In den letzten Jahren hat die Welt immer wieder von Missbrauchsskandalen in der Startup-Szene gehört – doch kaum ein Fall zeigt die Grenzen von Machtmissbrauch und Ausbeutung so drastisch wie die jüngsten Anschuldigungen gegen ein Bay Area Startup, das auf sogenannten „Orgasmic Meditation“-Praktiken basiert. Zeugen berichten vor Gericht von einer Atmosphäre, in der der Chef unerhörte Anweisungen gab, Mitarbeitende zum Sex zu zwingen. Die Enthüllungen offenbaren ein erschütterndes Bild von gezielter Kontrolle, Gruppenzwang und der Verletzung von grundlegenden Menschenrechten am Arbeitsplatz. Die Geschehnisse rund um das Unternehmen OneTaste haben eine bundesweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen. OneTaste vermarktete eine umstrittene Praxis namens Orgasmic Meditation, ein Ritual, das introspektive und partnerschaftliche Sexualität vereinen sollte.
Doch hinter dieser Fassade offenbarten sich Praktiken, die weit über das hinausgehen, was in gesunden Arbeitsumfeldern je akzeptabel wäre. Zeugenaussagen bestätigten, dass die Leitungsebene, angeführt von Rachel Cherwitz und Firmengründerin Nicole Daedone, die Angestellten aufforderte, unmittelbar während Meetings sexuelle Handlungen zu vollziehen, um Spannungen im Team zu lösen. Max, ein ehemaliger Mitarbeiter des Verkaufsbereichs, schilderte eindringlich, wie bei einer Besprechung im Jahr 2013, als Gewinne des New Yorker Büros unter die Erwartungen gefallen waren, die Atmosphäre so aufgeheizt war, dass Cherwitz einfach befahl, „jetzt gehen Sie und haben Sie Sex“. Die Anweisung stand nicht zur Debatte, sondern wurde streng umgesetzt. Die verzweifelten Reaktionen eines Mitarbeiters, dessen Partnerin anwesend war und anschließend in Tränen ausbrach, sowie Max‘ eigener psychischer Zusammenbruch dokumentieren die erschreckende Realität dieser Arbeitssituation.
Das Anordnen von sexuellen Handlungen als Mittel zur Konfliktlösung ist nicht nur ethisch verwerflich, es stellt auch klare Rechtsverstöße dar. Die Staatsanwaltschaft in Brooklyn führt einen Zwangsarbeitsverschwörungsprozess gegen die Führungskräfte des Unternehmens, wobei die Zeugenaussagen wesentliche Beweismittel darstellen. Dabei fällt auf, dass diese Vorfälle Teil eines viel größeren Musters von Ausbeutung waren. Die Angestellten waren verpflichtet, rund um die Uhr telefonisch erreichbar zu sein, durften keine Krankheitstage oder Urlaub nehmen und lebten in gemeinschaftlich genutzten Wohnungen, in denen jegliche Privatsphäre fehlte. In sogenannten „Gemeinschaftswohnungen“ mussten die Mitglieder des Unternehmens Betten miteinander teilen – von dieser Anordnung war bis hin zu Cherwitz selbst niemand ausgenommen.
Die Überwachung innerhalb der Wohneinheiten war stringent: Bewohner mussten sich gegenseitig Beobachtungen über mögliche Distanzierung zum Gruppengefüge melden, alle Aspekte ihres Verhaltens wurden kontrolliert. Max berichtete offen, auch persönliche Dienstleistungen zu übernehmen, darunter das Fahren der Gründerin zu Terminen oder das Reinigen ihres Zimmers – inklusive der Überreste sexueller Aktivitäten. Dieses Ausmaß an Kontrolle beschreibt eine toxische Dynamik, die jegliche Grenze zwischen Arbeitsleben und privatem Raum auflöste. Vom rechtlichen Standpunkt betrachtet ist dies ein äußerst komplizierter Fall. Auch wenn einige der Zeugen zunächst enthusiastisch und überzeugt von der Gemeinschaft und ihren Praktiken berichteten, wurde im Gerichtsverfahren klar, dass die sogenannten „brainwashing“-Effekte dieser Organisation tiefe Spuren hinterließen.
Die Abhängigkeit von sozialer Bindung und die Angst vor sozialer Isolation waren für viele ein wesentlicher Grund, trotz der Belastungen und Grenzüberschreitungen in der Gemeinschaft zu verbleiben. Interessanterweise haben Verteidiger darauf hingewiesen, dass die Bewohner die Regeln der Gemeinschaft im Vorfeld akzeptierten, was jedoch kaum die unangemessenen Befehle und die maximale Kontroll- und Überwachungssituation rechtfertigen kann – und es wirft die Frage auf, inwiefern Zustimmung unter derart prekärer psychologischer Lage wirklich freiwillig sein kann. Dieser Fall wirft ein Schlaglicht auf das Thema der Machtverhältnisse in Startups, vor allem solchen mit stark ideologisch geprägten Kulturen. Die Verquickung von Arbeits- und Privatleben, die Forderung totaler Verfügbarkeit und die ethische Verwässerung von Grenzen können nicht nur die Gesundheit der Beschäftigten gefährden, sondern führen auch zu radikalem Machtmissbrauch. Nicht zuletzt unterstreicht der Vorfall die Bedeutung eines starken arbeitsrechtlichen und gesellschaftlichen Schutzes für Angestellte, vor allem in innovativen, aber zugleich unregulierten Industrien wie der Startup-Kultur.
Es braucht klare Gesetze, die solche Übergriffe eindeutig unterbinden, und vor allem braucht es Organisationen und Gewerkschaften, die Mitarbeitern eine starke Stimme geben und willfährige Strukturen entmachten. Aus psychologischer Perspektive ist auch die langfristige Folgenbewältigung der Betroffenen ein wichtiger Punkt. Viele Zeugen berichteten, wie schwer es fiel, sich nach der Trennung von der Gemeinschaft wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Die sogenannte „Kulturschock“-Erfahrung weist darauf hin, wie schädigend es sein kann, in einer solche isolierenden und manipulativen Gemeinschaft eingebunden zu sein. Alles in allem zeigt dieser Fall exemplarisch, wie Machtmissbrauch und sexuelle Ausbeutung in ungewöhnlichen, wenig regulierten Arbeitsumfeldern auftreten können.
Die bevorstehende Fortsetzung des Prozesses verspricht weitere Enthüllungen und hoffentlich klare juristische Konsequenzen, die auch als Mahnung dienen, für mehr Transparenz, ethische Standards und Schutz am Arbeitsplatz zu sorgen. Die Geschichte von OneTaste markiert einen Wendepunkt in der Debatte um Macht, Kontrolle und sexuelle Freiheit in Arbeitsbeziehungen – und sie fordert von uns allen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, sorgfältig hinzuschauen und nicht wegzusehen, wenn Grenzen überschritten werden.