Die FIM-92 Stinger-Rakete gilt seit Jahrzehnten als eines der führenden tragbaren Luftabwehrsysteme weltweit. Dennoch nähert sich die Technologie, die erstmals in den 1980er Jahren eingeführt wurde, inzwischen an ihre Grenzen. Um den modernen Bedrohungen durch schnelle Flugzeuge, Drohnen und unbemannte Luftfahrzeuge (UAVs) gerecht zu werden, hat die US-Armee das Next-Generation Short-Range Interceptor-Programm (NGSRI) ins Leben gerufen. Zwei Giganten der Verteidigungsindustrie, Lockheed Martin und Raytheon, konkurrieren mit ihren Designs um die Rolle des künftigen Stinger-Nachfolgers. Insbesondere Lockheeds QuadStar Projekt hebt sich durch eine Kombination aus bewährter Technologie und innovativen Neuerungen hervor und bietet einen vielversprechenden Blick auf die zukünftige Man-Portable Air Defense Systems (MANPADS).
QuadStar baut maßgeblich auf der früheren Miniature Hit-to-Kill (MHTK)-Technologie von Lockheed auf und integriert modernste aerodynamische Designs sowie fortschrittliche Suchkopfmechanismen. Das Ziel ist klar: eine kompakte Rakete zu entwickeln, die in der bekannten Stinger-Form eingesetzt werden kann, jedoch mit deutlich verbesserten Reichweiten, Zielgenauigkeit und Durchschlagskraft. Die Herausforderung bestand darin, die Form und Größe der Stinger-Rakete beizubehalten, um die vorhandene Abschussinfrastruktur des Militärs nutzen zu können, gleichzeitig aber Modernisierungspotenziale für den Kampf gegen hochentwickelte Bedrohungen zu realisieren. Das neue QuadStar-System verfügt über einen spitz zulaufenden Raketenrumpf mit optimierter Aerodynamik, der den Luftwiderstand reduziert und eine höhere Geschwindigkeit sowie größere Reichweiten ermöglicht. Darüber hinaus wurde der Suchkopf der Rakete entscheidend weiterentwickelt.
Basierend auf Erkenntnissen aus dem MHTK-Projekt werden Fenster im Nasenbereich eingesetzt, die eine weiter verbesserte Infrarotsuche und Zielerkennung erlauben. Die Weiterentwicklung der Sensortechnik in Verbindung mit künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen unterstützt eine automatisierte Zielerkennung, -verfolgung und -identifikation, was die Effizienz im Einsatz deutlich steigert. QuadStar besitzt einen neu konzipierten Sprengkopf, der kompakt, aber dennoch sehr effektiv ausgelegt ist. Während die alte Stinger-Rakete auf eine Blast-Fragmentierungswirkung setzte, ermöglicht die neue Kompaktladung nicht nur eine höhere Effizienz gegen kleine Drohnen, sondern auch gegen bemannte Flugzeuge, einschließlich moderner Kampfjets der vierten bis sechsten Generation. Neben der erzielten Leistung liegt ein weiterer Schwerpunkt auf Herstellbarkeit und Kosten.
Lockheed Martin setzt auf eine modulare und offene Architektur, die nicht nur spätere Verbesserungen und Integration neuer Technologien vereinfacht, sondern auch eine kostengünstige Produktion in größerem Maßstab ermöglicht. Dies ist besonders bedeutsam vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Lage, in der Nachfrage und Nachschub eine entscheidende Rolle spielen. Ein weiterer Meilenstein der QuadStar-Entwicklung ist eine neuartige Command Launch Assembly (CLA), die deutlich über das optische Visier der Stinger hinausgeht. Die CLA bietet verbesserte Optiken, ein computerbasiertes Zielsuchsystem und unterstützt durch KI geleitete Erkennung und Identifikation von Feinden. Dadurch wird der Einsatz für den Soldaten erheblich vereinfacht und die Treffsicherheit sowie Reaktionsgeschwindigkeit deutlich erhöht.
Auch wenn QuadStar so konzipiert ist, dass es mit der existierenden Stinger-Abschussinfrastruktur kompatibel bleibt, soll die CLA zusätzliche Einsatzoptionen bieten und als künftiges Steuergerät (Launcher) dienen. Eine der großen Herausforderungen moderner MANPADS bleibt die vielfältige Bedrohungslage. Neben traditionellen Zielen wie Hubschraubern und Flugzeugen stehen mittlerweile vor allem unbemannte Drohnen im Fokus. Die Fähigkeit, verschiedene Zieltypen in unterschiedlichen Gewichtsklassen und Flugbedingungen bekämpfen zu können, setzt hohe Anforderungen an Zielerfassung, Reichweite und Interzeptortechnologie. QuadStar greift hier die Klassifikationen von UAVs auf, legt aber auch einen Schwerpunkt darauf, kostengünstige Abschussoptionen für kleinere Drohnen der Gruppen 2 und 3 bereitzustellen.
Die strategische Relevanz von QuadStar wird auch durch die intensive Nutzung von MANPADS in aktuellen Konflikten, wie im Ukraine-Krieg, unterstrichen. Dort hat sich die Bedeutung mobiler Luftabwehrsysteme deutlich gezeigt, insbesondere als Schutz gegen russische Hubschrauber, Drohnen und sogar Marschflugkörper. Die enorm gestiegene Nachfrage hat die Notwendigkeit eines erschwinglichen und effizient produzierbaren Nachfolgers des Stingers weiter verstärkt. Neben dem Einsatz im Bodengefecht wird bei QuadStar auch die Adaptierbarkeit in anderen Domänen angestrebt. Dabei reichen die Optionen von luftgestützten Abschüssen, etwa von Kampfflugzeugen oder sogar Drohnen, bis hin zu maritimen Anwendungen auf Schiffen.
Diese Vielseitigkeit macht QuadStar zu einem zukunftsweisenden Konzept für integrierte Luftverteidigungssysteme. Die US-Armee verfolgt mit dem NGSRI-Programm nicht nur die Modernisierung der bestehenden Systeme, sondern auch eine stärkere Vernetzung und Integration in größere Luftverteidigungsnetzwerke. Derzeit wird intensiv an Schnittstellen gearbeitet, die eine nahtlose Einbindung von QuadStar und seiner Command Launch Assembly in Netzwerkarchitekturen wie das Integrated Battle Command System (IBCS) ermöglichen. Dies erlaubt es, Informationen zwischen verschiedenen Einheiten auszutauschen, Zielinformationen zu teilen und die Effektivität im Gefecht zu maximieren. Während Raytheon mit seinem eigenen System konkurriert, steht Lockheed Martins QuadStar für einen durchdachten Mix aus technologischem Fortschritt, Effizienz und praktischer Einsetzbarkeit in realen Szenarien.