Der Mount Everest, mit einer Höhe von 8.849 Metern der höchste Gipfel der Erde, zieht Jahr für Jahr zahlreiche Bergsteiger aus aller Welt an. Die Besteigung dieses Gipfels gilt als ultimative Herausforderung im Bergsteigen, geprägt von jahrelanger Erfahrung, körperlicher Vorbereitung und einer sorgfältigen Akklimatisierungsphase. Doch in den letzten Monaten wurden Rekorde aufgestellt, die viele Beobachter verblüfft haben. Ganze Expeditionen gelangen in Rekordzeit vom Meeresspiegel auf den Gipfel, oft unterstützt durch neuartige Technologien wie Xenon-Gasbehandlungen und Hypoxie-Zelte.
Diese Entwicklungen spalten die Gemeinschaft der Bergsteiger und vor allem die nepalesischen Sherpas, die traditionell eine zentrale Rolle bei Everest-Besteigungen einnehmen und deren Kultur nun gefährdet zu sein scheint. Eine der bemerkenswertesten Episoden war der Aufstieg eines britischen Teams ehemaliger Spezialkräfte, das in nur wenig mehr als vier Tagen vom Flieger in London auf den Gipfel in Nepal gelangte. Kurz darauf absolvierte der US-ukrainische Bergsteiger Andrew Ushakov einen ähnlichen Aufstieg in unter vier Tagen. Üblicherweise dauert die Akklimatisierung auf der Everest-Route mehrere Wochen, wobei die Bergsteiger in Basislagern auf verschiedene Höhen aufsteigen und sich wieder erholen, sodass der Körper sich an die dünnere Luft mit weniger Sauerstoff gewöhnen kann. Das Versäumnis dieser Phase kann zu Höhenkrankheit führen, die auf über 8.
000 Metern, in der sogenannten „Todeszone“, schnell lebensbedrohlich werden kann. Neue Methoden der Akklimatisierung finden zunehmend Anwendung, darunter die Nutzung von Xenon-Gas, das die Bildung von roten Blutkörperchen fördern soll, die für den Sauerstofftransport im Körper zuständig sind. Die britischen Spezialkräfte erhielten zweieinhalb Wochen vor ihrem Abflug eine etwa 30-minütige Behandlung unter Xenon in einer Klinik in Deutschland. Diese experimentelle Methode wird von einigen Experten kritisch betrachtet, da wissenschaftliche Belege noch fehlen und die Welt-Anti-Doping-Agentur diese Substanz im Sport verbietet. Dennoch argumentiert der österreichische Expeditionsleiter Lukas Furtenbach, der die Xenon-Technologie entwickelt und angewandt hat, dass dieser Ansatz die Belastung für den Körper bei großen Höhen deutlich vermindert.
Er hebt auch die Umweltvorteile hervor, denn schnellere Aufstiege würden weniger Müll, weniger menschliche Exkremente und insgesamt eine geringere Belastung für den sherpakulturellen Wirtschaftsraum bedeuten. Dem gegenüber stehen zahlreiche Stimmen von Sherpas und nepalesischen Traditionsträgern, die besorgt sind, dass der rapide Technologiefortschritt nicht nur die kulturellen Werte des Everest-Tourismus bedroht, sondern gleichzeitig auch die ökonomische Stabilität gefährdet. Die Sherpa-Gemeinschaft ist seit jeher tief in das Bergsteigen am Everest eingebunden, von der Organisation bis zur physischen Unterstützung der Expeditionen. Für viele Sherpas ist das traditionelle Vorgehen beim Aufstieg nicht nur ein Beruf, sondern ein Teil der Gemeinschaftsidentität und spiritueller Praxis. Der Präsident der Nepal Mountaineering Association, Nima Nuru Sherpa, stellt klar, dass schnelle Ausflüge in nur vier oder fünf Tagen dem traditionellen Weg widersprechen, bei dem die Akklimatisierung als wichtiger Bestandteil betrachtet wird.
Neben der kulturellen Kritik gibt es auch Sicherheitsbedenken: Gerade in der letzten Saison war Everest eine der tödlichsten Regionen weltweit für Bergsteiger. Viele Experten führen die steigenden Todeszahlen auf unerfahrene Bergsteiger zurück, die sich ohne ausreichende Vorbereitung in extrem gefährliche Situationen begeben. Schnellere, technisch unterstützte Aufstiege könnten das Phänomen der „Hobby- oder Wochenend-Bergsteiger“ verstärken, die sich von der vermeintlichen Einfachheit des Vorgangs täuschen lassen, aber die Risiken unterschätzen. Die nepalesische Regierung erwägt daher eine Untersuchung der ethischen und rechtlichen Aspekte der Xenon-Anwendung und der Nutzung künstlicher Akklimatisierung unter Laborbedingungen. Eine verbreitetere Technologie, die Hypoxie-Zelte, wird auch von Andrew Ushakov bei seiner schnellen Besteigung verwendet.
Diese Zelte simulieren in Wohnumgebungen niedrigere Sauerstoffwerte, was den Körper dazu bringt, sich ähnlich wie auf großen Höhen vorzubereiten. Ushakov investierte mehr als 400 Stunden, hauptsächlich im Schlaf, um sich auf seinen Aufstieg vorzubereiten. Diese Methode ist inzwischen bei rund zehn bis fünfzehn Prozent der Everest-Bergsteiger etabliert und erfreut sich wachsender Beliebtheit. Hersteller von Hypoxie-Zelten sehen diese Technologie als Mittel zur Erhöhung der Sicherheit, nicht primär zur Beschleunigung des Aufstiegs. Dennoch bleibt auch diese Methode nicht frei von Kritik, da die Kosten für Miete und Anwendung deutlich über 1.
500 US-Dollar liegen, was potenziell eine soziale Grenze für viele Bergsteiger aus ärmeren Regionen darstellt. Die Debatte rund um die neuen Technologien und schnellen Rekordbesteigungen wirft grundsätzliche Fragen zur Ethik und Kultur des Alpinismus auf. Khimlal Gautam, Leiter des Teams, das 2019 die neue Höhe des Everest vermessen hat, warnte vor einer Zukunft, in der technologische Hilfsmittel wie Helikopter den Gipfel problemlos erreichbar machen könnten. Solche Entwicklungen könnten nicht nur die körperliche Herausforderung der Besteigung obsolet machen, sondern auch die spirituelle und kulturelle Bedeutung des Bergsteigens verändern. Für Gautam steht fest, dass nun ein klarer ethischer Kodex für den Bergsport etabliert werden müsse, um Traditionen zu schützen und Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Natur und den lokalen Gemeinschaften zu fördern.
Umweltaspekte spielen ebenfalls eine wichtige Rolle in der Debatte. Der Everest steht schon heute vor großen ökologischen Problemen: der zunehmende Massentourismus führt zu Müllbergen, menschlicher Verschmutzung und Bedrohung der sensiblen alpinen Ökosysteme. Befürworter der Xenon-Methode argumentieren, dass kürzere Aufstiege die Umweltbelastung reduzieren könnten, da weniger Ausrüstung und Verpflegung benötigt werden und die Zeit zur Hinterlassenschaft auf dem Berg minimiert wird. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass das Einführen neuer Technologien den Tourismus aufblähen könnte und im Endeffekt zu einer erhöhten Gesamtzahl an Besteigungen und damit mehr Umweltschäden führen müsse. Die nepalesische Regierung steht vor der Herausforderung, einerseits innovative Ansätze zuzulassen, die Sicherheit und Umweltschutz verbessern können, andererseits aber den gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Interessen der Sherpa-Bevölkerung gerecht zu werden.
Bisher gibt es keine klaren Richtlinien, wie mit modernen Akklimatisierungsmethoden umgegangen werden soll. Die bisherige Vergabe von etwa 400 Klettererlaubnissen pro Saison erlaubt es Bergsteigern, den Verbleib auf dem Berg frei zu interpretieren, ohne Mindestaufenthalte oder gar Akklimatisierungszwänge. Sollte sich der Trend der schnellen aufstiege verstärken, könnte dies die bestehende Regulierung infrage stellen. Zusammenfassend steht der Bergsport vor einem Scheideweg: Die Kombination aus wissenschaftlichen Innovationen, ethischen Überlegungen und bewahrenswerten Traditionen wird darüber entscheiden, wie die Zukunft der Everest-Besteigungen gestaltet wird. Die Sherpas appellieren an den Respekt vor ihrem Erbe und warnen vor einer zu starken Technologisierung, die den Berg nur als Sportarena sieht und traditionelle Werte ignoriert.
Zugleich zeigen sich einige Bergsteiger und Experten optimistisch, dass neue Methoden die Sicherheit steigern, Umweltprobleme mindern und den Everest in seiner einzigartigen Pracht besser schützen können. Entscheidend wird sein, dass alle Beteiligten – von lokalen Gemeinden über Expeditionsteams bis hin zu Regierungen – gemeinsam einen fairen und nachhaltigen Weg finden, um das Bergsteigen am höchsten Punkt der Erde auch für zukünftige Generationen zu bewahren.