Die Lyme-Borreliose ist eine der häufigsten durch Zecken übertragenen Krankheiten in den Vereinigten Staaten und betrifft jedes Jahr Hunderttausende von Menschen. Doch neben den bekannten Ursachen für die Verbreitung dieser Krankheit wächst in den letzten Jahren auch das öffentliche Interesse an einem kontroversen Thema: Wurde die Krankheit möglicherweise durch militärische Versuche mit „waffenfähigen“ Zecken ausgelöst? Im Juli 2019 setzte das US-Repräsentantenhaus einen überzeugenden Impuls, indem es den Pentagonsinspekteur aufforderte, eine umfassende Überprüfung durchzuführen, um herauszufinden, ob die US-Regierung zwischen 1950 und 1975 Experimente mit Zecken und anderen blutsaugenden Insekten zur Entwicklung biologischer Waffen durchführte und ob es dabei zu unbeabsichtigten Freisetzungen gekommen sein könnte. Forderungen nach Aufklärung über die Ursprünge von Lyme-Borreliose dabei sind nicht neu, doch gerade der offizielle Beschluss der Regierung hat neues Feuer in die Diskussion um eine mögliche militärische Verstrickung der Krankheit gelegt. Die Chronologie der Ereignisse zeigt, dass viele Jahre vor dem Bekanntwerden des Lyme-Borreliose-Ausbreitungsphänomens die US-Militärs tatsächlich mit biologischen Waffen experimentierten. Einrichtungen wie Fort Detrick im Bundesstaat Maryland, die als geheime Labore für die Entwicklung biologischer Kampfstoffe galten, und die Plum Island Animal Disease Center nahe New York gerieten ins Zentrum spekulativer Theorien.
Nach Aussage des republikanischen Abgeordneten Chris Smith aus New Jersey wurde die Forderung nach der Überprüfung durch eine Reihe von Büchern und journalistischen Untersuchungen inspiriert, die nahelegen, dass genau hier Forschungsarbeiten stattfanden, in denen Insekten mit Krankheitserregern infiziert und womöglich als Waffe eingesetzt werden sollten. Ein solcher Vorwurf ist schwerwiegend. Das zentrale Buch, auf das sich diese Anschuldigungen stützen, heißt „Bitten: The Secret History of Lyme Disease and Biological Weapons“ und wurde von Kris Newby verfasst, einer ehemaligen Lyme-Erkrankten und Wissenschaftsjournalistin von der Stanford University. Darin wird behauptet, dass Willy Burgdorfer, der Entdecker des Erregers hinter der Lyme-Borreliose, selbst Teil eines US-Militärprogramms war, das an der Entwicklung von insektenbasierten Biowaffen arbeitete. Burgdorfer soll darin involviert gewesen sein, Zecken, Flöhe und Mücken mit Krankheitserregern zu infizieren und diese zur potenziellen Nutzung als biologische Waffen zu züchten.
Die Theorie geht sogar so weit, dass uninfizierte Zecken eingesetzt wurden, um deren Verbreitung in Wohngebieten zu testen, und dass eine Kontrollmaßnahme durch die Freisetzung menschlicher Träger aus dem Ruder gelaufen sein könnte, was zur Verbreitung von Lyme-Borreliose führte. Die Vorstellung, dass Tier- oder Insektenarten gezielt als biologische Waffen missbraucht werden, ist beunruhigend und hat erhebliche ethische sowie politische Implikationen. Dabei muss erwähnt werden, dass Zecken streng genommen keine Insekten sind, sondern Spinnentiere; eine Unterscheidung, die im Zuge der Berichterstattung im Jahr 2019 auch entsprechend klargestellt wurde. Die potenzielle Gefährlichkeit solcher Experimente wird nicht nur durch die Infektion von Menschen und Tieren unterstrichen, sondern auch durch die Tatsache, dass Zecken durch ihre natürliche Verbreitung schwer kontrollierbar sind. Die Lyme-Borreliose selbst ist eine komplexe Krankheit, die häufig mit starken und langanhaltenden gesundheitlichen Folgen einhergeht.
Eine jährliche Anzahl von etwa 400.000 Neuerkrankungen in den USA macht sie zu einem bedeutenden Gesundheitsproblem. Noch immer gibt es offene Fragen zum genauen Ursprung der Krankheit, zur genauen Ausbreitung und zu den besten Wegen der Vorbeugung und Behandlung. Sollte sich herausstellen, dass die Ausbreitung zumindest teilweise mit ehemaligen militärischen Experimenten zusammenhängt, hätte das Auswirkungen nicht nur auf die Wissenschaft und Medizin, sondern auch auf das öffentliche Vertrauen in Regierungsinstitutionen. Zum Zeitpunkt des Beschlusses im Jahr 2019 stand die Untersuchung noch aus.
Es war ein politisches Signal, das verdeutlichte, dass das Thema auf höchster Ebene ernst genommen werden sollte. Neben den gesundheitlichen Folgen für Betroffene wäre auch eine komplette Neubewertung historischer Forschungsvorhaben am Militär und deren ethische Bewertung erforderlich. Kritiker sehen allerdings auch die Gefahr von Verschwörungstheorien, die sich rund um Lyme-Borreliose ranken, und plädieren für eine klare wissenschaftliche Untersuchung losgelöst von Spekulationen. In der Gesamtbetrachtung zeigt der Fall exemplarisch, wie komplex der Umgang mit biologischen Risiken in einer vernetzten Welt geworden ist. Einerseits befinden sich Wissenschaft und Militär ständig auf der Suche nach Technologien zur Abwehr potenzieller Gefahren, andererseits besteht immer die Gefahr, dass solche Entwicklungen außer Kontrolle geraten und unbeabsichtigte Schäden entstehen.
Der Schutz der Bevölkerung und die sofortige Aufklärung von Ereignissen, die Krankheiten auslösen oder verstärken könnten, sind dabei von höchster Priorität. Die Debatte um waffentaugliche Zecken ist daher nicht nur eine historische Rückschau, sondern auch eine Warnung für die Zukunft. Biologische Waffen jeglicher Art gelten international als verboten. Dennoch zeigen solche historischen Vorfälle, wie wichtig eine intensive Überwachung und transparente wissenschaftliche Forschung in diesem Sektor ist. Die Untersuchung des Pentagons durch einen unabhängigen Inspekteur sollte dazu beitragen, Abschlüsse zu schaffen, Verantwortlichkeiten zu klären und weitere Risiken zu minimieren.