Die Sonne ist unser nächster Stern, Quelle des Lebens und gleichzeitig ein mächtiger Einflussfaktor für viele Prozesse auf der Erde. Doch trotz ihrer zentralen Bedeutung war ein entscheidendes Geheimnis unseres stellaren Begleiters lange Zeit verborgen: die tatsächlichen Pole der Sonne. Aufgrund der Schräglage und Position der Erde im Sonnensystem war es uns Menschen bisher nicht möglich, die Polarregionen der Sonne direkt zu beobachten. Dies erschwerte die Erforschung der Sonne und ihrer komplexen Magnetfelder erheblich. Doch mit der bahnbrechenden Mission des Solar Orbiters, einem Gemeinschaftsprojekt von NASA und Europäischer Weltraumorganisation (ESA), hat die Menschheit nun erstmals direkte Bilder und Daten vom Südpol der Sonne erhalten.
Diese Errungenschaft markiert den Beginn einer neuen Ära in der Sonnenforschung und verspricht, viele bisher unbekannte Phänomene und Zusammenhänge aufzudecken.Der Solar Orbiter startete im Jahr 2020 mit dem Ziel, die Sonne aus bislang unerreichbaren Perspektiven zu beobachten. Durch geschickte Nutzung von Gravitationsmanövern an Erde und Venus gelang es dem Raumfahrzeug sukzessive, seine Umlaufbahn unterhalb des Sonnenäquators zu verlagern. Im März 2025 revolutionierte der Orbiter die Sonnenbeobachtung, indem er erstmals Images aus 15 Grad unterhalb des Äquators lieferte und so den verborgenen Südpol sichtbar machte. Die Umstände könnten nicht günstiger sein, denn die Sonne durchläuft gerade ihr Aktivitätsmaximum – eine Phase, in der sich die magnetischen Nord- und Südpole umkehren und die Sonnenaktivität deutlich zunimmt.
Dieses Maximum bringt stärkere Strahlungsausbrüche und Sonnenstürme mit sich, die das Leben auf der Erde beeinflussen können.Die bisherigen Modelle und Vorstellungen über die Sonnenspole basierten bislang vor allem auf indirekten Messungen und Theorien. Man wusste, dass die magnetischen Pole eine Schlüsselrolle bei der Aktivität der Sonne spielen, doch ihre genaue Lage und das Verhalten blieben rätselhaft. Zu einer überraschenden Entdeckung des Solar Orbiters gehört, dass beide magnetischen Pole – der magnetische Nord- und Südpol – auf der Südseite der Sonne liegen, wie sie von der Erde aus gesehen wird. Diese seltene und unerwartete Konstellation macht die derzeitige Phase des Sonnenzyklus besonders komplex und wird von der ESA als ein „magnetisches Durcheinander“ beschrieben.
Warum diese Anordnung existiert und welche Auswirkungen sie auf die Sonnenaktivitäten hat, sind Gegenstand intensiver Forschung.Für uns auf der Erde ist die Bedeutung dieser neuen Erkenntnisse nicht zu unterschätzen. Die Sonne ist verantwortlich für das Raumwetter, das unter anderem die Magnetosphäre der Erde, Satelliten, Stromnetze und Kommunikationssysteme beeinflusst. Besonders während Phasen hoher Sonnenaktivität können koronale Massenauswürfe und energiereiche Teilchen erhebliche Störungen verursachen. Die enge Beobachtung der Pole durch den Solar Orbiter ermöglicht es Wissenschaftlern, den Aufbau und Ablauf dieser Eruptionen besser zu verstehen und so Vorhersagen über solare Stürme zu verbessern.
Ein derartiges Frühwarnsystem könnte in Zukunft entscheidend dazu beitragen, die technologische Infrastruktur der Erde besser zu schützen.Der Solar Orbiter trägt eine Vielzahl hochmoderner Instrumente an Bord, die ihm eine detaillierte Analyse der Sonnenatmosphäre erlauben. Die Polarimetric and Helioseismic Imager (PHI) misst die Magnetfelder und hilft dabei, Veränderungen in der Sonnenoberfläche zu kartieren. Der Extreme Ultraviolet Imager (EUI) liefert hochauflösende Bilder der Sonnenkorona, während das Instrument SPICE (Spectral Imaging of the Coronal Environment) Spektralanalysen der oberen Atmosphäre durchführt. Diese Kombination erlaubt es, den Sonnenwind und Materialauswürfe mit bisher unerreichter Präzision zu untersuchen.
Besonders die Doppler-Messungen des SPICE-Instruments bringen neue Erkenntnisse über die Geschwindigkeit und Zusammensetzung der Sonnenwinde, die von den Polen ausgehen.Die gewonnenen Daten geben auch Aufschluss darüber, wie Sonnenmaterie in den interplanetaren Raum gelangt. Bisher war es schwierig, diese Prozesse genau zu verfolgen, da die vorherigen Missionen meist eine eher frontale, äquatornahe Sicht hatten. Jetzt ermöglicht der neue Blickwinkel, die Dynamik der Sonnenpole, Steuerung der Magnetfelder und daraus resultierende Aktivitäten zu entschlüsseln. Dieser Erkenntnisfortschritt könnte nicht nur unser Verständnis der Sonne revolutionieren, sondern auch neue Einsichten in die Funktionsweise anderer Sterne liefern, die ähnliche Zyklen und magnetische Komplexitäten aufweisen.
Historisch ist die Erforschung der Sonnenpole bereits seit langem ein erklärtes Ziel der Solarwissenschaft. Die NASA-Mission Ulysses, gestartet 1990, war die erste, die versuchte, polare Messungen durchzuführen. Ulysses profitierte von einem Gravitationsschub durch Jupiter, um eine polare Umlaufbahn um die Sonne einzunehmen. Allerdings trug die Sonde keine bildgebenden Instrumente, weshalb ihre Daten vor allem aus Magnetfeldmessungen bestanden. Die nun vorliegenden Bilder und umfassenden Daten des Solar Orbiters setzen genau hier an und bauen auf den Erkenntnissen der Vorgängermission auf, wobei es nun möglich ist, visuelle Eindrücke und detaillierte Analysen zu kombinieren.
Die Sonne steht im Zentrum unseres Sonnensystems und beeinflusst ganz direkt das Leben auf unserem Planeten. Durch die Beobachtung ihrer Pole eröffnen Wissenschaftler die Möglichkeit, den Sonnenzyklus besser zu verstehen, vor allem die Umkehrung der magnetischen Pole, die alle elf Jahre erfolgt. Dieses Phänomen ist eng verbunden mit der Aktivität der Sonnenflecken, solaren Flares und koronalen Massenauswürfen. Ein besseres Verständnis dieser Vorgänge könnte dazu führen, dass größere Sonnenstürme vorhergesagt werden können, was für Planungssicherheit in Bereichen von Energieversorgung, Raumfahrt und Kommunikation extrem wichtig ist.Die weiteren geplanten Flybys des Solar Orbiters an der Venus werden es ermöglichen, die Umlaufbahn weiter anzupassen und die Sonde noch tiefer in die polaren Regionen eintauchen zu lassen.
Bis 2030 wird man erwarten, dass der Orbiter stabile Bahnen mit bis zu 33 Grad unter dem Sonnenäquator erreicht. Dadurch werden noch detailliertere und umfassendere Daten über die Sonnensystemdynamik erwartet. Die Vielschichtigkeit und Neuartigkeit der Bilder und Messergebnisse machen deutlich, wie wenig wir über unsere Sonne tatsächlich wissen und welche neuen Fragen sich durch die Beobachtung stellen.Die Wissenschaftler von der ESA und NASA hegen große Hoffnungen, dass der Solar Orbiter nicht nur kurzfristig neue Erkenntnisse bringt, sondern dass seine Mission langfristig dazu beiträgt, auch den Einfluss der Sonne auf das Weltraumwetter umfangreich zu erfassen und vorhersagbar zu machen. Angesichts unserer modernen, hochgradig vernetzten Gesellschaft, deren Infrastrukturen zunehmend anfällig sind gegenüber Sonnenstürmen, ist ein solches Wissen von enormer praktischer Bedeutung.
Solar Orbiter ermöglicht uns den ersten Blick auf Bereiche, die bisher als terra incognita galten und spielt eine Schlüsselrolle bei der Entschlüsselung der physikalischen Prozesse, die unser starres Umfeld prägen.Im Kern wird mit den neuen Aufnahmen des Südpols der Sonne eine neue Ära eingeläutet, in der lang gehegte Fragen zu Magnetfeldern, Sonnenzyklen und Weltraumwetter aus einer bislang unerreichbaren Perspektive beantwortet werden können. Diese Erkenntnisse erweitern nicht nur unser Wissen über die Sonne an sich, sondern legen auch Fundament für bessere Schutzmechanismen gegen die Einflüsse von Weltraumphänomenen auf unsere Erde und Technologie. Das einzigartige Zusammenwirken von hochmoderner Technik, internationaler Kooperation und präziser wissenschaftlicher Methodik macht den Solar Orbiter zu einem wegweisenden Projekt, dessen Bedeutung weit über die Sonnenforschung hinausgeht.