In den Vereinigten Staaten von Amerika, einem Land, das lange als Symbol für wirtschaftlichen Aufstieg und den Traum vom Wohlstand gilt, zeigt eine neue Analyse ernüchternde Fakten: Die meisten Amerikaner verdienen nicht genug, um sich die grundlegenden Lebenshaltungskosten leisten zu können. Diese Erkenntnis stellt viele vor eine alarmierende Realität, die weit über die traditionellen Maßstäbe der Wirtschaft hinausgeht und die Lebensqualität großer Bevölkerungsschichten ernsthaft bedroht. Die Untersuchung des Ludwig Institute for Shared Economic Prosperity (LISEP) hat aufgezeigt, dass die Lücke zwischen den tatsächlichen Einkommen vieler US-Bürger und den existenziellen Ausgaben ständig wächst. Dabei stützt sich die Analyse nicht nur auf die üblichen Kennzahlen wie Bruttoinlandsprodukt oder Arbeitslosenquote, sondern berücksichtigt auch wichtige Faktoren wie Zugang zu Technologie, Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung und Bildung – alles elementare Bausteine für ein minimal akzeptables Lebensniveau im heutigen Amerika. Was bedeutet es konkret, sich eine „minimale Lebensqualität“ leisten zu können? LISEP hat einen sogenannten Minimal Quality of Life Index entwickelt, der präzise misst, wie viel Einkommen nötig ist, um grundlegende Bedürfnisse abdecken zu können.
Dazu zählen neben Ernährung, Wohnen und Bekleidung auch notwendige Technologien für den Arbeitsplatz, Ausgaben für Freizeit sowie die Kosten für Hochschulbildung. Ein durchschnittlicher Haushalt unter der unteren Einkommensschicht, der im Jahr 2023 rund 38.000 US-Dollar verdient, benötigt demnach jedoch fast das Doppelte – etwa 67.000 Dollar jährlich –, um diese Basismöglichkeiten befriedigen zu können. Diese Diskrepanz führt dazu, dass die sogenannte Mittelschicht in den USA zunehmend erodiert.
Mehr und mehr Menschen finden sich in einer ökonomischen Zwischenwelt wieder, die weder das klassische Bild von Armut noch von Wohlstand trifft, sondern von permanenter finanzieller Unsicherheit geprägt ist. Gene Ludwig, Vorsitzender von LISEP, warnt eindrucksvoll vor den Konsequenzen dieser Entwicklung. Er sieht darin nicht bloß ein wirtschaftliches Problem, sondern eine soziale Zeitbombe, die die gesellschaftliche Stabilität gefährdet. Die offiziellen Arbeitsmarktdaten vermitteln ein verzerrtes Bild der Lage. Während die Arbeitslosenquote mit etwa 4,2 Prozent vergleichsweise niedrig erscheint, verstecken sich hinter dieser Zahl Millionen Menschen, die in sogenannten Armutsjobs oder Teilzeitstellen feststecken.
LISEP schätzt die sogenannte „funktionelle Arbeitslosigkeit“ auf über 24 Prozent ein. Damit bezeichnet das Institut Personen, die faktisch keine gesicherte Erwerbstätigkeit mit einem existenzsichernden Einkommen ausüben können. Wesentliche Lebenshaltungskosten sind seit zwei Jahrzehnten stark gestiegen. Besonders drastisch haben sich die Wohn- und Gesundheitskosten verteuert. Familien müssen immer größere Teile ihres Einkommens für Miete, Energie und medizinische Leistungen aufwenden.
Hinzu kommt die rapide steigende Belastung durch Kosten für Bildung und Kinderbetreuung, die für eine berufstätige Familie unverzichtbar sind und maßgeblich die wirtschaftliche Handlungsfreiheit einschränken. Im selben Zeitraum konnte das Einkommen der unteren 60 Prozent der Bevölkerung diesen Kostenanstieg nicht nur nicht ausgleichen, es blieb real tatsächlich leicht rückläufig. Die jährliche Einkommenssteigerung lag mit weniger als einem halben Prozent sehr weit hinter der Inflation zurück, was die Schere zwischen notwendigen Ausgaben und verfügbaren Mitteln weiter aufklaffen lässt. Im Gegensatz dazu haben die oberen Einkommensklassen ihre finanzielle Position deutlich ausbauen können. Diese wirtschaftliche Kluft wirkt sich direkt auf die Lebensqualität aus.
Der Traum vom Aufstieg durch harte Arbeit und Bildung hebt sich für viele immer mehr in Luft auf. Viele Menschen finden sich nicht nur in prekären Arbeitsverhältnissen wieder, sie sehen sich auch mit der schwierigen Herausforderung konfrontiert, grundlegende soziale Teilhabe und gesundes Leben trotz knapper Mittel aufrechtzuerhalten. Die klassische Vorstellung vom American Dream, die auf Chancengleichheit basiert, verliert mehr und mehr an Bedeutung. Die Pandemie und die damit verbundenen wirtschaftlichen Erschütterungen haben die Situation zusätzlich verschärft. Viele Familien mussten Rücklagen aufbrauchen, Kredite aufnehmen oder trotz schwieriger finanzieller Lage weiterarbeiten.
Die langfristigen Folgen dieser Belastungen sind noch nicht vollständig absehbar, verschärfen aber die bestehende Problematik der wachsenden Armutsgefährdung und wirtschaftlichen Unsicherheit. Für politische Entscheidungsträger stellt sich die Frage, wie dieser Trend gestoppt oder zumindest abgemildert werden kann. Investitionen in bezahlbaren Wohnraum, eine Reform des Gesundheitssystems, und Maßnahmen zur Förderung besserer Arbeitsbedingungen sind nur einige Ansatzpunkte. Auch das Bildungssystem braucht dringend mehr Unterstützung, um den Zugang zu qualitativ hochwertiger Ausbildung und damit bessere Zukunftschancen für alle zu gewährleisten. Die gesellschaftliche Verantwortung liegt nicht nur bei der Politik.
Unternehmen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen müssen zusammenarbeiten, um ein gerechteres Wirtschaftssystem zu gestalten, in dem harte Arbeit noch der Anerkennung und entsprechenden Vergütung begegnet. Nur so kann die wachsende soziale Ungleichheit eingedämmt und das Fundament für eine stabile und inklusive Gesellschaft gelegt werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die wirtschaftliche Realität der meisten Amerikaner heute von einer fundamentalen Kluft zwischen Einkommen und notwendigen Lebenshaltungskosten geprägt ist. Die Folge ist eine stetige Erosion der Mittelschicht und wachsende soziale Spannungen. Die Überwindung dieser Herausforderungen stellt eine der zentralen Aufgaben der nächsten Jahre dar, wenn die USA ihren Anspruch als Land der Chancen und des Wohlstands weiterhin gerecht werden wollen.
Der „Minimal Quality of Life Index“ von LISEP liefert dabei nicht nur ein verbessertes Verständnis für die tatsächlichen Bedürfnisse der Bevölkerung, sondern mahnt auch zur verstärkten Aufmerksamkeit und Handlungsbereitschaft auf allen gesellschaftlichen Ebenen.