Die deutsche Pharma- und Chemiegruppe Merck KGaA hat einen wichtigen Schritt für ihre künftige Wachstumsstrategie gemacht, indem sie das US-amerikanische Biotechnologieunternehmen SpringWorks Therapeutics für einen Gesamtwert von 3,9 Milliarden Dollar übernommen hat. Mit dieser Übernahme adressiert Merck gezielt den Bereich der seltenen Krebserkrankungen, der durch innovative Wirkstoffe und spezielle Therapieansätze bestimmt ist. Die Übernahmesumme lag dabei bemerkenswerterweise etwa 20 Prozent unter den Erwartungen vieler Analysten. Dies ist unter anderem auf die ausgeprägte Zurückhaltung anderer Bieter sowie die generelle Abwertung des US-amerikanischen Biotechnologiesektors zurückzuführen. Zudem spiegeln sich in dem Angebot von Merck die aktuellen Herausforderungen wider, mit denen die US-Gesundheitsbranche konfrontiert ist, insbesondere durch politische und regulatorische Veränderungen.
SpringWorks Therapeutics, mit Sitz in den Vereinigten Staaten, ist spezialisiert auf die Entwicklung und Vermarktung von Therapien für seltene und schwer zu behandelnde Krebserkrankungen. Diese Nische im Pharmamarkt ist für große Pharmaunternehmen zunehmend attraktiv, nicht zuletzt wegen des Potenzials höherer Margen und des geringeren Wettbewerbs. Merck setzt mit dem Kauf auf eine langfristige Stärkung seines Produktportfolios, besonders in einem Umfeld, in dem bewährte Blockbuster-Medikamente durch Patentabläufe unter erheblichen Preisdruck geraten. Der Abschluss der Übernahme erfolgte nach wichtigen Etappenerfolgen im Bereich der Zulassung neuer Arzneimittel. So erhielt SpringWorks jüngst in den USA eine Zulassung für das Medikament Gomekli, das zur Behandlung einer seltenen genetischen Erkrankung eingesetzt wird, bei der Tumore im Gewebe rund um die Nerven wachsen.
Darüber hinaus steht eine positive Begutachtung durch den Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Union (CHMP) für die Zulassung von Ogsiveo, einem oralen Medikament gegen seltene desmoide Tumore, kurz bevor. Diese regulatorischen Fortschritte sind entscheidend, da sie nicht nur den Marktzugang in Europa sichern, sondern auch die Integrität und Attraktivität des Übernahmeziels unterstreichen. Merck befindet sich derzeit in einer Phase, in der das Unternehmen dringend sein Forschungs- und Entwicklungsportfolio neu kalibrieren muss. Im vergangenen Jahr musste Merck bedeutende Rückschläge verkraften, beispielsweise das Einstellen der Weiterentwicklung des Mittels Xevinapant bei Kopf- und Halskrebs. Weitere Rückschläge betrafen das Multiple-Sklerose-Medikament Evobrutinib, dessen große Phase-III-Studie im Dezember 2023 scheiterte.
Angesichts dieser Herausforderungen ist die Akquisition von SpringWorks kein bloßer Zukauf, sondern ein strategischer Schritt zur Stabilisierung und zukünftigen Weiterentwicklung der Pipeline. Das Finanzumfeld für Biotechnologieunternehmen und für Übernahmen im Life-Science-Sektor ist aktuell von Unsicherheiten geprägt. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA), die zentrale Behörde für die Zulassung neuer Arzneimittel, sieht sich mit massiven Stellenstreichungen konfrontiert. Diese Personalreduzierungen führen zu längeren Prüfzeiten und verzögern Zulassungsprozesse, was für Akteure auf dem Markt eine besondere Herausforderung darstellt. In diesem Kontext sind von großen Fusionen und Übernahmen, die normalerweise den Sektor beleben, eher Zurückhaltung und Unsicherheit zu beobachten.
Der Biotechnologie-Aktienindex XBI verzeichnete in diesem Jahr einen Rückgang von rund 12 Prozent. Die Börsenentwicklung und das schwierige regulatorische Umfeld erklären, warum das Gebot von Merck für SpringWorks unter den Erwartungen lag. Die Aktie von Merck selbst reagierte auf die Meldung über die Übernahme zunächst mit einem leichten Kursrückgang, konnte sich jedoch im Verlauf des Handelstages erholen und schloss mit einem moderaten Plus. Aus Analystensicht stand SpringWorks in einer schwierigen Verhandlungsposition. Experten von JP Morgan sahen das Unternehmen gewissermaßen „zwischen zwei Fronten“, da andere potenzielle Bieter entweder aus dem Rennen ausgestiegen waren oder sich nicht auf ein akzeptables Preisniveau einigen konnten.
Frühere Schätzungen gingen von einem Angebot von rund 60 Dollar pro Aktie aus, während Merck letztlich etwa 47 Dollar pro Stück zahlte. Es ist bezeichnend, dass trotz des niedrigeren Preises für die Aktionäre die Übernahme den Börsenwert von SpringWorks auf rund 3,9 Milliarden Dollar anhebt und den Unternehmenswert nach Abzug der liquiden Mittel auf etwa 3,4 Milliarden Dollar beziffert. Für Merck bedeutet die Integration von SpringWorks nicht nur einen Ausbau des Produktportfolios, sondern auch einen strategischen Vorteil bei der Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze. Seltene Krebserkrankungen erfordern oftmals hochspezialisierte Wirkstoffe und enge Zusammenarbeit mit Regulierungsbehörden, um genehmigte Behandlungsoptionen auf den Markt bringen zu können. Die Expertise von SpringWorks in diesem Bereich bietet Merck somit einen Wettbewerbsvorsprung in einem umkämpften Marktsegment.
Gleichzeitig unterstreicht die Transaktion die Bedeutung der internationalen regulatorischen Zusammenarbeit. Die positive Stellungnahme des europäischen CHMP-Gremiums war eine notwendige Voraussetzung, um den Deal abzuschließen. In Zeiten globaler Vernetzung und strenger Compliance-Anforderungen gewinnen die Zulassungsverfahren in unterschiedlichen Regionen zunehmend an Bedeutung. Unternehmen wie Merck, die ihre Präsenz weltweit ausbauen möchten, müssen sicherstellen, dass ihre Zukäufe auch aus regulatorischer Sicht robust und tragfähig sind. Insgesamt zeigt die Übernahme von SpringWorks durch Merck KGaA exemplarisch, wie große Pharmaunternehmen auf die Herausforderungen des sich wandelnden Gesundheitsmarktes reagieren.