaten, Länder auf der Arabischen Halbinsel und viele einkommensschwache Staaten stark von Importen abhängig sind. Sechs Länder – darunter Afghanistan, die Vereinigten Arabischen Emirate, Irak, Macao, Katar und Jemen – produzieren gar nicht ausreichend Lebensmittel in einer einzigen der sieben Kategorien und sind damit besonders vulnerabel. Warum aber kann Guyana als Vorbild für Nahrungsmittelautarkie gelten? Das südamerikanische Land profitiert von einer Kombination aus fruchtbaren Böden, günstigen klimatischen Bedingungen und einer verhältnismäßig kleinen Bevölkerung. Zudem ist die Landwirtschaft dort gut diversifiziert und umfasst sowohl Pflanzenbau als auch Viehzucht und Fischfang. Diese Vielfalt ermöglicht es Guyana, die unterschiedlichen Nahrungsmittelgruppen umfassend abzudecken.
Doch wie sinnvoll ist Selbstversorgung wirklich? Der Forscher Dr. Jonas Stehl von der Universität Göttingen, einer der Hauptautoren der Studie, betont, dass nicht zwangsläufig jedes Land vollständig autark sein muss oder sollte. Einige Staaten verfügen aufgrund klimatischer und geografischer Gegebenheiten weder über ausreichend Wasser noch über Bodenqualität oder passende Temperaturen, um alle notwendigen Lebensmittel zu produzieren. In solchen Fällen ist es ökonomisch und ökologisch sinnvoll, bestimmte Nahrungsmittel zu importieren und sich auf Produkte zu spezialisieren, die im jeweiligen Land besonders effizient hergestellt werden können. Dennoch warnt Dr.
Stehl vor den Risiken, die mit zu starker Abhängigkeit von Auslandsmärkten einhergehen. Politische Konflikte, Naturkatastrophen oder Exportbeschränkungen können die Nahrungsmittelversorgung empfindlich stören. Dies kann Auswirkungen haben, die über nur kurzfristige Verknappungen hinausgehen und ganze Bevölkerungen in Bedrängnis bringen. Auch der Lebensstil und die Ernährungstrends der Bevölkerung spielen eine Rolle. Die Studie orientiert sich dabei an den Empfehlungen der Livewell-Diät des World Wide Fund For Nature (WWF), die eine ausgewogene Ernährung mit einer verstärkten Betonung pflanzlicher Proteine vorsieht.
Länder, die sich stärker an solche nachhaltigen Ernährungsweisen anpassen, könnten langfristig sowohl ihre Umweltbelastung reduzieren als auch ihre Ernährungssicherheit verbessern. Neben Guyana sind China und Vietnam Länder, die zwar nicht vollständig autark sind, jedoch sechs von sieben Lebensmittelgruppen ausreichend produzieren können. Neuseeland wird zwar in der grafischen Darstellung der Studie nicht abgebildet, war aber ebenfalls Teil der Analyse und erreicht eine hohe Selbstversorgung in fünf von sieben Kategorien. Diese Leistungen zeigen, dass vollständige oder nahezu vollständige Nahrungsmittelautarkie durchaus möglich ist, wenn entsprechende Rahmenbedingungen gegeben sind. Insgesamt stellt die Studie fest, dass nur circa ein Siebtel aller untersuchten Länder fünf oder mehr Lebensmittelgruppen selbst ausreichend produzieren können.
Das bedeutet, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung auf Nahrungsmittelimporte angewiesen ist. Dieses System funktioniert in Friedenszeiten und bei stabilen Märkten relativ gut, birgt jedoch Risiken wie zuletzt die weltweiten Störungen auf den Lebensmittelmärkten verdeutlicht haben. Die Herausforderungen für viele Länder liegen daher darin, widerstandsfähigere und nachhaltigere Ernährungssysteme zu entwickeln. Dazu gehören der verstärkte Anbau nährstoffreicher Pflanzen, eine verstärkte Nutzung lokaler Ressourcen und eine bessere Anpassung der Landwirtschaft an regionale Klimabedingungen. Gleichzeitig müssen internationale Handelsbeziehungen so gestaltet werden, dass Handel auch in Krisenzeiten gesichert ist.
Ein weiterer Aspekt, der nicht vernachlässigt werden darf, sind soziale und politische Rahmenbedingungen. Nationale Strategien zur Ernährungsökologie und -sicherheit sollten dabei integrativ gestaltet werden, um Kleinbauern, Fischern und lokalen Produzenten eine stärkere Rolle zu geben und damit die Ernährungsbasis breiter aufzustellen. Die Erkenntnisse der Studie kommen auch zu einem wichtigen Zeitpunkt, in dem das globale Interesse an Nahrungsmittelunabhängigkeit und Resilienz deutlich wächst. Politische Verschiebungen, eine zunehmende Bewusstheit für Umweltfragen und die Lehren aus globalen Krisen tragen dazu bei, dass sich Länder neu mit ihrer essenziellen Lebensmittelversorgung auseinandersetzen. In der Zukunft wird es entscheidend sein, die Balance zwischen Selbstversorgung und funktionierendem Welthandel zu finden, um sowohl lokale Resilienz zu stärken als auch globale Ernährungssicherheit sicherzustellen.
Guyana dient dabei als eindrucksvolles Beispiel für die Möglichkeiten einer vollständigen Nahrungsmittelautarkie unter den richtigen Bedingungen. Abschließend lässt sich sagen, dass Ernährungssouveränität zunehmend als Schlüssel für nachhaltige Entwicklung, öffentliche Gesundheit und soziale Stabilität erkannt wird. Während Guyana in seiner Gänze ein Vorbild ist, müssen die vielfältigen globalen Bedingungen berücksichtigt werden, um effiziente und resiliente Ernährungssysteme zu schaffen. Die Herausforderung besteht darin, diese komplexen Zusammenhänge in einer globalisierten Welt ausgewogen und zukunftsorientiert zu steuern.