Adipositas gilt als eine der größten gesundheitlichen Herausforderungen unserer Zeit und stellt sowohl Betroffene als auch medizinische Fachkräfte vor enorme Schwierigkeiten. Trotz weitverbreiteter Empfehlungen wie „Weniger essen und mehr Bewegung“ bleiben die langfristigen Erfolge häufig aus. Die meisten Menschen verlieren weit weniger Gewicht als erwartet und erlangen das reduzierte Körpergewicht oft innerhalb kurzer Zeit wieder zurück. Diese Rückfälle führen zu einem frustrierenden Zyklus aus Abnehmen und Wiederzunahme, der als Jo-Jo-Effekt bekannt ist. Daher stellt sich die fundamentale Frage, warum herkömmliche Therapieansätze bei den meisten Patienten so geringe Erfolge erzielen und welche Ursachen die Misserfolge begleiten.
Dabei müssen vor allem drei wesentliche Erklärungsansätze betrachtet werden: die Willensschwäche der Betroffenen, Fehleinschätzungen der Therapieziele und nicht zuletzt die biologisch-metabolischen Anpassungen des Körpers an Gewichtsverluste. Die weit verbreitete Annahme, dass Adipositas-Therapien vor allem an mangelnder Disziplin und fehlender Willenskraft scheitern, ist zwar nachvollziehbar, greift aber zu kurz. Viele Betroffene machen anfangs große Anstrengungen, der Diät und dem verordneten Bewegungsprogramm zu folgen. Dennoch lässt die Einhaltung der Therapie mit der Zeit nach, da die strengen Vorgaben meist nicht mit dem eigenen Alltag und den sozialen Umständen vereinbar sind. Psychologische Untersuchungen sprechen von sogenannten Kontrollverlusten oder Disinhibitionen – Phasen, in denen die ursprünglich restriktiven Maßnahmen aufgegeben werden und es zu unkontrolliertem Essverhalten kommt.
Diese Schwankungen zwischen zeitweiliger Kontrolle und unkontrolliertem Überessen können sogar die Entstehung von Essstörungen begünstigen. Die Frage, ob Diäten in manchen Fällen sogar zunehmen lassen, ist kontrovers, doch sicher ist, dass das Umfeld vieler Menschen heute Überessen und Bewegungsmangel fördert und dadurch die innere Motivation schwächt. Zudem sind auch physiologische Signale im Körper wirksam, die den Willen zur Gewichtskontrolle erschweren. Hormonelle Veränderungen wie absinkende Leptinspiegel oder veränderte Darmhormone sowie Schwankungen bei Nährstoffkonzentrationen im Blut vermitteln dem Gehirn, dass ein Energiedefizit vorliegt, das ausgeglichen werden muss. Diese Signale laufen nicht nur über klassische Kontrollzentren im Hypothalamus und Hirnstamm, sondern wirken auch auf Bereiche des Belohnungssystems und der emotionalen Steuerung im Gehirn ein.
Fortschritte in der funktionellen Bildgebung eröffnen neue Einsichten in diese komplexen neuronalen Mechanismen, die das Durchhalten von Diäten erschweren. Doch Willensschwäche allein erklärt die schlechten Resultate nicht vollständig. Untersuchungen mit strenger Überwachung von Ernährung und Bewegung zeigen, dass selbst mit hoher Compliance häufig viel weniger Gewicht verloren wird als nach Standardberechnungen erwartet. Dies rückt die metabolischen Anpassungen in den Fokus. Tatsächlich reagiert der Körper auf eine verminderte Kalorienzufuhr und Gewichtsverlust mit einer Verringerung des Energieverbrauchs.
Neben der offensichtlichen Reduktion des Ruheenergiebedarfs durch den geringeren Körpermasseanteil fallen auch weitere Komponenten der Energieaufnahme und -verwertung. So verlangsamt sich unter anderem der thermische Effekt der Nahrung, das heißt, weniger Energie wird für die Verarbeitung und Verdauung von Nahrung benötigt, da insgesamt weniger gegessen wird. Auch die Aktivität thermogener Prozesse, wie die Wärmeproduktion im Körper, nimmt ab. Diese passiven Kompensationen sind thermodynamisch erklärbar, schließlich verbraucht ein leichterer Körper zwangsläufig weniger Energie als ein schwererer. Darüber hinaus hat die Forschung gezeigt, dass der Energieverbrauch im Rahmen einer sogenannten adaptiven Thermogenese oft stärker sinkt, als es durch den Gewichtsverlust allein erklärbar wäre.
Dadurch entstehen aktive metabolische Schutzmechanismen, die den Körper daran hindern, zu viel Gewicht zu verlieren. Der Grund für diese energetische Anpassung liegt vermutlich in der evolutionären Notwendigkeit, bei Nahrungsmangel Energie zu sparen und so das Überleben in Zeiten der Hungersnot zu sichern. Das Ausmaß dieser metabolischen Anpassungen unterscheidet sich stark zwischen Individuen, was erklärt, warum manche Menschen besonders widerstandsfähig gegen Gewichtsabnahme sind. Zudem verbessert sich häufig die Bewegungseffizienz, sodass für dieselbe körperliche Aktivität weniger Energie benötigt wird, was zusätzlich das Defizit vermindert. Neben den biologischen Mechanismen spielen auch Fehlkalkulationen bezüglich der Zielvorgaben und Energiebedarfsabschätzungen eine Rolle bei der Diskrepanz zwischen erwartetem und realem Gewichtsverlust.
Häufig werden Standardwerte für den Energieumsatz verwendet, die nicht die individuellen Unterschiede in Stoffwechselrate und Aktivitätslevel berücksichtigen. Die Wahl von Konstanten wie der Kalorienäquivalenz für ein Kilogramm Körpergewicht kann ebenfalls Ungenauigkeiten verursachen. Moderne Studien zeigen jedoch, dass präzise Messungen des Ruheenergieverbrauchs, der Ernährungseffekte und der Körperzusammensetzung dabei helfen können, diese Fehlerquellen zu minimieren und ein realistischeres Bild von der Abnahme zu vermitteln. Die große interindividuelle Variabilität in der Reaktion auf Diäten und Bewegungstherapien betont die Notwendigkeit individueller Therapieansätze. Manche Patienten verfügen über eine hohe adaptive Thermogenese und zeigen eine starke kompensatorische Verringerung ihres Energieverbrauchs, was das Abnehmen erschwert.
Andere erleben eher moderate Veränderungen. Genetische Faktoren scheinen dabei eine wichtige Rolle zu spielen, wie Zwillingsstudien belegen, in denen identische Gene für unterschiedliche metabolische Effizienzen sorgen. Vor diesem Hintergrund sind pauschale Empfehlungen nicht ausreichend, sondern ein personalisiertes Therapiemanagement, das auf den einzelnen Stoffwechsel und die psychologische Verfassung abgestimmt ist, erscheint als zukunftsweisender Ansatz. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Scheitern vieler Adipositas-Therapien nicht einfach durch mangelnden Willen der Patienten erklärbar ist. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes Zusammenspiel zwischen psychologischen Herausforderungen, biologischen Schutzmechanismen des Körpers und methodischen Ungenauigkeiten bei der Festlegung von Therapieerwartungen.
Die adaptive Natur des menschlichen Stoffwechsels hat sich über Jahrtausende entwickelt, um Energie in Zeiten knapper Ressourcen zu sparen, was heute beim Bemühen um Gewichtsreduktion zu einem Hindernis wird. Eine erfolgreiche Therapie muss daher multifaktoriell angelegt sein, das heißt, sie sollte neben Verhaltensänderungen auch die metabolischen Anpassungen berücksichtigen und die individuellen Unterschiede in der Reaktion auf Therapieformen anerkennen. Nur durch eine solche ganzheitliche und individuell zugeschnittene Herangehensweise können nachhaltige Fortschritte im Kampf gegen Adipositas erreicht werden.