In einer Zeit, in der soziale Medien unser tägliches Leben, unsere politische Meinungsbildung und gesellschaftlichen Austausch prägen, wächst auch die Kritik an deren intransparenten Algorithmen, kommerziellen Interessen und der Konzentration von Macht in wenigen Händen. Das offene soziale Web (Open Social Web) präsentiert sich als demokratische, transparente und technisch zugängliche Alternative zu den großen, zentralisierten sozialen Netzwerken. Diese offenen Plattformen setzen auf offene Protokolle, ermöglichen dezentrale Kontrolle und fördern vielfältige Gemeinschaften. Doch für einen langfristigen Erfolg ist die Frage der Finanzierung essenziell – wie kann das offene soziale Web nachhaltig wachsen, ohne seine Grundwerte zu kompromittieren? Das stellt eine echte Herausforderung dar, denn die Entwicklung und der Betrieb solcher Plattformen benötigen Ressourcen, die sich oft nur schwer mit den Prinzipien von Offenheit und Gemeinwohl vereinbaren lassen. Die bisherigen Mechanismen zur Finanzierung offener Plattformen sind vielfältig, weisen jedoch Grenzen auf.
Gemeinnützige Stiftungen vergeben zum Beispiel Grants für Projekte, die demokratische Medien, Medienpluralismus und digitale Rechte fördern. Diese Fördergelder ermöglichen insbesondere Start-ups oder Initiativen, erste Prototypen zu entwickeln, Nutzerbedürfnisse zu erforschen oder Protokolle zu verbessern. Solche Zuschüsse entlasten die Entwickler von finanziellen Zwängen und geben Raum für Innovation, doch sie sind oft zeitlich begrenzt, mit hohen bürokratischen Anforderungen verbunden und können keine dauerhafte Infrastruktur sicherstellen. Spenden, eine weitere klassische Finanzierungsquelle, basieren auf der Großzügigkeit von Einzelpersonen und Gemeinschaften, die sich einer Mission verbunden fühlen. Projekte wie Mastodon haben erfolgreich Mittel über Patreon oder GitHub Sponsors eingesammelt, was laufende Kosten zumindest teilweise bezahlt.
Allerdings sind Spenden schwer planbar, abhängig von öffentlichen Aufmerksamkeitsspitzen und oft nicht ausreichend, um den Aufbau großer, skalierbarer Plattformen zu gewährleisten. Zudem ist die Arbeit hinter den Kulissen – also Infrastruktur, Sicherheit und Wartung – für potenzielle Spender häufig wenig greifbar oder emotional motivierend. Crowdfunding-Kampagnen bieten die Möglichkeit, durch gezielte Aktionen Finanzmittel für konkrete Produktideen oder neue Funktionen zu generieren. Dieses Modell ist effektiv, wenn bereits eine Community existiert, die verbindlich unterstützt. Die Hürde liegt darin, wiederkehrende Einnahmen zu generieren, da Crowdfunding zumeist Einmalzahlungen sind.
Überdies benötigt eine Kampagne viel Vorbereitung, Marketing und Community-Management, was bei kleinen Teams zusätzliche Belastung darstellt. Zudem profitieren Kampagnen häufig Gründer mit Netzwerken aus wohlhabenden und einflussreichen Kreisen – was gesellschaftliche Ungleichheiten reflektieren kann. Die klassische Venture Capital-Finanzierung ist in der Technologiebranche weit verbreitet, bringt jedoch mit sich, dass Aussicht auf hohe Renditen, schnelles Wachstum und ein Exit im Vordergrund stehen. Dies kollidiert oft mit den Prinzipien des offenen sozialen Webs, das sich durch demokratische Governance, Nutzerorientierung und Werteorientierung auszeichnet. Venture Capitaler erwarten oft eine Unternehmensstruktur, die auf Gewinnmaximierung ausgelegt ist, und strategische Entscheidungen werden durch wirtschaftliche Interessen beeinflusst.
Für Projekte, die der Gesellschaft langfristig dienen wollen, entsteht hier ein Spannungsfeld, das wichtige demokratische Werte gefährden kann. Zudem ist der Zugang zu VC-Finanzierung stark von bestehenden Netzwerken und Privilegien abhängig, was Gründerinnen und Gründer aus unterrepräsentierten Gemeinschaften benachteiligt. Eine vielversprechende Alternative stellt die Finanzierung auf Basis von Umsatzbeteiligungen dar. Dabei investieren Geldgeber in ein Unternehmen und erhalten im Gegenzug einen Anteil am Umsatz, bis das investierte Kapital plus Rendite zurückgezahlt ist. Dieses Modell ist nicht direkt an ein schneller Wachstum oder einen Exit gebunden, wodurch Gründer ihre Vision eigenständiger verfolgen können.
Allerdings verlangt dieses Modell von Startups eine recht frühzeitige Monetarisierung, was bei infrastrukturlastigen oder langsam wachsenden Angeboten eine Herausforderung sein kann. Zuletzt hatten einige Fonds, die dieses Modell verfolgten, Schwierigkeiten, erfolgreich zu bleiben, da auch Investoren mit diesem weniger traditionellen Modell zunächst wenig vertraut sind. Bootstrapping, also die Finanzierung aus eigenen Mitteln, ist für manche Entwickler ein Weg zur Unabhängigkeit und bringt eine enge Kundenbindung mit sich. Ohne externe Kapitalgeber entsteht direkter Druck, Produkte zu entwickeln, die Nutzer wirklich benötigen. Allerdings ist dies für die meisten Gründer aus finanzieller Sicht nicht leicht realisierbar, weil Ersparnisse begrenzt sind und keine größeren Teams oder Infrastruktur aus diesem Mittel finanziert werden können.
Weiterhin trägt die Gründerperson allein das Risiko und die emotionale Last. Vor diesem Hintergrund entsteht die Vision eines kombinierten Finanzierungsmodells, das sowohl das gemeinnützige als auch das kommerzielle Spektrum abdeckt. Das hypothetische Modell „Pro-Social“ könnte ein solches Beispiel sein. Es kombiniert eine Stiftung, die non-profit Projekte mit Grants unterstützt, und eine Ventures-Einheit, die zu fairen Konditionen in kommerzielle Startups investiert. Das Ziel wäre, vielfältige und inklusive Gründerteams zu unterstützen, die sich durch technische, gestalterische und betriebliche Kompetenzen auszeichnen und Plattformen entwickeln, die einen echten Mehrwert für Gemeinschaften liefern.
Der Ansatz beruht darauf, dass sich unterschiedliche Projekte unterschiedlich finanzieren lassen. Gemeinnützige Infrastruktur oder Werkzeuge, die dem gesamten Ökosystem dienen, sollten über gezielte Förderungen unterstützt werden, während Plattformen mit Skalierbarkeit und Marktperspektive Zugang zu Kapital benötigen, aber ohne die typischen Zwänge des klassischen Venture Capitals. So soll das Wachstum der offenen sozialen Plattformen ohne den Verlust von demokratischer Steuerung oder Nutzernähe möglich sein. Essenziell ist außerdem ein inklusives Auswahlverfahren, das auf einer offenen Bewerbung beruht, um Barrieren für Gründerinnen und Gründer aus unterrepräsentierten Gruppen abzubauen. Die Bewertung orientiert sich an der Gründermentalität, der Bereitschaft zu Anpassung, Nutzerorientierung und der Fähigkeit, eine Gemeinschaft mit Respekt zu pflegen.
Neben der finanziellen Unterstützung werden Beratungen, Netzwerkmöglichkeiten und regelmäßige Treffen angeboten, um Wissen zu teilen und Synergien zu schaffen. Im Bereich der Venture-Finanzierung könnte Pro-Social mit einem hybriden Modell zwischen Umsatzbeteiligung und klassischem Aktieninvestment arbeiten. Dabei erhalten Gründer im Frühstadium ein Kapital, das durch einen Anteil am Umsatz zurückgezahlt wird. Dies ist fair für beide Seiten, da das Risiko verteilt und eine Überforderung durch Nachfrage nach extrem schnellem Wachstum abgemildert wird. Das Modell vorsieht auch eine Umwandlung in Aktienanteile, falls doch klassische Finanzierungsrunden aufgenommen werden.
Außerdem wird die Option unterstützt, dass Unternehmen später in gemeinschaftseigene Organisationen wie Genossenschaften oder Community Trusts „exiten“ können – also die Eigentümerschaft an Nutzer oder Mitarbeitende übergehen kann. Ein solcher Exit zu Gemeinschaftsmodellen ist auf dem offenen sozialen Web besonders relevant, um langfristig demokratische Governance sicherzustellen. Die Finanzierung des Fonds selbst könnte aus Stiftungszuwendungen, Beiträgen von Technologieunternehmen, die ein Interesse an einer gesunden Internetlandschaft haben, und wohlhabenden Personen erfolgen, die soziale und technologische Ziele unterstützen. Dabei werden klassische institutionelle Investoren bewusst gemieden, um den mission-driven Charakter zu erhalten. Erfolg wird nicht nur anhand finanzieller Kennzahlen bemessen, sondern auch an der Nachhaltigkeit der Projekte, der Diversität der Gründerlandschaft, der Lebendigkeit der Community und der Anzahl von Plattformen, die ihre Eigentümerschaft in Nutzerhände überführen.
Durch diese Messgrößen kann langfristig die Wirkung des offenen sozialen Webs auch außerhalb der reinen Techniklandschaft dokumentiert werden. Für die digitale Gesellschaft birgt das offene soziale Web das Potenzial, Diskurse vielfältiger zu gestalten, demokratische Entscheidungen transparenter zu machen und Machtkonzentrationen entgegenzuwirken. Damit dieser idealistische Entwurf in die Realität wächst, braucht es nicht nur technisches Können, sondern auch ein Bewusstsein für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Bereitschaft, in nachhaltige und inklusive Modelle zu investieren. Der Aufbau eines solchen Finanzierungsökosystems verlangt Mut, Geduld und die Zusammenarbeit von Gründern, Geldgebern und Nutzerinnen und Nutzern. Dabei sind kleinere Pilotprojekte, die neue Finanzierungsmodelle ausprobieren, genauso wichtig wie eine offene Diskussion über Werte und Ziele des offenen sozialen Webs.
Nur so lässt sich eine Infrastruktur schaffen, welche die digitale Öffentlichkeit von morgen trägt – eine, die Gemeinschaft fördert statt auszubeuten, Transparenz schafft statt zu verschleiern und allen die Teilhabe ermöglicht. Die Zeiten, in denen gemeinnützige, offene digitale Räume ohne adäquate Finanzierung auskommen konnten, neigen sich dem Ende zu. Die Frage ist nicht mehr, ob wir das offene soziale Web unterstützen, sondern wie wir es klug und werteorientiert fördern. Denn ein besseres Internet entsteht durch gemeinsame Verantwortung und Investition in eine vielfältige, nachhaltige digitale Zukunft.