In unserer modernen Welt verbringen immer mehr Menschen einen erheblichen Teil ihres Tages im Sitzen. Ob bei der Arbeit am Computer, während der Fahrt mit dem Auto oder in der Freizeit vor dem Fernseher – die Sitzzeit summiert sich schnell auf mehrere Stunden. Trotz des Bewusstseins um die Bedeutung von Bewegung kommt es häufig vor, dass Menschen zwar Sport treiben, aber dennoch eine überwiegend sitzende Lebensweise pflegen. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass genau diese Kombination – langes Sitzen trotz sportlicher Aktivität – schwerwiegende Folgen für das Gehirn und die kognitive Gesundheit haben kann. Die Erkenntnisse basieren auf einer umfassenden Langzeitstudie mit älteren Erwachsenen, die das Verhältnis zwischen sedentärem Verhalten und neurodegenerativen Veränderungen untersucht hat.
Dabei wurde festgestellt, dass längere Zeiträume im Sitzen mit einer schrumpfenden Gehirnstruktur einhergehen, auch wenn die Betroffenen regelmäßig moderate bis intensive körperliche Aktivitäten durchführen. Das bedeutet, dass körperliche Bewegung allein nicht ausreichend ist, um die durch langes Sitzen verursachten negativen Folgen auf das Gehirn zu kompensieren. Einer der zentralen Aspekte, die die Forscher betonten, ist die Rolle der sogenannten Sedentary Behavior, also sitzenden Tätigkeiten, als eigenständiger Risikofaktor für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer. Die Studienergebnisse veranschaulichen, dass nicht nur die Gesamtmenge der körperlichen Aktivität, sondern auch die Verteilung von Bewegung und Ruhephasen im Alltag entscheidend für die Gehirngesundheit ist. Während sportliche Betätigung seit langem als Schutzfaktor für kognitive Funktionen anerkannt wird, haben die neuesten Daten gezeigt, dass exzessives Sitzen unter anderem den Hippocampus, eine Gehirnregion, die eine zentrale Rolle beim Gedächtnis spielt, negativ beeinflusst.
Die Hippocampus-Atrophie wurde bei Menschen mit hohem Sitzeniveau auch dann beobachtet, wenn entsprechende Trainingseinheiten erfolgten. Zudem gaben die Probanden vermehrt Einbußen in Bereichen wie benennungsfähigkeiten und Verarbeitungsgeschwindigkeit zu verzeichnen, welche wichtige kognitive Domänen repräsentieren. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf den Einfluss unseres Alltagsverhaltens auf die neurokognitive Gesundheit. Die Ergebnisse legen nahe, dass es nicht genügt, sich beispielsweise nur in der Freizeit für eine halbe Stunde sportlich zu betätigen und ansonsten einen großen Teil des Tages im Sitzen zu verbringen. Vielmehr müssen länger andauernde Sitzphasen durch häufige Pausen mit Bewegung unterbrochen werden, um die negativen Auswirkungen auf das Gehirn zu minimieren.
Mechanistisch wird vermutet, dass langes Sitzen die zerebrale und systemische Gefäßfunktion beeinträchtigt. Eine verminderte Durchblutung des Gehirns und erhöhte Entzündungsprozesse könnten so die neuronale Plastizität und synaptische Verbindungen stören, die für das Lernen und Erinnern essenziell sind. Tierexperimentelle Studien unterstützen diese Hypothese, da sedentäre Haltung bei Nagetieren erhöhte oxidative Stressmarker zeigte, die mit neuronaler Dysfunktion in Verbindung stehen. Darüber hinaus besitzt die genetische Veranlagung eine relevante Bedeutung. Besonders Träger des APOE-ε4 Allels, welches stark mit Alzheimer assoziiert ist, scheinen anfälliger für die schädlichen Effekte von langem Sitzen zu sein.
Diese Gruppe zeigt im Vergleich zu Nicht-Trägern eine intensivere Volumenabnahme verschiedener Hirnregionen bei erhöhtem sedentärem Verhalten, unabhängig von physischen Aktivitäten. Dieses Wissen unterstreicht die Wichtigkeit individueller Präventionsansätze, die sowohl die körperliche Aktivität als auch die Sitzzeit berücksichtigen. Die gesundheitlichen Folgen von langem Sitzen gehen aber über das Gehirn hinaus. Zahlreiche Studien belegen das erhöhte Risiko für chronische Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und manche Krebsarten. Somit stellt eine Reduktion der Sitzzeit einen wertvollen Hebel dar, um die allgemeine Gesundheit im Alter zu fördern.
Um dem entgegenzuwirken, empfehlen Experten neben der Einhaltung der Bewegungsempfehlungen auch die Integration von mehr Alltagsbewegung und das bewusste Durchbrechen langer Sitzperioden. Dazu zählen einfache Maßnahmen wie das regelmäßige Aufstehen während der Arbeit, kurze Gehpausen, die Nutzung von Stehschreibtischen oder das Vermeiden langer Autofahrten, wenn möglich. Die Erkenntnisse über die unabhängige Wirkung des Sitzverhaltens auf Gehirnstrukturen stellen auch eine Herausforderung an die öffentliche Gesundheitskommunikation dar. Häufig wird Bewegung als alleiniges Mittel zur Förderung der Gesundheit dargestellt, während die Reduktion von Sitzzeit oft zu wenig Beachtung findet. Das neue Wissen fordert ein Umdenken, dass die Kombination beider Elemente eine optimale Strategie zur Erhaltung der kognitiven Leistungsfähigkeit sein könnte.