In ländlichen Regionen Australiens sind Dingos seit jeher ein kontrovers diskutiertes Thema. Von Landwirten werden sie oft als Bedrohung für Schafe, Rinder und andere Nutztiere wahrgenommen, was dazu führt, dass sie gejagt, vergiftet oder anderweitig bekämpft werden. Doch aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen werfen ein neues Licht auf diese Annahmen. Analysen von Raubtierkot zeigen, dass Dingos nicht in dem Maße Nutztiere fressen, wie viele glauben. Diese Erkenntnisse eröffnen wichtige Perspektiven für den Schutz der einheimischen Tierwelt und für nachhaltige Weidewirtschaften.
In diesem Beitrag erläutern wir die Ergebnisse einer aktuellen Studie aus dem mallee-Regionen-Viktoria und Südaustralien, die das Fressverhalten von Dingos, Füchsen und wilden Katzen mit besonderem Fokus auf deren Ernährung im Verhältnis zu Nutztieren untersucht hat. Dabei wird auch auf die ökologischen Zusammenhänge und mögliche Lösungsansätze eingegangen, die Landwirtschaft und Naturschutz miteinander verbinden können. Die malerische aber trockene Mallee-Region im Süden Australiens, bestehend aus den Schutzgebieten Big Desert, Wyperfeld und Ngarkat, bildet den Schauplatz der Untersuchung. In diesem etwa 10.000 Quadratkilometer großen Gebiet aus natürlichem Buschland leben die Raubtiere und ihre potenzielle Beute in einem empfindlichen Gleichgewicht.
Das Gebiet ist vollständig von landwirtschaftlichen Nutzflächen mit Viehhaltung umgeben, was potenzielle Konflikte zwischen Landwirten und Raubtieren zunächst begünstigt. Die lokale Verwaltung hat wesentliche Maßnahmen zur Kontrolle von Füchsen und Dingos eingeführt, welche jedoch je nach Bundesstaat unterschiedlich gehandhabt werden. Seit März 2024 sind Dingos in den viktorianischen Schutzgebieten wegen ihrer stark zurückgegangenen Population gesetzlich geschützt. Zuvor durften sie innerhalb eines dreikilometrigen Radius rund um landwirtschaftliche Betriebe bejagt werden, um mögliche Verluste wirtschaftlich relevanter Nutztiere zu verhindern. Die direkte Auswertung von Raubtierkot hat neue, unverfälschte Einsichten gegeben, welche Tiere tatsächlich auf dem Speiseplan der Dingos und anderer Beutegreifer stehen.
Insgesamt wurden 136 Kotproben von Dingos, 200 von Füchsen und 25 von wild lebenden Katzen gesammelt und untersucht. Dabei ist besonders auffällig, dass Reste von Schafen oder Rindern nur in zwei Prozent der Dingokotproben gefunden wurden; bei Füchsen war dieser Wert mit sieben Prozent zwar etwas höher, doch immer noch vergleichsweise niedrig. Katzen brachten es sogar auf keinen Nachweis von Nutztieranteilen in ihrem Kot. Vielmehr dominieren bei Dingos größere einheimische Säugetiere wie Kängurus, Wallabys und Emus, welche zusammen über 70 Prozent der Nahrung ausmachen. Dieses Fressverhalten deutet darauf hin, dass Dingos als dominierende Raubtiere im Ökosystem nicht primär auf Nutztierbestände als Nahrungsquelle zurückgreifen.
Im Gegensatz dazu zeigen Füchse und Katzen eine stärkere Vorliebe für kleinere einheimische Säugetiere. Dabei werden auch bedrohte Arten wie das Fettschwanz-Beutelmausarten (fat-tailed dunnarts) erbeutet, was deren Populationen zusätzlich unter Druck setzt. Dies legt nahe, dass Füchse und Katzen größere negative Auswirkungen auf die heimische Artenvielfalt haben können als Dingos. Die ökologischen Folgen eines unkontrollierten Anstiegs dieser kleineren Raubtiere sind daher nicht zu unterschätzen und beeinflussen das Gleichgewicht ganzer Lebensräume. Wichtig zu verstehen ist, dass die Analyse von Kotproben ihre Grenzen hat.
Die Daten können beispielsweise nicht unterscheiden, ob die gefundenen Nutztieranteile auf tatsächliche Beutefanghandlungen oder auf Aasfressen zurückgehen. Ebenso werden Tiere, die von Raubtieren möglicherweise getötet, aber nicht gefressen wurden, durch diese Untersuchungen nicht erfasst. Zudem können Umweltfaktoren wie vorherrschende Wetterlagen Einfluss auf die Ernährung der Prädatoren haben. Während der Studienjahre 2022 und 2023 beispielsweise waren in der Mallee-Region hohe Niederschlagsmengen zu beobachten, die für reichlich natürlich vorhandene Beutetiere sorgten. In Phasen von extremer Dürre oder nach Bränden kann sich das Fressverhalten der Raubtiere und ihre Raumnutzung jedoch deutlich verändern.
Sie könnten in solchen Zeiten gezwungen sein, sich in landwirtschaftliche Gebiete zu bewegen und dort eher Nutztiere zu reißen. Um das Verhalten der Raubtiere besser einschätzen zu können, kamen auch bewegungssensitive Wildkameras zum Einsatz, die die Verfügbarkeit verschiedener Beutetiere im Untersuchungsgebiet dokumentierten. Im Vergleich zu den tatsächlichen Futterpräferenzen aus den Kotanalysen wurde klar, dass Füchse und Katzen bei der Beute eine deutliche Auswahl treffen und Kleinraubtiere häufiger jagen als sie in der Umgebung zu finden sind. Katzen ausgewiesen vogelspezifische Präferenzen, während Dingos überraschenderweise vermehrt Ameisenigel (Echidnas) jagten. Diese spezifischen Trends eröffnen Fragen zu den Auswirkungen auf einzelne Populationen und den weiteren Verlauf von Ökosystemen.
Die empfundene Bedrohung durch Dingos wird von den Forschungsergebnissen abgeschwächt und gleichzeitig wird die Rolle von Füchsen als mögliche größere Gefahr für Nutztiere hervorgehoben. Dabei ist die Situation komplex, da der starke Rückgang der Dingo-Populationen in vielen Regionen zu einer Zunahme von Populationen anderer Beutegreifer und Pflanzenfresser führen kann, darunter auch invasive Pflanzenfresser wie Wildziegen und eine Überpopulation von Kängurus, die ebenfalls mit den Interessen der Landwirtschaft konkurrieren. Auf Grundlage der Studienergebnisse wird klar, dass eine einfache, flächendeckende Tötung von Dingos als Mittel zum Schutz von Nutztieren weder nachhaltig noch insgesamt effektiv ist. Vielmehr sind differenzierte, wissenschaftlich fundierte Schutz- und Managementstrategien gefordert, die sowohl die Bedürfnisse der Landwirte als auch die Erhaltung des natürlichen Gleichgewichts in der Tierwelt berücksichtigen. Dazu gehören nicht nur Schutzmaßnahmen für Dingos, sondern auch kontrollierte Maßnahmen gegen Füchse und Katzen, die eine erhebliche Bedrohung für die Biodiversität darstellen.
Gleichzeitig gibt es vielversprechende alternative Methoden zum Schutz von Nutztierrassen, die ohne den Einsatz tödlicher Mittel auskommen. Dazu zählen Herdenschutzmaßnahmen mit Wachhunden, die Dingos und andere Raubtiere auf Distanz halten können, oder der Einsatz von Eseln und anderen Tieren als natürliche Wächter. Weltweit gewinnen solche Strategien zunehmend an Bedeutung und zeigen, wie ein friedliches Zusammenleben von Wildtieren und Landwirtschaft ermöglicht werden kann. Politische Entscheidungsträger sind zunehmend gefordert, die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in ihre Strategien einzubeziehen und Programme zu fördern, die evidenzbasiert und lokal angepasst sind. Eine möglichst geringe Beeinträchtigung der natürlichen Raubtierpopulationen reizt die Balance der Lebensräume und ermöglicht es zugleich Landwirten, ihren Betrieb nachhaltig zu führen.