Vor etwa 120 Millionen Jahren, während der frühen Kreidezeit, befand sich das heutige südöstliche Australien in unmittelbarer Nähe zum Südpol – ein Ort, der damals von üppigen, polar geprägten Wäldern bedeckt war. Ein Forscherteam hat nun eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht: Fossiler Termitenkot, auch als Koprolithen bekannt, entpuppt sich als eine unschätzbare Quelle für paläontologische Erkenntnisse über diese längst vergangenen Waldökosysteme. Die Analyse dieser sogenannten „Termitenkothäufchen“ ermöglicht einzigartige Einblicke in das Zusammenleben von Insekten, Pflanzen und Klima, die Millionen von Jahren zurückliegen. Diese Erkenntnisse werfen zugleich Licht auf die Rolle von Termiten in der Evolution der globalen Ökosysteme und die Wechselwirkungen zwischen Organismen in einer extremen polaren Umgebung der Urzeit. Die fossilen Termitennester wurden nahe der Küstenstadt Inverloch in Victoria entdeckt, innerhalb eines versteinerten Baumstamms.
Auffällig sind die zahlreichen, hexagonal geformten Kotpellets, die anhand ihres spezifischen Aussehens und ihrer Größe den Urhebern – den Termiten – zugeordnet werden können. Die strukturierte Form des Kots spiegelt die komplexe Darmmuskulatur der Insekten wider, die vor der Ausscheidung Wasser effizient zurückgewinnen und so eine charakteristische sechseckige Form schaffen. Damit handelt es sich um den ältesten bekannten Nachweis für Termiten in Australien und wohl sogar für ein derartiges Nest aus der Zeit der Dinosaurier. Dies ist ein bedeutender Fund, da Termiten weltweit als ökologische Schlüsselakteure gelten, die tote Biomasse abbauen und Nährstoffkreisläufe in Wäldern antreiben. Die Anwesenheit von Termiten in diesem polaren Umfeld stellt eine besondere Überraschung dar, denn heutige Termiten sind selten in Regionen mit langandauernden Frösten oder extremen Temperaturschwankungen anzutreffen.
Die heutige Bedeutung von Termiten ergibt sich vor allem aus ihrer Fähigkeit, Holz effizient abzubauen, was wiederum die Zersetzung und die Umwandlung von totem Pflanzenmaterial beschleunigt und somit die Bodenfruchtbarkeit unterstützt. Dass Termiten dies bereits vor über hundert Millionen Jahren im damals noch grün bewachsenen Australien leisteten, lässt den Schluss zu, dass diese Insekten eine lange Evolutionsgeschichte als Ökosystemingenieure besitzen. Die fossilen Termiten bewohnten Wälder, die sich deutlich von den heutigen australischen Landschaften unterscheiden. Die Kreidezeit war gekennzeichnet von einem feuchteren und kühl-feuchten Klima, welches von dichten Wäldern mit Baumfarnen, Nadelbäumen und vereinzelten blühenden Pflanzen geprägt war. Diese Wälder lagen in einer Landschaft, in der der Tag- und Nachtrhythmus durch extreme saisonale Lichtverhältnisse bestimmt wurde: Während des Winters herrschten mehrere Monate Dunkelheit, gefolgt von ebensolchen Monaten dauerhafter Helligkeit im Sommer.
Diese Bedingungen stellten hohe Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit der Tierwelt. Doch Termiten, ebenso wie verschiedene Dinosaurierarten und andere Insekten, fanden Wege, in dieser besonderen Umgebung zu überleben und sich zu entfalten. Die entdeckten Termitenkothäufchen sind nicht nur wegen ihrer direkten Herkunft bedeutsam, sondern auch durch die Zusammenhänge, die sie über das Ökosystem offenbaren. In unmittelbarer Nähe der Termitenkotstrukturen fanden Wissenschaftler auch winzige, zehnmal kleinere Kotpellets, die von oribatiden Milben stammen dürften. Diese winzigen Spinnentiere gehören zu den ältesten bekannten Lebewesen, die Holz kapseln und zersetzen.
Die Funde bestätigen, dass bereits vor Millionen von Jahren eine komplexe ökologische Interaktion zwischen Termiten und Milben existierte, bei der beide Gruppen dem Abbau von Holz lebenswichtige Funktionen zukamen. Diese Interaktion ist für die Evolution von Nährstoffkreisläufen in Wäldern besonders relevant. Die Methoden zur Untersuchung und zum Nachweis der fossilen Spuren sind technisch höchst anspruchsvoll. Die Forscher nutzten unter anderem fortschrittliche CT-Scans am australischen Synchrotron, einer Forschungseinrichtung, die Röntgenstrahlen und Infrarotstrahlung verwendet, um die innere Struktur und chemische Zusammensetzung der Koprolithen sichtbar zu machen, ohne das Fossil dabei zu zerstören. Darüber hinaus wurden dünne Präparate des versteinerten Holzes unter Hochleistungsmikroskopen analysiert, um feinste Details der Nestarchitektur und der Kotstrukturen zu erfassen.
Diese Kombination aus modernster Technik und klassischer Paläontologie ermöglichte eine präzise Rekonstruktion des Lebensraums und der Verhaltensweisen dieser urzeitlichen Termiten. Der Fund liefert wertvolle Argumente gegen die Annahme, dass Australiens Polarregion während der Kreidezeit von Eisschilden oder dauerhaft gefrorenem Boden dominiert wurde. Die Existenz von Termiten, die heute keine extremen Fröste überleben, weist viel eher auf milde Wintertemperaturen von etwa 6 Grad Celsius im Durchschnitt hin. Das Klima muss damals stabil genug gewesen sein, um die Lebenszyklen der Termiten und anderer Insekten zu ermöglichen. Damit zeigt die Entdeckung auch, wie komplex und vielfältig polare Ökosysteme in der Erdgeschichte gewesen sein können.
Die Erkenntnisse dieser Forschung sind nicht nur aus paläontologischer Sicht spannend, sondern besitzen auch Bedeutung für das Verständnis zukünftiger ökologischer Veränderungen. Termiten spielen heute in vielen Teilen der Welt eine Schlüsselrolle beim Zersetzungsprozess von Holz und organischem Material. Angesichts der aktuellen Klimaerwärmung könnten Termiten in zukünftigen wärmeren und feuchteren Polarregionen eine ähnliche ökologische Rolle einnehmen, wie es ihre Vorfahren bereits taten – mit teils schwerwiegenden Konsequenzen für Böden und Vegetation. Diese Überlegungen eröffnen auch einen neuen Blick auf die Evolution von Insekten sowie auf die Dynamik von Waldökosystemen unter extremen Umweltbedingungen. Die fossilen Termiten und ihre Nester zeigen, dass selbst in der Erdgeschichte polare Regionen niemals vollständig von lebendem Holz und komplexen Lebensgemeinschaften frei waren.
Stattdessen existierte dort ein überraschend reichhaltiges Netz von Interaktionen zwischen Pflanzen und Tieren, das auch heute noch nachhallt. Abschließend verdeutlicht diese Entdeckung, wie wichtig kleine Details wie fossiler Termitenkot für große wissenschaftliche Erkenntnisse sein können. Sie offenbaren nicht nur unbekannte Kapitel der Erdgeschichte, sondern verdeutlichen, dass die kleinen „Baumeister“ des Waldes – die Termiten – schon vor Millionen von Jahren unverzichtbare Akteure im Ökosystem waren. Durch ihre Tätigkeit förderten sie Nährstoffkreisläufe, die das Wachstum und Überleben von Wäldern in schwierigen Umgebungen unterstützten. Termiten sind daher weit mehr als nur ungeliebte Holzzerstörer in heutigen Haushalten.
Sie gehören zu den Urmeistern der Natur, deren altsteinzeitliches Erbe uns heute hilft, besser zu verstehen, wie sich Leben an extreme Bedingungen anpassen und wie Ökosysteme über lange Zeiträume hinweg stabil bleiben können. Entdeckungen wie die in Australien bergen noch viele Antworten für Wissenschaft, Natur und Menschheit – denn in jedem kleinen Kotpellet steckt ein Mosaik aus uralten Lebenswelten, das beschlossen darauf wartet, erzählt zu werden.