Im Sommer 1937 reiste der kanadische Premierminister William Lyon Mackenzie King nach Berlin, um Adolf Hitler zu treffen. Diese Begegnung gilt heute als eine der ungewöhnlichsten und umstrittensten Momente in der diplomatischen Geschichte Kanadas. Mackenzie King, der seit vielen Jahren als eher zurückhaltender und spirituell geprägter Politiker bekannt war, empfing den Führer des nationalsozialistischen Deutschlands mit einer Mischung aus Faszination und Bewunderung, die aus heutiger Sicht befremdlich erscheint. King trat seine Reise nach Deutschland mit einer klaren, wenn auch spirituellen, Mission an. Er sah die Begegnung als Höhepunkt seiner diplomatischen und persönlichen Bestimmung an.
In seinen Tagebucheinträgen finden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass er sein Treffen mit Hitler fast religiös auflud. Er berichtete ausführlich von symbolischen Vorzeichen wie einer Löwenwolke, die ihn während der Zugfahrt von Paris nach Berlin begleitete, und von der Bedeutung des Löwen als Zeichen, das ihn auf die bevorstehende Begegnung vorbereitete. Während seines Aufenthalts in Berlin zeigte King großes Interesse an der Persönlichkeit Hitlers. Er beschrieb Hitler als „eindrucksvoll weise“ und verglich ihn mit einer mystischen Figur, einem Befreier seines Volkes. King schien besonders von Hitlers angeblicher Liebe zur Natur und seiner vegetarischen Lebensweise fasziniert.
Er bemerkte den „wissenden Lächeln“ des Diktators, dessen Haut er als überraschend glatt empfand, und war beeindruckt von Hitlers Fokus auf Schönheit, Blumen und Gärten. Diese Details wurden in Kings Tagebuch minutiös festgehalten und zeigen eine beinahe schwärmerische Haltung des Premierministers. Das Treffen selbst war für Hitler ein eher beiläufiger Termin unter vielen, doch King sah ihn als einen Wendepunkt. Er brachte eine Biografie von sich mit und präsentierte Hitler Fotos seiner Kindheit aus Berlin, Ontario. King schien symbolisch zu versuchen, eine Verbindung zwischen sich, seiner Heimatstadt und Deutschland herzustellen.
Seine Vorbereitungen auf das Treffen umfassten sogar das Schlafen unter einer Familiendecke im Mackenzie-Tartan, was die Bedeutung seiner Mission für ihn unterstrich. Ungeachtet der offenkundigen Brutalität und der aggressiven Politik des NS-Regimes zum Zeitpunkt des Treffens – mit bereits etablierten Anti-Jüdischen Maßnahmen und Aufrüstung – zeigte King ein bemerkenswertes Maß an Verdrängung oder selbst auferlegter Ignoranz. Er lobte die „konstruktive Arbeit“ des Nazi-Regimes und hoffte, dass diese Arbeit „nichts zerstören werde.“ Dies obwohl die Anfänge der Eroberungspolitik Deutschlands, insbesondere die drohende Annexion Österreichs, bereits offen diskutiert wurden. Trotz seiner offensichtlichen Faszination für Hitler war King kein Befürworter von Krieg und Gewalt.
Seine Haltung während des Ersten Weltkriegs war geprägt von Skepsis gegenüber dem militärischen Patriotismus und dem imperialistischen Eifer, den er ablehnte. Im Rückblick auf das Treffen hatte King eine Mischung aus Bewunderung für Hitlers Führungsstil und Sorge um die Zukunft Europas. Hitler selbst sprach von einem drohenden Krieg, der Europa zerstören werde, was King offenbar ernst nahm. Nach der Rückkehr nach Ottawa wurde King zunehmend bewusst, dass die Realität sich von seinen Hoffnungen unterschied. Obwohl er bald Kanadas Vorbereitung auf den neuen Krieg verstärkte, dauerte es eine Weile, bis er begreifen konnte, dass Hitler der Architekt des bevorstehenden globalen Konflikts war.
Auch kurz vor Kanadas Kriegseintritt zeigte er noch Unsicherheiten bezüglich Hitlers Aufrichtigkeit und der Schuldigen am Ausbruch des Krieges. Das Treffen zwischen Mackenzie King und Adolf Hitler war sicherlich mehr als nur ein diplomatischer Austausch. Es offenbart Einblicke in die komplexe Persönlichkeit Kings, seine spirituelle Suche und seine Naivität gegenüber einem der gefährlichsten Diktatoren der Geschichte. Während Hitler seine aggressive Ideologie und Kriegsvorbereitungen weiter vorantrieb, versuchte King, in einer instabilen Welt eine friedliche Lösung zu finden – jedoch mit einer gefährlichen Fehlbewertung seines Gegenübers. Historisch betrachtet steht dieses Ereignis symbolisch für die Herausforderungen vieler Politiker jener Zeit, die zwischen Hoffnung auf Frieden und der drohenden Realität eines Krieges zerrieben wurden.
Vor dem Hintergrund der aufkommenden totalitären Regime zeigt das Treffen, wie sehr persönliche Eindrücke und politische Unerfahrenheit die Entscheidungen und Wahrnehmungen von Staatsmännern prägen können. Mackenzie Kings Erfahrung lehrt uns, wie wichtig kritische Distanz und Wachsamkeit in der Diplomatie sind, besonders angesichts von Täuschung und Machtmissbrauch. In der Rückschau ist das Treffen eingefangen im Tagebuch eines Mannes, der verzweifelt versuchte, das Größere zu erfassen, das Schicksal zu verstehen und der unter dem Eindruck einer charismatischen, aber zugleich verhängnisvollen Figur stand. Ohne Zweifel prägt diese Begegnung die Erinnerung an Kings politische Karriere und das schwierige Erbe der Vorkriegszeit in ganz besonderer Weise.