Startups, besonders im Software-as-a-Service-Bereich (SaaS), stehen in der Wachstumsphase oft vor einer enormen Herausforderung: das zunehmende organisatorische Chaos. Für viele junge Unternehmen ist der Schritt von einem 50-köpfigen Team zu mehreren Hundert Mitarbeitern eine kritische Übergangsphase. Plötzlich passen nicht mehr alle Mitarbeiter in einen physischen oder virtuellen Raum, die Kommunikation wird komplexer und die übersichtliche Steuerung durch die Gründer ist nicht mehr aufrechtzuerhalten. Dieses Phänomen ist typisch für Series A- bis C-geförderte Startups, die aufgrund der Wachstumsfinanzierung ihre Organisationsstrukturen schnell ausbauen müssen. Genau in dieser Situation rufen viele Gründer nach einem COO, der die interne Führungs- und Koordinationslücke schließen soll.
Doch David Sacks, Gründer und CEO von Yammer, sieht hier einen anderen Weg: Es kommt auf die richtige Betriebskadenz, die sogenannte Cadence, an. Die Cadence ist eine strategische Betriebsmethode, deren Ursprünge in der Organisationsstruktur von PayPal liegen, wo David Sacks als COO aktiv war. Später wurde dieses Prinzip an den SaaS-Bereich angepasst und beim Aufbau von Yammer maßgeblich zum schnellen Wachstum und Erfolg des Unternehmens genutzt. Yammer schaffte in nur vier Jahren den damals schnellsten Börsengang eines SaaS-Unternehmens. Diese beeindruckende Leistung wurde wesentlich durch eine klare, wiederkehrende und synchronisierte Arbeits- und Kommunikationsstruktur ermöglicht, die den Chaosfaktor in überschaubare Bahnen lenkte.
Im Kern geht es bei der Cadence darum, die vier wesentlichen Funktionen eines SaaS-Unternehmens – Vertrieb, Finanzen, Produktentwicklung und Marketing – auf klare, miteinander abgestimmte Vierteljahreszyklen zu setzen. Dabei werden zwei unterschiedliche, jedoch synchronisierte Systeme aufgebaut. Das Sales-Finance-System koordiniert Vertrieb und Finanzbuchhaltung auf dem gleichen Kalender. Das Product-Marketing-System hingegen synchronisiert Produktmanagement und Marketing auf einem versetzten Kalender. Durch das Ineinanderschieben dieser zwei Systeme entsteht eine einheitliche Betriebskadenz, die das Unternehmen auf Kurs hält.
Das Sales-Finance-System ist der Taktgeber für Umsatzziele, Finanzabschlüsse und Berichte. Die Quartalsstruktur erlaubt eine verlässliche, vorhersehbare Planung der Verkaufszahlen und des Financial Reporting. Dies gibt den Teams eine gewisse Sicherheit, weil jährliche Ziele zu lang und monatliche Ziele oft zu schwankend sind. Der Quartalsturnus schafft den idealen Mittelweg. Zu Beginn jedes Quartals findet der Sales Kickoff (SKO) statt.
In diesem Meeting bekommen Vertriebsteams ihre neuen Quoten, Provisionen und Vertriebsgebiete mitgeteilt. Darüber hinaus wird die Produkt-Roadmap vorgestellt, um sicherzustellen, dass alle Verkäufer die nächsten Produktentwicklungen und den langfristigen Wert verstehen und verkaufen können. Das SKO ist somit eine wichtige Gelegenheit für funktionsübergreifende Zusammenarbeit. Im zweiten Monat des Quartals steht das Pipeline-Management im Fokus. Vertriebsleiter unterstützen ihre Mitarbeiter darin, Chancen zu bewerten, Deals voranzutreiben und möglichst viele Abschlüsse vorzubereiten.
Parallel dazu arbeiten Product- und Marketing-Teams daran, Neuigkeiten, Kundenreferenzen und externe Anerkennungen zu generieren, die den Vertrieb bei der Kundengewinnung unterstützen können. Der dritte Monat ist die Zeit des Abschlusses – hier wird die Konzentration auf das Erzielen der Umsatzziele gelegt. Aus finanzieller Sicht folgen Unternehmen meist einem Fiskaljahr mit Quartalsabschlüssen, die im Einklang mit dem Vertriebsplan stehen sollten. Die eng koordinierte Berichterstattung sichert aktuelle und belastbare Daten für das Management und den Vorstand, der seine Sitzungen idealerweise ebenfalls an diesem Zyklus ausrichtet. So entstehen konsistente, vertrauenswürdige Informationsflüsse, die die Entscheidungsfindung verbessern.
Auf der anderen Seite baut das Product-Marketing-System auf einem von Sales-Finance zeitlich versetzten Kalender auf. Die Produktentwicklung organisiert ihre Projekte ebenfalls in Quartalen, jedoch mit dem Fokus auf planbare Releases und Nutzerfeedbackzyklen. David Sacks beschreibt ein Modell, in dem Produktfeatures als eine Art Mischung aus Felsen, Kieselsteinen und Sand betrachtet werden – die größten, wichtigsten Neuerungen (Felsen) kommen zuerst, danach kleinere Features (Kieselsteine) und abschließend kleinere Korrekturen und Bugfixes (Sand). Das verhindert Überlastung und verlängerte Entwicklungszyklen, die viele Startups lähmen. Die maximale Entwicklungszeit pro Major Feature sollte zwischen zwei und zehn Wochen liegen.
Größere Pläne werden aufgeteilt und priorisiert, um eine beständige Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit sicherzustellen. Marketing richtet sich im Optimalfall nach den Produkt-Launches und nutzt diese Events, um mehr Aufmerksamkeit zu generieren. Durch konzentrierte und gut geplante Aktionen, etwa Launch-Events, Webinare oder User-Konferenzen, schaffen sie Höhepunkte, die sowohl externes Interesse als auch internes Engagement wecken. Berühmte Führungspersönlichkeiten wie Elon Musk, Steve Jobs oder Marc Benioff haben diesen Ansatz der gebündelten Aufmerksamkeit durch Events zu einem Markenzeichen ihres Erfolgs gemacht. Die Launch-Events helfen nicht nur dabei, Kunden zu informieren und zu begeistern, sondern setzen auch für das gesamte Unternehmen eine verbindliche Deadline, die die Fokussierung und Motivation steigert.
Die Kunst der Cadence besteht darin, diese beiden Kalender so zu verschieben, dass wichtige Termine nicht kollidieren, sondern sich optimal ergänzen. Während das Sales-Finance-System in der Regel mit dem Quartalsabschluss sein Highlight hat, konzentriert sich das Product-Marketing-System auf das Launch-Event, das zeitlich etwa in der Mitte des Quartals stattfinden sollte. Dieses Versetzen bewahrt die Organisation vor Überlastung und ermöglicht es, dass Marketing-Erfolge den Vertrieb zu einem guten Zeitpunkt im Quartal unterstützen können. Die monatliche Struktur eines Cadence-Quartals gliedert sich so in unterschiedliche Schwerpunkte. Der erste Monat dient vorwiegend der Planung: Vertriebspläne werden verteilt, das Finanzteam arbeitet am Quartalsabschluss, das Produktteam priorisiert die nächsten Releases, und der Vorstand trifft sich für strategische Beratungen.
Der zweite Monat steht ganz im Zeichen der Umsetzung und Vorbereitung des Launch-Events. Marketingmaterialien werden fertiggestellt, Qualitätssicherung wird intensiviert und erste Produktfunktionen gehen in die Testphase. Nach der Veranstaltung reflektiert das gesamte Team über Erfolge und Verbesserungspotentiale. Der dritte Monat fokussiert sich darauf, die letzten Verkaufsabschlüsse herzuleiten und parallel mit der Entwicklung des nächsten Quartals zu beginnen, ohne durch größere Marketingaktionen oder andere Störungen abgelenkt zu werden. Regelmäßige All-Hands-Meetings zu den wichtigen Meilensteinen im Quartal sorgen dafür, dass alle Mitarbeiter informiert sind und mit einem gemeinsamen Verständnis an ihren Aufgaben arbeiten.
Nach dem Quartalsabschluss wird beispielsweise der Vertriebserfolg besprochen, nach dem Vorstandstreffen die strategische Ausrichtung, vor dem Launch gibt es eine Vorschau auf das kommende Produkt und danach eine Retrospektive des Launchs. Die Cadence ist mehr als nur eine organisatorische Methode. Sie schafft einen nachhaltigen Rhythmus, der die einzelnen Abteilungen miteinander verwebt und die natürlichen menschlichen Präferenzen für saisonales Arbeiten nutzt. Unternehmen, die diesen Rhythmus konsequent einhalten, erzielen langfristig große Vorteile in der Zuverlässigkeit, Team-Motivation und Geschäftsentwicklung. Das quartalsweise Verschieben von Meilensteinen sorgt dafür, dass wichtige Themen regelmäßig überprüft und justiert werden können, während die Gesamtplanung vor Überschneidungen geschützt ist.
Startups, die nach der Cadence arbeiten, verwandeln das häufig chaotisch wirkende, wachsende Unternehmen in eine gut geölte, fast militärisch anmutende Organisation. Dies schafft nicht nur ein angenehmeres Arbeitsumfeld, sondern beschleunigt auch den geschäftlichen Erfolg nachhaltig und wiederkehrend. Vor allem in der Skalierungsphase von 50 bis 500 Mitarbeitern bietet die Cadence mehr Struktur und Orientierung und verhindert viele typische Stolpersteine wie Kommunikationsproblemen, Verzögerungen bei Produkt-Roadmaps oder unkoordinierte Vertriebskampagnen. David Sacks‘ Ansatz bietet somit eine praktikable und bewährte Lösung für eine der größten Herausforderungen von SaaS-Startups. Anstatt nur auf die vermeintliche Allzweckwaffe COO zu setzen, empfiehlt er die Einführung einer unternehmensweiten Betriebsphilosophie, die Klarheit, Vorhersehbarkeit und Synchronität in das Unternehmen bringt.
Diese Philosophie zahlt sich vielfach aus – angefangen bei der internen Effizienz bis hin zu den messbaren Geschäftsergebnissen. Für Gründer, Investoren und Führungskräfte bedeutet das: Der Fokus sollte nicht allein auf der Besetzung einzelner Führungspositionen liegen, sondern auf der Implementierung eines klaren, wiederkehrenden Betriebsrhythmus. Startups, die diesen Rhythmus in ihr DNA integrieren, legen die Grundlage für eine nachhaltige, skalierbare und erfolgreiche Geschäftsentwicklung im äußerst wettbewerbsintensiven SaaS-Markt. Die Cadence ist dabei kein starres System, sondern ein flexibler Rahmen, der angepasst und verfeinert werden kann, je nachdem, wie sich das Unternehmen weiterentwickelt. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Cadence mehr als ein organisatorisches Konzept ist.
Es ist eine Denkweise, eine Betriebsphilosophie, die Startups befähigt, das Chaos des Wachstums zu bändigen und in gezielte, zielgerichtete Aktion umzuwandeln. Dieses wiederholbare Muster hilft, das „Shitshow“-Gefühl in eine koordinierte, effiziente und erfolgreiche Organisation zu verwandeln – und somit SaaS-Unternehmen auf ihrem Weg zum nachhaltigen Erfolg zu begleiten.