Leonardo da Vinci zählt zu den bedeutendsten Künstlern und Universalgelehrten der Renaissance. Sein umfassendes Wissen erstreckte sich nicht allein auf die Malerei, sondern auch auf Anatomie, Mechanik, Architektur und Naturwissenschaften. Besonders hervorzuheben ist sein Werk 'A Treatise on Painting', erstmals 1651 in einer gedruckten Ausgabe veröffentlicht, das die Kunst des Malens detailliert und systematisch behandelt. Die Entstehung des Werkes ist bemerkenswert, da Leonardo da Vinci selbst nie eine vollständige, veröffentlichungsreife Fassung hinterlassen hat. Stattdessen handelt es sich um eine sorgfältige Auswahl aus seinen Manuskripten, die John Francis Rigaud im 18.
Jahrhundert aus dem Italienischen ins Englische übersetzt und geordnet hat. Das Werk vereint theoretische Überlegungen mit praktischen Anleitungen und illustriert Leonardos einzigartige Herangehensweise an das künstlerische Schaffen. Der Leitgedanke des Traktats ist die Verbindung von Wissenschaft und Kunst. Leonardo betrachtet die Malerei nicht nur als handwerkliches Können, sondern als eine Kunstform, die auf wissenschaftlichen Prinzipien beruht. Insbesondere legt er großen Wert auf Anatomie, Perspektive, Licht- und Schattenlehre sowie Farbgebung.
Durch die wissenschaftliche Grundlage sollen Künstler in die Lage versetzt werden, Natur und Leben möglichst genau und lebendig darzustellen. Ein entscheidender Aspekt des Werkes ist die Betonung der anatomischen Kenntnisse. Leonardo stellt fest, dass ein Künstler die Struktur des menschlichen Körpers verstehen und korrekt wiedergeben muss. Seine detaillierten Kapitel über Proportionen, Muskelbewegungen und Gelenkmechanik zeigen, wie wichtig es ist, die Funktionsweise des Körpers zu begreifen, um realistische und durch Bewegung gekennzeichnete Figuren zu schaffen. Diese Wissenstransfer spiegelt sich auch in seinen zahlreichen Skizzen und Studien wider, die er parallel zu seinen Malereien anfertigte.
Die Perspektivlehre nimmt in 'A Treatise on Painting' einen zentralen Platz ein. Leonardo erläutert die Grundlagen der linearen Perspektive, die Regeln zur Größendimensionierung von Figuren und Objekten entsprechend ihrer Entfernung vom Betrachter sowie die Bedeutung des Fluchtpunktes. Darüber hinaus beschreibt er auch die sogenannte Luft- oder Farbperspektive, bei der Entfernungen durch Farbveränderungen und das Verschwimmen von Details vermittelt werden. Seine empirischen Beobachtungen und Diagramme zeigen die sorgfältige Planung, die unseren heutigen Vorstellungen von perspektivischer Genauigkeit erstaunlich nahekommt. Besondere Aufmerksamkeit widmet Leonardo der Licht- und Schattenbehandlung – dem Chiaroscuro.
Er erklärt, wie Lichtquellen das Volumen von Formen modellieren und dadurch Tiefe erzeugen. Die Schatten dienen nicht nur der Plastizität, sondern auch der Atmosphäre und Stimmung, die ein Bild transportieren kann. Leonardos Detailtreue bei der Beobachtung von Reflexionen und Lichtbrechungen beispielsweise auf verschiedenen Oberflächen, wie Haut, Stoff oder Wasser, demonstriert sein naturwissenschaftliches Interesse und die Konsequenz in seiner künstlerischen Praxis. Die Farbtheorie in seinem Traktat ist für die Zeit ihrer Veröffentlichung höchst fortschrittlich. Leonardo differenziert zwischen Primär- und Sekundärfarben und beschreibt, wie verschiedene Farbkompositionen sich gegenseitig beeinflussen und harmonisieren können.
Farbkontraste und Farbsättigungen haben in seiner Betrachtung einen starken emotionalen und ästhetischen Charakter, der über reine Dekoration hinausgeht. Besonders seine Erkenntnisse über das Verhalten von Farben unter unterschiedlichen Lichtverhältnissen sind bemerkenswert und beeinflussen bis heute die künstlerische Farbgestaltung. Neben den technischen und wissenschaftlichen Elementen legt das Werk auch großen Wert auf Komposition und Ausdrucksstärke. Leonardo war davon überzeugt, dass ein Gemälde eine Geschichte erzählen müsse und dass jede Figur eine individuelle Position, Haltung und Mimik braucht, die ihre innere Stimmung und ihre Rolle in der Szene wiederspiegelt. Er führt aus, wie Variationen in Haltung, Alter und Geschlecht eingesetzt werden können, um eine dramatische Wirkung zu erzielen.
Ein Zuviel an Ähnlichkeit oder Repetition in den Figuren würde demgegenüber das Bildgefühl beeinträchtigen. Sein ehrgeiziges Ziel war es, dass die Malerei als universelle Kunst verstanden wird, die alle Bereiche des Wissens miteinander verbindet. Dabei kritisiert er die Praxis, sich auf Spezialgebiete zu beschränken, wie nur Landschaft oder Porträt, da solche Beschränkungen vom Wesen der Kunst weit entfernt sind. Für Leonardo soll die umfassende Kenntnis von Natur, Anatomie, Perspektive, Farbe und Ausdruck die Grundlage für meisterhaftes Schaffen bilden. Die Bedeutung des Traktats für die Kunstgeschichte kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Obwohl es erst mehr als ein Jahrhundert nach Leonardos Tod gedruckt wurde, ist es basierend auf seinen originären Methoden und Gedanken ein Meilenstein, der Künstlern von Generationen tiefgreifende Einblicke und systematisches Wissen vermittelt und den Künstleralltag nachhaltig prägte. Es förderte besonders die akademische Ausbildung in Malerei im Barock und darüber hinaus. ' A Treatise on Painting' steht symbolisch für den Geist der Renaissance, worin Kunst und Wissenschaft als untrennbare Einheiten gelten. Der hohe Anspruch, Realität nicht nur künstlerisch, sondern auch wissenschaftlich präzise darzustellen, ist heutiger Standard in der kunsthistorischen Lehre, und viele aktuelleTechniken in Zeichnung, Malerei und digitaler Kunst können auf Leonardos Ideen zurückgeführt werden. Fazit: Leonardo da Vincis Traktat stellt eine unverzichtbare Quelle für Künstler dar, die über das bloße Handwerk hinaus nach dem Verständnis der Grundlagen streben.
Es verbindet Theorie und Praxis, Kunst und Wissenschaft, und bietet so ein ganzheitliches Modell für das kreative Schaffen. Die zahlreichen Kapitel über Anatomie, Perspektive, Licht, Schatten, Farbgebung und Komposition bieten eine praxisorientierte Anleitung, um lebendige und ausdrucksstarke Bilder zu schaffen. Trotz des Alters gibt das Werk durch seine systematische Herangehensweise, präzise Beobachtungen und den Blick fürs Detail bis heute wertvolle Impulse für die Kunst und deren Vermittlung. Es ist nicht nur ein historisches Dokument, sondern ein lebendiger Leitfaden für alle, die die Malerei als Wissenschaft und Kunst zugleich verstehen wollen.