In der heutigen Zeit stellen Umweltverschmutzung und Ressourcenknappheit zwei der größten Herausforderungen für Mensch und Natur dar. Besonders problematisch sind dabei die Überdüngung von Gewässern und das daraus resultierende Entstehen von schädlichen Algenblüten. Diese können nicht nur Ökosysteme zerstören, sondern auch die Wasserqualität beeinträchtigen und somit das Leben in Flüssen, Seen und Küstenregionen gefährden. Ein neuer Ansatz von Wissenschaftlern der Washington University in St. Louis verspricht nun, dieses Problem auf innovative Art zu lösen und gleichzeitig wertvolle Ressourcen zurückzugewinnen.
Mit einer neu entwickelten Hydrogel-Technologie lassen sich überschüssige Nährstoffe wie Ammoniak und Phosphat aus verschmutztem Abwasser herausfiltern und als nährstoffreicher Dünger für die Landwirtschaft nutzbar machen. Dieses Verfahren verbindet Umweltschutz mit nachhaltiger Ressourcennutzung und markiert einen wichtigen Schritt zur Kreislaufwirtschaft im Bereich der Wassermanagementsysteme. Das aus Abwasser stammende Ammoniak und Phosphat sind die Hauptverursacher des raschen Wachstums toxischer Algen. Diese sogenannten Algenblüten setzen schädliche Gifte frei, die marine Lebensräume in ihrer Vielfalt und Zahl enorm reduzieren. Zudem verschlechtern sie die Qualität von Trinkwasserquellen und führen zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden, die schätzungsweise mehrere Millionen US-Dollar jährlich ausmachen.
Dennoch sind diese Nährstoffe gleichzeitig unentbehrliche Bestandteile in der Landwirtschaft, da sie Pflanzenwachstum fördern. Ammoniak ist ein zentraler Bestandteil von Stickstoffdüngern, deren Herstellung jedoch sehr energieintensiv ist. Phosphor ist als Bestandteil von Dünger nicht minder wichtig und zudem auf der Erde nur begrenzt vorhanden. Das Puzzlestück, das bisher fehlte, war eine nachhaltige Möglichkeit, diese Nährstoffe aus Abwasser zurückzugewinnen, anstatt sie nur zu entsorgen. Die neue Hydrogel-Technologie von Professor Young-Shin Jun und ihrem Team greift diesen Widerspruch auf und bietet eine Lösung, die effizient und umweltfreundlich zugleich ist.
Das Hydrogel funktioniert ähnlich wie der innere Kern eines Wegwerfwindels, welcher Flüssigkeit aufsaugt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Materialien bindet dieses Hydrogel jedoch nicht nur Wasser, sondern speziell Ammoniak und Phosphat. Das Herzstück bilden mineralische Nanokristalle aus Calciumphosphat und Struvit, welche in das Gel eingearbeitet sind. Struvit ist ein natürlich vorkommendes Mineral, das Magnesium, Ammonium und Phosphat enthält und sich ideal zur Nährstoffbindung eignet. Durch einen Prozess, der an die Kristallbildung von Kandiszucker erinnert, wachsen die Nährstoffpartikel auf diesen „Samenkristallen“ im Hydrogel langsam heran und verdichten sich, wodurch sie im Abwasser gebunden werden.
Untersuchungen zeigten, dass die Partikelgröße im Material durch das Nährstoffwachstum von knapp über sechs Nanometern auf fast fünfzehn Nanometer anstieg. Diese dynamische Bindung gewährleistet eine stabile und effiziente Rückgewinnung der Schadstoffe. Das Ergebnis ist eine klare Reduktion der Konzentrationen von Ammoniak um bis zu 60 Prozent und von Phosphat sogar um beeindruckende 91 Prozent. Damit kann die Entstehung von Algenblüten in Gewässern effektiv verhindert werden. Das System weist zudem Vorteile gegenüber herkömmlichen Verfahren zur Nährstoffentfernung auf.
Klassische Methoden sind häufig energieintensiv, schwierig in der gleichzeitigen Entfernung von Ammoniak und Phosphat und verlieren oft an Wirksamkeit in komplexen, realen Abwasserbedingungen. Die Hydrogel-Technologie besticht durch ihre natürliche Funktionsweise imitiert Kristallisationsprozesse und benötigt keinen übermäßigen Energieeinsatz oder chemische Zusätze. Damit wird auch die Umweltbelastung während der Behandlung reduziert. Die Skalierbarkeit der Technologie ist ein weiterer starker Punkt. Während viele experimentelle Verfahren lediglich auf kleiner Laborebene bestehen, konnten die Forscher Versuche mit Volumina von bis zu 20 Litern durchführen und arbeiten nun an Tests mit 200 Litern.
Dies ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Marktreife und zeigt großes Potenzial für den Einsatz in kommunalen Kläranlagen und industriellen Abwassersystemen. Neben ökologischen Vorteilen bietet die Hydrogel-Lösung auch wirtschaftliche Chancen. Anstatt Nährstoffe zu entsorgen und gleichzeitig teuer herzustellen, könnten Abwasseranlagen zukünftig als „Nährstofffabriken“ fungieren. Dabei würden Düngemittel aus den gebundenen Mineralien direkt gewonnen und verkauft werden. Dies transformiert die Abwasserbehandlung von einer Kostenstelle zu einer profitablen Ressource im Sinne der Kreislaufwirtschaft.
Die Entwicklung ist darüber hinaus bedeutend angesichts der global wachsenden Bevölkerungszahlen und der damit verbundenen steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln. Bis 2050 werden fast zehn Milliarden Menschen die Erde bewohnen, was den Druck auf natürliche Ressourcen wie Phosphor deutlich steigen lässt. Phosphor ist wesentlich für das Pflanzenwachstum, doch die weltweiten Reserven schwinden. Zugleich verursacht die industrielle Herstellung von Ammoniak nicht unerhebliche CO2-Emissionen. Lösungen zur Rückgewinnung aus Abwasser schonen somit nicht nur das Klima, sondern sichern auch zukünftige Nahrungsmittelproduktion.
Die wiedergewonnenen Mineralien aus dem Hydrogel finden vielseitige Verwendung. Sie sind nicht nur als herkömmliche Dünger einsetzbar, sondern können auch als Ausgangsstoffe für Biorefinerien dienen, die nachhaltige Biokraftstoffe und andere nützliche Produkte herstellen. Diese Vielseitigkeit macht die Technologie für verschiedene Industriezweige interessant und nachhaltig. Die Innovation wird bereits durch Patentierungen geschützt und erhält Förderungen von bedeutenden US-Umweltbehörden wie der Umweltschutzagentur und dem Energieministerium. Damit ist klar, dass hohes Interesse an umweltfreundlichen Lösungen besteht und die Technologie eine vielversprechende Zukunft hat.