Amazon gilt seit jeher als eines der innovativsten Unternehmen der Welt. Doch mit der Größe wächst auch die Herausforderung, schnell und flexibel zu bleiben. Andy Jassy, seit 2021 CEO von Amazon und einst federführend beim Aufbau von Amazon Web Services (AWS), hat diese Problematik erkannt und setzt sich intensiv dafür ein, dass Amazon seine Start-up-DNA bewahrt. Bei einer Rede auf dem Harvard Business Review Leadership Summit verdeutlichte Jassy, wie wichtig es ist, eine Kultur der Agilität und Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten – auch wenn ein Unternehmen zu einem globalen Giganten heranwächst. Der Kern von Jassys Botschaft ist, dass Wachstumsprozesse natürliche Hürden mit sich bringen.
„Wenn man größer wird, gibt es viele natürliche Wege, langsamer zu werden“, so Jassy. Dieses Phänomen betreffe viele Unternehmen, die nach einer gewissen Größe Schwierigkeiten hätten, ihre Entscheidungswege schlank und effizient zu halten. Amazon, das 1997 kurz nach dem Börsengang von Jassy gegründet wurde, habe eine ähnliche Entwicklung erlebt. Jassy weist auf die Anfänge von AWS hin: Ein Speicher-Service startete mit nur 13 Personen, der Compute-Service sogar mit 11. Die übersichtliche Struktur und der enge Kontakt hätten die Innovationskraft begünstigt.
Mithilfe eines gezielten Restrukturierungsprozesses gelingt es Amazon, den Abstand zwischen individuellen Beitragenden und Managern zu vergrößern. Eine Steigerung der Anzahl der Beitragenden im Vergleich zu Managern um mindestens 15 Prozent wurde bereits im ersten Quartal 2025 erreicht. Diese Maßnahme soll verhindern, dass das Unternehmen durch zu viele Führungsebenen blockiert und dadurch an Geschwindigkeit verliert. Die Vermeidung von übermäßiger Bürokratie steht dabei im Vordergrund. Zudem hat Amazon eine sogenannte "Bürokratie-Tippline" eingeführt, über die Mitarbeitende unnötige Prozesse melden können – ein weiterer Schritt, um interne Hemmnisse abzubauen und Freiräume für kreative Entfaltung zu schaffen.
Ein zentrales Element von Jassys Strategie ist die Rückkehr ins Büro. Seit Januar 2025 gilt am Amazon-Hauptsitz und in vielen anderen Bereichen eine Rückkehrpflicht an den Arbeitsplatz. Jassy vertritt die Ansicht, dass persönliche Zusammenarbeit einen entscheidenden Vorteil bei der Steigerung von Produktivität und Innovationskraft bietet. „Menschen können besser aufeinander eingehen, wenn sie zusammen sind“, erklärt er. Dieses Zusammenarbeiten fördere den Ideenfluss und ermögliche ein schnelles gemeinsames Tüfteln an Lösungen.
Diese strikte Rückkehrpolitik wird nicht von allen Mitarbeitern positiv aufgenommen. Eine breite Widerstandsbewegung gibt es innerhalb der Belegschaft, wobei laut einer Erhebung des Flex Index fast die Hälfte der Betroffenen mit einem Jobwechsel liebäugelt. Auch wird befürchtet, dass sich die Produktivität durch die Rückkehr ins Büro negativ verändern könnte. Dennoch bleiben die Führungskräfte bei Amazon davon überzeugt, dass die langfristigen Vorteile für das Unternehmen und seine Innovationsfähigkeit überwiegen. Neben der organisatorischen Optimierung spielt die technologische Ausrichtung eine herausragende Rolle.
Künstliche Intelligenz (KI) wird von Andy Jassy als eine „einmalige, lebensverändernde Neuerfindung von allem, was wir kennen“ bezeichnet. Amazon plant, 2025 100 Milliarden US-Dollar in den Ausbau seiner Infrastruktur, unter anderem im Bereich KI, zu investieren. Diese gigantische Kapitalspritze soll Amazon in eine führende Position im Zeitalter der künstlichen Intelligenz katapultieren. Jassys Vision ist es, dass technologische Innovationen nicht nur Produkte verbessern, sondern den gesamten Geschäftsbetrieb transformieren und somit die Wettbewerbsfähigkeit sichern. Im Vergleich zu kleineren Start-ups, die oft mit einer agilen und flexiblen Struktur agieren, steht Amazon als Großkonzern vor der Herausforderung, diese Flexibilität zu bewahren.
Das Heranwachsen über Jahre hin führt häufig zu mehr Hierarchien, komplexeren Prozessketten und längeren Entscheidungswegen. Durch die gezielte Rückbesinnung auf seine frühere Kultur will Jassy bewusst verhindern, dass Amazon in bürokratische und träger werdende Strukturen abdriftet. Der Fokus auf eine hohe Zahl von individuellen Mitarbeitenden ohne übermäßige Führungsebene fördert nicht nur das Engagement der Teams, sondern stärkt auch die Innovationskraft. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr Eigenverantwortung übernehmen und weniger durch Management-Schleifen gebremst werden, entsteht ein Arbeitsumfeld, das dem einer jungen, wachstumsorientierten Firma ähnelt. Amazon versucht somit, ein hybrides Modell zu schaffen, das die Vorteile eines Großkonzerns mit den dynamischen und flexiblen Elementen eines Start-ups verbindet.
Dabei spielt die Unternehmenskultur eine ebenso große Rolle wie die organisatorischen Änderungen. Offenheit, schnelle Kommunikation und das Mutmachen zum Experimentieren sind wichtige Elemente, die Amazon bei seinen Mitarbeitern fördern möchte. Die Einführung der Bürokratie-Tippline ist beispielhaft für den Willen, gegen lähmende Prozesse vorzugehen. Alle Mitarbeitenden sollen sich befähigt fühlen, unnötige Hürden zu identifizieren und abzubauen – zugunsten eines schlanken und effizienten Arbeitsalltags. Die Rückkehrpflicht an den Arbeitsplatz wird in diesem Kontext als Mittel begriffen, die informellen und spontanen Begegnungen zu fördern, die im Homeoffice oder bei Heimarbeit häufig verloren gehen.
Das Teilen von Ideen und das gemeinsame Arbeiten an neuen Konzepten eröffnen laut Jassy größere Chancen als digitale Meetings und Instant Messaging. Die Herausforderung bestehe darin, das Beste aus beiden Welten zu verbinden, ohne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu überfordern oder ihre Flexibilitätsansprüche zu ignorieren. Zudem ist die technologische Ausrichtung auf Maschinenlernen und Künstliche Intelligenz ein entscheidendes Novum. Amazon investiert nicht nur hohe Summen in KI-Forschung und -Entwicklung, sondern strebt auch an, diese Innovationen breit in unterschiedlichsten Geschäftsbereichen nutzbar zu machen. So sollen etwa die Logistik, das Kundenerlebnis und die Cloud-Services durch intelligente Systeme optimiert werden.
Dies könnte dazu führen, dass Amazon seine Marktposition langfristig ausbaut und gleichzeitig interne Prozesse weiter verschlankt. Für den Aktienmarkt sind diese Entwicklungen von großer Bedeutung. Die Anpassungen in der Unternehmensstruktur und der Schwerpunkt auf KI werden von Investoren genau beobachtet. Am 1. Mai 2025 steht die Vorlage der Quartalszahlen an, welche Aufschluss darüber geben werden, wie effektiv die strategischen Maßnahmen umgesetzt wurden.
Insgesamt zeichnet sich unter Andy Jassys Führung ein klares Bild: Amazon versteift sich nicht auf seine frühere Größe und Marktmacht, sondern sucht aktiv nach Wegen, um Agilität, Eigenverantwortung und Innovation zu fördern. Nur so soll trotz der bekannten Wachstumsproblematik die Dynamik eines Start-ups bewahrt werden. Die Herausforderungen sind groß, insbesondere was die Balance zwischen Kontrolle und Freiheit, Struktur und Flexibilität betrifft. Doch Jassys Erfahrung aus dem Aufbau von AWS und sein Fokus auf digitale Technologien machen ihn zu einem geeigneten Kapitän, um Amazon sicher durch die Transformation zu manövrieren. Abschließend bleibt festzuhalten, dass Amazons Zukunft maßgeblich davon abhängen wird, wie gut es gelingt, interne Bürokratie zu vermindern, die Mitarbeiter zu motivieren und gleichzeitig den starken Innovationsantrieb in der Unternehmenskultur zu verankern.
Nur durch diese Kombination kann ein Konzern seiner Größe gerecht werden und weiterhin im weltweiten Wettbewerb erfolgreich bestehen. Andy Jassy hat mit seinen Neuerungen den Grundstein dafür gelegt, Amazon tiefgreifend zu modernisieren und für die kommenden Herausforderungen – insbesondere im Bereich der Künstlichen Intelligenz – optimal aufzustellen.