In einer Welt, in der Musik oft als ein verstandenes und beherrschtes Medium betrachtet wird, stellt Tuomas Holopainen, der Kopf und Gründer der berühmten finnischen Band Nightwish, eine faszinierende Ausnahme dar. “Ich verstehe Musik nicht. Sie ist mir immer noch ein Rätsel”, sagt er mit einem schüchternen Lächeln, während er in einem gemütlichen Hotelzimmer in Berlin sitzt. Diese Worte sind eine mächtige Lüge. Holopainen ist der künstlerische Visionär hinter einer der größten Symphonic-Metal-Bands Europas, und dennoch bleibt die Mysterienbildung in seiner Beziehung zur Musik ein zentraler Bestandteil seines Schaffens.
Nightwish hat kürzlich ihr zehntes Studioalbum „Yesterwynde“ veröffentlicht, jedoch wird die Band in naher Zukunft nicht auf Tour gehen. Stattdessen plant Holopainen, seine Freizeit mit Lesen und Nordic Walking zu verbringen. Dies mag für viele Musiker ungewöhnlich erscheinen, doch für Holopainen ist es eine willkommene Abwechslung. „Die Musik hört nie auf, auch wenn ich nicht auf der Bühne stehe“, erklärt er. Immerzu beschäftigt mit kreisenden Gedanken über neue Kreationen, ist er ein unermüdlicher Schöpfer in einer Zeit, in der viele Künstler an den wirtschaftlichen Herausforderungen des Tourens leiden.
Holopainen ist bekannt für seine ehrgeizigen musikalischen Projekte, und „Yesterwynde“ ist keine Ausnahme. Der erste Single-Track des Albums, „Perfume Of The Timeless“, dauert fast neun Minuten und ist ein episches Werk, dessen Refrain erst nach dreieinhalb Minuten einsetzt. Diese Entscheidung kann als künstlerischer Mut angesehen werden, denn die modernen Hörgewohnheiten tendieren dazu, Songs nach weniger als 30 Sekunden abzubrechen, wenn sie nicht sofort angesprochen werden. Doch die Rückendeckung seines Labels spricht Bände über die Stellung, die Nightwish in der Musiklandschaft einnimmt - eine Band, die es sich leisten kann, ihren eigenen Weg zu gehen. Die Inspiration für „Yesterwynde“ kam in einer Zeit der Isolation während der COVID-19-Pandemie.
An einem Ort am nördlichen Rand Finnlands, unweit der russischen Grenze, fand Holopainen sich in einer stillen und zurückgezogenen Umgebung wieder. „Ich nutzte die Zeit, um Musik zu schaffen. Ich wurde fast besessen von den Songs“, erinnert er sich. Holopainen verbrachte viele Nächte damit, Demos mit seiner Diktiergerät aufzunehmen, während der Rauch um ihn herum tanzte. Die Musik war nicht nur ein kreatives Outlet, sondern das gleiche Licht, das ihn während der dunklen Pandemie gefolgen war.
Lesen wurde zu einem weiteren Lebensnerv für Holopainen; während er neue Bücher verschlang, flossen die Ideen für seine Songs. Eine seiner neueren Kompositionen basiert auf dem Antikythera-Mechanismus, einem alten griechischen astronomischen Gerät. In einem anderen Stück, „The Children Of Ata“, erzählt er die beeindruckende Geschichte von Kindern, die in den 1960er Jahren 15 Monate auf einer einsamen Insel gestrandet waren. „Niemand auf der Welt kennt diese Kinder, und ich fand ihre Geschichte so berührend, dass ich sie in der Sprache von Nightwish erzählen wollte“, sagt er mit einem Funken Begeisterung in den Augen. Diese unstillbare Neugierde und das Verlangen, die Welt um ihn herum zu verstehen, hat Holopainen von Anfang an begleitet.
Bei der Gründung von Nightwish in den späten 90er Jahren war sein Ansatz unkonventionell. Ideen flossen einfach aus ihm heraus, oft ohne einen klaren Plan. „Ich hatte keine Erwartungen, nur große Ambitionen, und wir dachten nie, dass wir jemals außerhalb Finnlands touren könnten“, reflektiert er. „Damals war Nightwish einfach ein Hobby.“ Trotz ihrer bescheidenen Anfänge haben sich Nightwish zu einer der größten Namen im Metal entwickelt, und Holopainen selbst hat sich als eine der wichtigsten kreativen Kräfte unserer Zeit etabliert.
Jetzt, mit fast 28 Jahren im Geschäft, kann er sich künstlerisch voll entfalten und bewältigt gleichzeitig die Herausforderungen, die mit dem Erfolg einhergehen. „Ich fühle mich sehr glücklich, dass ich in der Lage bin, etwas Bedeutungsvolles zu tun“, sagt er und strahlt dabei Zufriedenheit aus. „Yesterwynde“ wird von den Themen Zeit, Geschichte, Humanismus und Sterblichkeit durchzogen – Merkmale, die in Holopainens Arbeit immer wieder auftreten. „Es ist wirklich optimistisch“, sagt er, und erhofft sich, dass das Album den Menschen Hoffnung gibt, gerade in Zeiten, in denen überall auf der Welt Dunkelheit herrscht. „Es ist leicht, in die Dunkelheit zu fallen, schwierig ist es, Licht zu spenden“, betont er.
Und genau deswegen sieht er den Sinn in seiner Musik. Neben dem Musikmachen und dem Lesen hat Holopainen auch neue Aktivitätsformen entdeckt, wie Nordic Walking. „Es ist das unrock’n’rolligste, was man sich vorstellen kann, aber ich liebe die täglichen Spaziergänge im Wald“, sagt er. In einer Welt voller hektischer Tourdaten und lauter Konzerthallen findet er Frieden in der Stille der Natur. Doch trotz seiner Erfolge bleibt die Musik ein Rätsel für ihn.
„Ich kann nicht sagen, woher die Melodien kommen“, gibt Holopainen zu. „Diese mysteriöse Anziehungskraft der Musik lässt mich nicht los. Ich kann nicht erklären, warum eine gehaltene Note für mich so schön klingt, während eine große Septime mir so zuwider ist.“ Diese Reflektion gibt Einblick in den tiefen Emotionalzustand des Künstlers – Musik ist für ihn nicht nur Kunst, sondern ein emotionales Phänomen, das schwer zu begreifen ist. Holopainen blickt mit einer bemerkenswerten Gelassenheit auf das Älterwerden.
„Ich freue mich über alles, was ich erreicht habe. Zeit ist das schlimmste von allem – sie macht einem verrückt“, sagt er und zuckt mit den Schultern. „Wir alle werden bald tot sein. Das ist der einzige Fakt, den wir nie vergessen sollten.“ Dieses Bewusstsein für die Vergänglichkeit des Lebens gibt ihm jedoch auch eine neue Perspektive, die ihm erlaubt, im Moment zu leben und das Beste aus seiner Zeit zu machen.
„In den letzten 28 Jahren habe ich viel Bedeutungsvolles getan, und ich bin dankbar, dass ich das tun kann, was ich liebe“, schließt Holopainen mit einem zufriedenen Lächeln. Seine Musik bleibt ein wichtiger Teil dieser Entfaltung und des kreativen Prozesses, der nicht enden möchte. Der berühmte Musiker, deren Inhalte tiefgründig und mysteriös sind, hat uns an seinem kreativen Prozess teilhaben lassen, und wir können nur erahnen, wohin ihn seine Muse in Zukunft noch führen wird. Nightwish bleibt ein unverwechselbares Kapitel in der Geschichte des Metals, und Holopainens Suche nach dem ungraspbaren Wesen der Musik wird in seinen künstlerischen Ideen weiterleben.