Die Biotechnologiebranche steht aktuell vor einer bislang selten erlebten Unsicherheit, die von Experten als „Unsicherheit auf Steroiden“ beschrieben wird. Dieses extreme Maß an Unvorhersehbarkeit wirkt sich unmittelbar auf die Merger-und-Acquisition (M&A)-Aktivitäten aus. Wo früher noch Euphorie und hohe Transaktionszahlen den Markt prägten, sorgt heute eine zurückhaltende Stimmung für einen spürbaren Rückgang bei großen Übernahmen. Sowohl Käufer als auch Verkäufer agieren vorsichtiger und versuchen, ihre Strategien an die volatilen Rahmenbedingungen anzupassen.Die Anfang 2025 noch vorhandene Hoffnung auf eine Belebung der Biotech-M&A-Szene wurde bereits im Januar zunächst durch spektakuläre Deals wie der 15-Milliarden-Dollar-Kauf eines Gehirndarmentwicklers durch Johnson & Johnson bestätigt.
Solche großen Transaktionen ließen Experten optimistisch in die Zukunft blicken. Doch ziemlich schnell folgten starke Turbulenzen an den Aktienmärkten, die den Optimismus deutlich dämpften. Insbesondere die politische Landschaft mit der Rückkehr eines früheren Präsidenten sorgte für starke Schwankungen, die langfristige Planungen und das Vertrauen in teure Deals massiv erschweren.In einer solch volatilen Marktsituation neigen Käufer dazu, Risikoscheu an den Tag zu legen, was zu einem markanten Wandel im Verhalten führt. Anstatt Risiken einzugehen, setzen sie vermehrt auf eine abwartende Position.
Die Angst vor Fehlentscheidungen überwiegt deutlich den Druck, überhaupt noch an attraktiven Übernahmen teilzunehmen. Die Folge: Große Transaktionen werden häufiger verschoben oder sogar komplett abgesagt, wie Branchenkenner aus Anwaltskanzleien berichten. Deals, die früher binnen weniger Wochen abgewickelt wurden, ziehen sich heute über Monate hin und bleiben oftmals ungewiss.Mit der vorsichtigen Haltung der Käufer geht eine Schwächung der Verhandlungsposition der Verkäufer einher. Diese sind zunehmend gezwungen, ihre Preisvorstellungen zu senken, um nicht den Anschluss an den Markt zu verlieren.
Manche Managementteams tun sich mit dieser neuen Realität schwer, was den Verkaufsprozess zusätzlich verkompliziert. Der ehemals optimistische Geist, der M&A-Aktivitäten über Jahre beflügelte, ist merklich verflogen und wird von einer pragmatischeren, vorsichtigeren Grundhaltung abgelöst.Die breite Biotech-Aktienlandschaft spiegelt diese Unsicherheit wider. Die Kurse schwanken in ähnlichem Maß wie die großen Aktienindizes: Der S&P 500, Nasdaq und der SPDR S&P Biotech ETF zeigen seit Anfang 2025 einen volatilen Kursverlauf, wodurch sowohl Investoren als auch Unternehmensentscheider eine schwierige Lage vorfinden. Diese Volatilität erhöht den Druck auf alle Beteiligten, noch intensiver Sorgfalt bei der Due Diligence walten zu lassen und kritischer zu prüfen, bevor Commitment zu großen Transaktionen gegeben wird.
Eine weitere interessante Beobachtung aus der Praxis ist die Tendenz der Käufer, mehrere Transaktionsprozesse parallel laufen zu lassen. Anwendungen für M&A-Projekte häufen sich, werden aber zunehmend eingehender untersucht und hinterfragt. Es kommt aufgrund dieser sorgfältigen Prüfung öfter zu plötzlichen Absagen ohne klare Gründe. Manche Experten deuten dies als Folge eines Lernprozesses, bei dem aus Fehlern aus Boom-Phasen zuvor Konsequenzen gezogen wurden. Die Lektion: Hektische oder überschnelle Deals bergen erhebliche Risiken, weshalb man nun vorsichtiger ist und lieber mehrere Eisen im Feuer hält, ohne sich übereilt zu entscheiden.
Vor diesem Hintergrund werden insbesondere große Deals im Milliarden-Bereich zur Herausforderung. Die Anforderungen an Finanzierungsmodelle, regulatorische Prüfungen und strategische Passungen erhöhen sich, wenn der Markt schwankt. Unternehmen und Berater sehen sich gezwungen, neue Best Practices für Verhandlungen und Deal-Strukturen zu entwickeln, um Flexibilität und Vorsicht zu vereinen.Die Veränderung der Mentalität zeigt sich auch in den Beratungs- und Rechtsgesellschaften, die in der Biotech-Branche tätig sind. Beispielsweise berichtet Goodwin Procter, eine führende Life-Sciences-Kanzlei, von einer Verlängerung der Deal-Zeiträume von wenigen Wochen auf mehrere Monate.
Im Gegensatz zur bisherigen Erfahrung fällt es derzeit schwer, abzusichern, welche Projekte überhaupt zu einem erfolgreichen Abschluss kommen. Diese langsamen und ungewissen Verhandlungsprozesse wirken sich insgesamt auf die Branchenstimmung aus und mindern das Vertrauen in schnelle Erfolge.Die politische Unsicherheit als externer Faktor spielt weiterhin eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Rückkehr ehemaliger Regierungsvertreter mit teils unvorhersehbaren wirtschafts- und handelspolitischen Signalen trägt zu den volatilen Märkten bei. Während manche Analysten anfangs noch für eine solide Wachstumsförderung im Biotech-Sektor durch diese politische Konstellation hofften, dominieren mittlerweile eher Schwankungen und Risikoabschottung.
Gerade für kapitalintensive Deals im Biotech-Bereich, die auf langfristige Wertschöpfung angelegt sind, ist das ein kritischer Faktor.Die Zukunft der Biotech-M&A wird stark davon abhängen, wie sich die globale Wirtschaftslage und insbesondere die Kapitalmärkte entwickeln. Sollte sich die Volatilität beruhigen oder zumindest neue Regulierungen und politische Richtlinien für mehr Stabilität sorgen, könnten die Akteure wieder zu einer aktivieren Deal-Pipeline zurückkehren. Bis dahin bleibt jedoch eine vorsichtige Grundhaltung entlang der gesamten Wertschöpfungskette erhalten.Diese neue Realität erfordert von allen Marktteilnehmern eine erhöhte Flexibilität und ein Umdenken bei Geschäftsstrategien.
Käufer müssen neben der Überprüfung konventioneller Bewertungsmodelle auch alternative Finanzierungsformen und Partnerschaften stärker in Betracht ziehen. Verkäufer hingegen sind gefordert, ihre Geschäftsmodelle sowie die Kommunikation mit Investoren und potenziellen Übernehmern transparent und adaptiv zu gestalten, um Vertrauen auch in schwierigen Zeiten zu sichern.Gleichzeitig zeigt diese Phase der Unsicherheit auch Chancen: Innovativere Unternehmen können mit durchdachten M&A-Strategien bei abgeschwächter Konkurrenz neue Marktanteile erobern. Effizientere Due-Diligence-Prozesse und moderne Technologien können den Prüfungsaufwand optimieren und so sämtliche Transaktionsabläufe schlanker gestalten.Die Biotech-Branche bleibt trotz aller Schwierigkeiten ein dynamischer Sektor mit immensem Innovationspotenzial.
Die aktuellen Herausforderungen bei Deals spiegeln die Übergangsphase in einem komplexen wirtschaftlichen Umfeld wider. Für Investoren und Unternehmen gleichermaßen gilt es, Geduld, Sorgfalt und strategische Weitsicht zu pflegen, um gestärkt aus dieser Periode der „Unsicherheit auf Steroiden“ hervorzugehen und die nächsten Wachstumschancen gezielt zu nutzen.