In der Welt der Wissenschaft, Wirtschaft und Unternehmensstrategie stoßen wir immer wieder auf Modelle und Frameworks, die uns helfen sollen, komplexe Zusammenhänge besser zu verstehen. Viele von ihnen sind so gestaltet, dass sie optisch ansprechend, übersichtlich und symmetrisch wirken – perfekt für Präsentationen, Berichte und PowerPoint-Folien. Doch zeigt die Erfahrung, dass diese gleichzeitig oft unvollständig, irreführend oder schlicht falsch sind. Der alte Spruch „Alle Modelle sind falsch, aber einige sind nützlich“ bringt diese Problematik auf den Punkt. Interessanterweise sind es nicht die ästhetisch perfekten und ‚schönen‘ Modelle, die uns am meisten weiterbringen, sondern jene, die ehrlich die Unordnung, Komplexität und manchmal auch Hässlichkeit der Realität abbilden.
Dieses Paradox lohnt es, näher betrachtet zu werden. Welche Modelle sind tatsächlich nützlich und warum sind „hässliche“ Modelle oft hilfreicher als hübsche? Um diese Fragen zu beantworten, werfen wir zunächst einen Blick auf das grundlegende Konzept von Modellen und Theorien. Modelle sind vereinfachte Darstellungen der Wirklichkeit. Sie versuchen, verschiedene Aspekte eines komplexen Systems so abstrahiert darzustellen, dass sie uns eine bessere Einsicht oder Vorhersagefähigkeit verschaffen. Doch Vereinfachung bedeutet immer Vereinseitigung: Viele Faktoren und Variablen bleiben unberücksichtigt, müssen höchstens grob geschätzt oder ganz ausgeblendet werden.
Dies führt unweigerlich zu Fehlern in der Genauigkeit oder zu falschen Annahmen – das Modell ist also per Definition „falsch“. Das bedeutet aber nicht, dass es nutzlos ist. Im Gegenteil, einige Modelle funktionieren sehr gut, weil sie trotz ihrer Fehler Vorhersagen mit akzeptabler Genauigkeit liefern oder als Handlungsgrundlage dienen können. Ein historisches Beispiel für ein falsches aber nützliches Modell sind die Maya-Astronomen: Deren Weltbild mit der Erde im Zentrum und Göttern, die Sonne und Mond „verzehren“, ist aus heutiger wissenschaftlicher Sicht absurd. Dennoch konnten sie dank sorgfältiger Beobachtung und Berechnung die Termine von Finsternissen zuverlässig voraussagen.
Ihre Erklärungen waren falsch, aber das Modell war praktisch sehr erfolgreich. Dieses Prinzip findet sich in der modernen Physik wieder, besonders in der Quantenmechanik, wo Modelle aussehen mögen wie „hässliche“, widersprüchliche Konstrukte voller Paradoxien – aber sie sagen experimentell beobachtete Ergebnisse präzise voraus. Auf der anderen Seite sind viele Modelle in Wirtschaft, Management und Unternehmensstrategie erstaunlich hübsch und symmetrisch: Sie verwenden exakt ausgeglichene Diagramme, wenige übersichtliche Kategorien, klare Stufen und die perfekte Anzahl von Elementen, die hervorragend in ein paar Folien passen. Ein Beispiel sind Persönlichkeitstests oder Frameworks wie 2x2-Matrizen, die alles in genau vier Felder aufteilen oder Listen mit genau zehn Punkten, weil diese schön zu merken sind. Leider spiegelt diese „Schönheit“ nicht die Realität wider.
Menschen, Unternehmen oder Märkte sind keine klar definierten Mengen von gleich großen und perfekt geordneten Bausteinen. Sie sind chaotisch, widersprüchlich, vielschichtig und asymmetrisch. Das Streben nach Symmetrie und Einfachheit in Modellen kann dazu führen, dass wesentliche Faktoren ignoriert werden, Wissenslücken verschleiert werden und vor allem die Komplexität der Wirklichkeit verloren geht. Solche Modelle taugen selten dazu, in der Praxis fundierte Entscheidungen zu treffen oder langfristige Entwicklungen vorherzusagen. Warum bevorzugen wir dann oft die hübschen Modelle? Die Antwort liegt nicht nur in der menschlichen Vorliebe für Ordnung und Ästhetik, sondern auch in der praktischen Handhabbarkeit.
Prägnante und gut aussehende Modelle sind leichter verständlich, vermitteln auf den ersten Blick Struktur und erlauben vermeintlich schnelle Ableitungen. Sie funktionieren gut für den internen Gebrauch, Verkauf von Beratungsdienstleistungen oder als Orientierungshilfen. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass die scheinbare Einfachheit zu einem Trugbild wird. Empirische Untersuchungen zeigen, dass nützliche Modelle eher unbalanciert, asymmetrisch, komplex und manchmal sogar unübersichtlich sind – kurzum, „hässlich“. Sie widerspiegeln die echte Komplexität von menschlichem Verhalten, organisatorischen Prozessen und wirtschaftlichen Dynamiken.
Wardley-Diagramme, die unterschiedliche Aktivitäten eines Unternehmens nach ihrem Reifegrad und Bedeutung für Wettbewerbsdifferenzierung sortieren, sind dafür ein hervorragendes Beispiel. Sie sind weder symmetrisch noch hübsch, aber erlauben Unternehmen, ihre Ressourcen differenziert zu allokieren und Risiken realistisch einzuschätzen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Anpassungsfähigkeit eines Modells. Hässliche Modelle sind oft elastischer und dynamischer, sie entwickeln sich weiter, fügen neue Variablen hinzu und passen sich unerwarteten Ergebnissen an – eben weil sie die Unordnung der Realität nicht kaschieren. Hübsche Modelle hingegen sind häufig starr und überfordern sich, wenn sie auf neue Situationen angewandt werden.
Die Folge ist Fehlinvestitionen, falsche Strategien oder schlechte Vorhersagen. Auch in der Wissenschaft zeigt sich, dass das Streben nach einer schönen, einheitlichen Erklärung oder Theorie nicht immer zum Erfolg führt. Die Quantenmechanik ist ein Paradebeispiel dafür: Obwohl mathematisch kompliziert, kontraintuitiv und voller Paradoxa, liefert sie exakt die richtigen Ergebnisse. Die berühmte Schrödinger-Katze zeigt, wie absurd das Modell auf den ersten Blick wirkt, aber genau diese Abstraktion ermöglicht komplexe Berechnungen und Anwendungen. So ähnlich verhält es sich mit sozialen und wirtschaftlichen Modellen: Manchmal sind nur komplizierte, nicht perfekt strukturierte Ansätze wirklich brauchbar.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Ziel beim Modellieren nicht Ästhetik, sondern Realitätstreue und Praxisrelevanz sein sollte. Wer die Komplexität der Welt anerkennt, anstelle sie in symmetrische Schaubilder zu pressen, findet bessere Werkzeuge und Entscheidungsgrundlagen. Hässliche Modelle sind kein Makel, sondern ein Hinweis auf ihre Nähe zur Wahrheit. In einer zunehmend vernetzten und dynamischen Welt wächst die Bedeutung solcher realitätsnahen Modelle weiter – für Unternehmen, Wissenschaftler und Entscheider gleichermaßen. Zukunftsorientiert bedeutet dies, dass man bei der Auswahl von Modellen nicht nur auf deren optische Gestaltung oder Popularität achten sollte, sondern kritisch hinterfragt, wie gut das Modell tatsächlich mit den komplexen, oft chaotischen Gegebenheiten umgeht.
Die Bereitschaft, Hässlichkeit zu akzeptieren, kann der Schlüssel zu nachhaltigem Erfolg sein. Die Welt ist nicht immer schön geordnet, und das sollten die Werkzeuge, mit denen wir sie verstehen wollen, ebenfalls nicht sein. Denn am Ende des Tages gilt: Ein Modell, das echte Komplexität abbildet und nützliche Erkenntnisse liefert, ist wertvoller als ein hübsches Schaubild, das die Realität verzerrt oder simplifiziert.