Der Markt für Exchange Traded Funds (ETFs) hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und dabei immer wieder innovative Produkte hervorgebracht, die den Bedürfnissen von Anlegern und Vermögensverwaltern besser entsprechen. Ein besonders spannendes Segment innerhalb dieses Marktes sind semi-transparente ETFs, ein Modell, das aus den USA stammt und nun verstärkt den Sprung nach Europa wagt. Die jüngsten regulatorischen Lockerungen in Irland und Luxemburg signalisieren eine Aufbruchsstimmung, die US-Anbieter wie Precidian und Blue Tractor nutzen, um ihre Modelle im europäischen Kontext zu etablieren. Ein genauer Blick auf die Funktionsweise, regulatorischen Rahmenbedingungen und die Marktchancen zeigt, welche Auswirkungen dies auf die europäische ETF-Landschaft haben könnte. Semi-transparente ETFs eröffnen eine interessante Alternative zu klassischen aktiven und passiven ETFs.
Sie kombinieren das Ziel einer aktiven Verwaltung mit dem Wunsch nach einer gewissen Diskretion gegenüber dem Markt. Während herkömmliche ETFs in der Regel täglich ihre vollständigen Portfolio-Holdings offenlegen müssen, bieten semi-transparente Modelle die Möglichkeit, nur Teile der Informationen preiszugeben oder diese zu verfälschen, um die Nachbildung oder Nachverfolgung der Strategien durch Wettbewerber zu erschweren. In den USA hat sich dieses Konzept seit der Einführung 2020 langsam etabliert, jedoch mit überschaubarer Nachfrage, was unter anderem am Limitierten Investitionsuniversum – hauptsächlich US-Werte – liegt. In Europa jedoch könnten diese ETF-Modelle auf erhebliches Interesse stoßen, da sie eine sinnvolle Ergänzung zu den bisherigen Anlageinstrumenten darstellen. Die Europäische Union hat bereits mit der Regulierung von Activley Managed ETFs (UCITS ETFs) für deutlich mehr Markttransparenz und Anlegerfreundlichkeit gesorgt.
Nun gehen die Zentralbank Irlands (CBI) und die Luxemburger Finanzaufsicht (CSSF) einen Schritt weiter und lockern ihre Anforderungen hinsichtlich der Offenlegungspflichten von ETFs. Das eröffnet US-Anbietern die Chance, ihre semi-transparenten ETF-Konzepte anzupassen und in Europa anzubieten. Die US-Unternehmen Precidian und Blue Tractor gelten als Pioniere auf dem Gebiet der semi-transparenten ETFs. Precidian bietet beispielsweise das ActiveShares-Modell an, das durch den Einsatz von sogenannten Authorized Participant Representatives (APRs) die Schöpfung und Rücknahme von ETF-Anteilen regelt, ohne dass täglich das volle Portfolio offenbart wird. Diese Struktur wird allerdings in Europa mit Skepsis betrachtet, da die Offenlegung an Liquiditätsanbieter möglichst nicht diskriminierend erfolgen muss.
Die Anforderungen der CBI und CSSF verlangen demnach mehr Gleichbehandlung, was zu Anpassungen bei den Modellen führen könnte. Blue Tractor hingegen verfolgt mit seinem Shielded Alpha-Modell einen anderen Ansatz. Dabei werden zwar die einzelnen Bestandteile des Portfolios offengelegt, jedoch weichen die veröffentlichten Gewichtungen durch eine zufällige Verzerrung von bis zu 20 % von den tatsächlichen Positionsgrößen ab. Dieser Ansatz soll ein Gleichgewicht zwischen Transparenz und Diskretion schaffen, indem er relevante Informationen für Marktteilnehmer bereitstellt, aber die exakte Strategie gegen Kopien schützt. Blue Tractor sieht hier für Europa gute Chancen, da dieses Modell den regulatorischen Anforderungen besser entgegenkommt und gleichzeitig den Schutz der Anlagestrategien wahrt.
Neben diesen spezialisierten Unternehmen engagieren sich auch große Marktteilnehmer wie die New York Stock Exchange (NYSE) in Kooperation mit Natixis, um semi-transparente ETF-Lösungen zu entwickeln und zu lizenzieren. Jedoch gab es hierzu bislang keine öffentlichen Stellungnahmen, was auf eine vorsichtige Herangehensweise an den europäischen Markt hindeutet. Auch die Vermögensverwalter Fidelity und Eaton Vance, letztere eine Tochtergesellschaft von Morgan Stanley, haben eigene semi-transparente ETF-Strukturen intern entwickelt. Ob sie die Expansion nach Europa in Erwägung ziehen, ist derzeit nicht öffentlich bekannt, da beide Firmen auf Anfragen keine Kommentare abgaben. Die bisherige Marktaufnahme semi-transparenter ETFs in den USA ist überschaubar geblieben.
Laut ETFGI, einem auf Fondsdaten spezialisierten Beratungsunternehmen, existieren derzeit erst etwa 51 ETFs mit reduzierten Transparenzvorgaben. Führende Finanzhäuser wie T. Rowe Price und American Century zählen zu den wenigen, die auf diesem Gebiet aktiv sind und entsprechende Strategien in semi-transparenter Form anbieten. Dabei zeigt sich, dass die Nachfrage noch nicht sehr ausgeprägt ist, was auf die Einschränkungen bei der Anlagemöglichkeit sowie auf die anfängliche Skepsis von Investoren zurückzuführen sein dürfte. In Europa wiederum könnte die Akzeptanz höher sein, gerade vor dem Hintergrund der regulatorischen Anpassungen und eines wachsenden Interesses an aktiven Anlagestrategien innerhalb der UCITS-Struktur.
So äußerten sich Vertreter von American Century positiv über die Entwicklung der Transparenzregeln in Irland und Luxemburg und sehen darin Chancen für die Zukunft ihrer Fondsstrategien, vorerst jedoch mit Fokus auf bestehende Partnerschaften wie mit Avantis Investors. T. Rowe Price hat hingegen signalisiert, keine konkreten Pläne zur Europa-Expansion ihrer semi-transparenten ETF-Produkte zu haben. Die Herausforderung für US-Anbieter liegt vor allem darin, ihre Modelle den europäischen Regelwerken anzupassen. Dabei spielen nicht nur nationale aufsichtsrechtliche Vorgaben eine Rolle, sondern auch die Erwartungen institutioneller Investoren in Bezug auf Transparenz, Liquidität und Kosten.
Europa gilt traditionell als ein Markt mit hoher Aufmerksamkeit für den Anlegerschutz und detaillierte Regulierung. Deshalb müssen semi-transparente ETFs sicherstellen, dass sie einerseits den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und andererseits für Vertriebspartner und Investoren attraktiv bleiben. Technologisch und operationell profitieren semi-transparente ETFs von Fortschritten bei der Datenverarbeitung und -sicherheit. Die Verwendung von Agenten wie den Authorized Participant Representatives zur Steuerung der Stückzahl von Fondsanteilen oder die algorithmische Verzerrung von Positionsangaben zeigen innovative Ansätze, die den Schutz von Investmentstrategien ermöglichen, ohne die Marktliquidität zu beeinträchtigen. Dadurch könnte auch die Volatilität reduziert und das Vertrauen in aktiv gemanagte ETFs gestärkt werden.
Darüber hinaus könnte die zunehmende Expansion semi-transparenter ETFs in Europa auch Auswirkungen auf die Wettbewerbslandschaft haben. Traditionelle ETFs mit vollständiger Offenlegung werden durch alternative Produkte ergänzt, die für bestimmte Investorengruppen, beispielsweise institutionelle Anleger oder Family Offices, besonders interessant sind. Gleichzeitig könnten Vermögensverwalter besser ihre Alpha-Strategien schützen, was neue Anreize für aktiv verwaltete Fonds schaffen kann. Die Entwicklung zeigt, dass der ETF-Markt sich stetig weiterentwickelt und flexibel auf regulatorische und marktspezifische Gegebenheiten reagiert. Die europäische Öffnung für semi-transparente ETFs ist dabei ein weiterer Schritt in Richtung individuellerer Anlageangebote und differenzierterer Kapitalmarktprodukte.