Der Chaco Canyon in New Mexico zählt zu den wichtigsten archäologischen Stätten Nordamerikas und bildet ein zentrales Element der Kultur der Ancestral Puebloans, einer der bedeutendsten indigenen Kulturen der Region. Er zieht Forscher, Archäologen und Besucher aus aller Welt an, fasziniert von seinen monumentalen Sandsteingebäuden und seiner mysteriösen Vergangenheit. In den letzten Jahrzehnten waren jedoch vor allem die indigenen Gemeinschaften, die das Gebiet heute bevölkern, in den Hintergrund gerückt. Jetzt hat eine bahnbrechende genetische Studie die historische Verbindung zwischen dem Picuris Pueblo und dem Chaco Canyon wissenschaftlich bestätigt und damit die mündlichen Überlieferungen und kulturellen Traditionen der Pueblo-Leute untermauert. Das Picuris Pueblo ist eine staatlich anerkannte indigene Nation in New Mexico mit einer reichen Geschichte, die tief mit der Geschichte des Chaco Canyon verwoben ist.
Seit Generationen erzählen die Mitglieder des Picuris Pueblo von ihrer Herkunft und ihrem untrennbaren Zusammenhang mit der Region rund um den Chaco Canyon. Doch diese Erzählungen wurden in der wissenschaftlichen Gemeinschaft oft übersehen oder ignoriert. Die Mehrheit historischer Forschungen zur Prähistorie der Region basierte auf archäologischen Ausgrabungen und relativen Datierungsmethoden, die wenig Raum für die direkten Stimmen der heutigen Indigenen ließen. In einem ungewöhnlichen Schritt haben die Leitung des Picuris Pueblo und ein internationales Team von Genetikern eine Zusammenarbeit ins Leben gerufen, die gezielt alte DNA von Überresten aus dem Chaco Canyon mit der DNA heutiger Picuris-Pueblo-Mitglieder vergleichen sollte. Diese Initiative ist bemerkenswert, da sie die indigene Gemeinschaft selbst in den Mittelpunkt der Forschung stellt – ein deutlicher Bruch mit der lange vorherrschenden Praxis, in der solche Studien ohne Zustimmung der lokalen Bevölkerung durchgeführt wurden.
Das Ziel war es, die mündlichen Überlieferungen mit harten wissenschaftlichen Daten zu ergänzen, um die kulturelle Geschichte gemeinsam zu bewahren und zu stärken. Die Untersuchungen ergaben, dass die Genome von 13 lebenden Mitgliedern des Picuris Pueblo eine starke genetische Übereinstimmung mit Überresten von 16 Individuen aufweisen, die zwischen 1300 und 1500 nach Christus in unmittelbarer Nähe des Chaco Canyon lebten. Diese Ergebnisse wurden im renommierten Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht und markieren einen Meilenstein in der Erforschung nordamerikanischer Urbevölkerungsgeschichte. Die Daten bestätigen nicht nur eine direkte Abstammungslinie, sondern zeigen auch, dass das Pueblo-Bewusstsein über Generationen hinweg fortgeführt wurde, ohne Unterbrechung. Diese wissenschaftliche Bestätigung hat für das Picuris Pueblo weitreichende Bedeutungen.
Lieutenant Governor Craig Quanchello brachte es auf den Punkt, als er erklärte, dass die mündlichen Überlieferungen ihres Volkes oft ignoriert oder gar ausgelöscht wurden. Nun aber ermöglicht die DNA-Forschung ihnen, ihre Geschichten mit unwiderlegbaren Beweisen untermauern zu können: "Unsere Geschichte ist echt, unsere Wurzeln sind tief, und wir haben das Recht, unser kulturelles Erbe zu schützen." In einer Zeit, in der der Erhalt indigener Kultur und die Rechte der indigenen Völker zunehmend ins öffentliche Bewusstsein rücken, gibt diese Erkenntnis dem Picuris Pueblo eine stärkere Stellung in den politischen und gesellschaftlichen Debatten rund um den Schutz der historischen Stätte Chaco Canyon. Neben seiner archäologischen Bedeutung ist Chaco Canyon heute auch ein Brennpunkt für Umwelt- und Kulturfragen. Die US-Regierung plant oder genehmigt immer wieder Öl- und Gasbohrungen sowie Bergbauprojekte in der Nähe des Parks, was Befürchtungen über negative Auswirkungen auf die Stätte und das umliegende Ökosystem hervorruft.
Die genetischen Erkenntnisse liefern den Indigenen eine zusätzliche Argumentationsgrundlage, um sich gegen solche Projekte auszusprechen. Brian Vallo, Mitglied des Acoma Pueblo und Leiter der Chaco Heritage Tribal Association, betont, wie essenziell solche historischen Verbindungen für den Schutz der Kultur und Natur dieser Region sind. Die Orte, die von ihren Vorfahren erbaut wurden, sind bis heute lebendige Zentren für indigene Identität und gemeinschaftliches Leben. Die Erhaltung von Chaco Canyon ist mehr als nur die Bewahrung alter Steine. Es geht um den Respekt gegenüber einer Kultur, die über Jahrtausende ihre Traditionen, Sprache und Gesellschaftsstruktur aufrechterhielt.
Paul Reed, Archäologe bei Archaeology Southwest, weist darauf hin, dass die Beschreibung von Chaco als "verlorene Zivilisation" sowohl irreführend als auch schädlich ist, da dadurch die fortwährende Präsenz und Bedeutung der Pueblo-Kulturen in der Gegenwart geleugnet wird. Die genetische Studie des Picuris Pueblo steht außerdem exemplarisch für neue Modelle der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und indigenen Gemeinschaften. Lange Zeit war die Forschung zum Beispiel in Anthropologie und Archäologie durch einseitige Entscheidungen geprägt, bei denen die indigene Bevölkerung kaum Mitbestimmung hatte. Diese Kooperation hingegen legt den Grundstein für eine Zukunft, in der indigene Stimme und Selbstbestimmung in wissenschaftlichen Projekten zentral sind. Es ist ein Schritt, der Respekt und Gleichberechtigung signalisiert und zeigen kann, wie wichtige kulturelle Fragen bearbeitet werden sollten.
Obwohl die Studie keine anderen Pueblo-Stämme von ihrer historischen Beziehung zum Chaco Canyon ausschließt, stellt sie dennoch einen fundamentalen Beitrag zu unserem Verständnis der Langzeitbesiedlung und Kontinuität in der Region dar. Die 19 Pueblo-Stämme New Mexicos teilen viele kulturelle und historische Gemeinsamkeiten, doch die direkte genetische Verknüpfung mit den Überresten aus Chaco Canyon unterstreicht die besondere Rolle und das authentische Erbe des Picuris Pueblo. Die archäologische Stätte Chaco Canyon wurde 1987 in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen und steht heute unter Verwaltung des National Park Service der Vereinigten Staaten. Sie fasziniert durch ihre komplexe Architektur, die etwa multistoried Häuser und speziell angelegte Zeremonienräume umfasst. Die Entdeckung der genetischen Verbindungen verleiht der Bedeutung dieser Stätte eine neue Dimension mit Blick auf kulturelle Kontinuität und gesellschaftliche Relevanz.
Der Chaco Canyon ist kein Museum vergangener Zeiten, sondern ein lebendiger Ort mit lebendigen Nachfahren. Die Ergebnisse der DNA-Analyse sind für die indigenen Gemeinschaften nicht nur ein wissenschaftlicher Beweis, sondern auch ein emotionaler und spiritueller Moment. Sie bedeuten eine stärkere Verankerung ihrer Identität und helfen dabei, Erzählungen der eigenen Geschichte mit unwiderlegbaren Belegen zu unterstützen. Die Herausforderung wird nun darin bestehen, diese Erkenntnisse für den nachhaltigen Schutz der Stätte und ihrer Bevölkerung zu nutzen und politischen Einfluss zu gewinnen. In einer Zeit, in der viele indigene Kulturen weltweit für Anerkennung und Schutz kämpfen, liefert der Fall des Picuris Pueblo ein positives Beispiel, wie traditionelle Wissen, Wissenschaft und gemeinschaftliches Engagement Hand in Hand gehen können.
Es zeigt, dass alte Geschichten und moderne Technologien zusammenwirken können, um kulturelle Wahrheiten zu bewahren und zu stärken – für das heutige und kommende Generationen. Die genetische Studie des Picuris Pueblo ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie altes Erbe in der Gegenwart lebendig gehalten wird. Sie ruft eindringlich dazu auf, Chaco Canyon nicht als eine vergessene Vergangenheit, sondern als einen bedeutsamen Teil einer fortwährenden Geschichte zu sehen. Die authentische Verbindung zwischen den Menschen von heute und ihren Vorfahren stärkt nicht nur den kulturellen Zusammenhalt, sondern mahnt auch zum verantwortungsvollen Umgang mit einer der wichtigsten historischen Stätten Amerikas. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Forschung einen Wendepunkt darstellt – nicht nur für die Wissenschaft, sondern besonders für indigene Völker, die durch diese Daten ihre eigene Geschichte neu erzählen können.
Es ist ein Aufruf an Politik, Gesellschaft und Wissenschaft, die Rechte und die Kultur der indigenen Gemeinschaften zu respektieren und zu schützen sowie die vielfältigen Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart wertzuschätzen.