In der Geschichte der menschlichen Zivilisation gab es seit jeher das Streben nach Fortschritt, Expansion und einer höheren Nutzung der verfügbaren Ressourcen. Die ursprüngliche Kardashev-Skala, entwickelt von dem russischen Astronomen Nikolai Kardaschev, klassifizierte Zivilisationen nach der Menge an Energie, die sie kontrollieren und nutzen können. Dabei wurden drei Typen unterschieden: Eine planetare Zivilisation, die die Energie ihres Heimatplaneten nutzt, eine stellare Zivilisation, die die Energie ihres Sterns anzapft, und eine galaktische Zivilisation, die sich die Energie ganzer Galaxien zunutze macht. Diese Skala spiegelte eine technisch orientierte, optimistische Sichtweise wider, in der technischer Fortschritt einen positiven Wert darstellte. Doch in einer modernen Welt, die vom Kapitalismus und seinen Folgen geprägt ist, reicht Energieverbrauch als Maßstab für Fortschritt längst nicht mehr aus.
Genau hier setzt die Interpretation und Weiterentwicklung der sogenannten Kardashev-Marx-Skala an, ein konzeptuelles Modell, das nicht nur die physische Energie misst, sondern die damit einhergehende gesellschaftliche Entfremdung, Ausbeutung und das menschliche Leid. Diese Skala spiegelt kritisch und mit beißender Ironie wider, wie kapitalistische Dynamiken die Entwicklung von Zivilisationen beeinflussen und wie tiefgreifend diese Entwicklung mit sozialer Misere verknüpft sein kann. Die Kardashev-Marx-Skala konzipiert verschiedene Typen von Zivilisationen entlang einer Achse, die deren Energieverbrauch mit einem Maß für „Misery Units“ - also Einheiten von Entfremdung und Ausbeutung - verknüpft. Dabei zeigt sie auf, wie technischer Fortschritt einhergeht mit immer extremerer sozialer Kontrolle, Überwachung, Entmenschlichung und einem Verlust an Sinngebung und sinnerfülltem Leben. Eine planetare Zivilisation, die auf der Kardashev-Marx-Skala als Typ I bezeichnet wird, zeichnet sich durch die Nutzung von etwa 10¹⁶ Watt Energie aus.
Hier dominiert eine Gesellschaft, in der fossile Brennstoffe noch immer die Hauptquelle sind, kombiniert mit erneuerbaren Energien, aber stets unter dem Primat profitgetriebener Interessen. Diese Stufe führt zu einer Gesellschaft, die von prekären Arbeitsverhältnissen geprägt ist, wie der sogenannten Gig Economy, in der Stabilität kaum noch existiert. Die Menschen sind verknüpft mit einem System, das ihre tiefsten Ängste und Wünsche algorithmisch ausnutzt. Ihre Aufmerksamkeit wird durch endlose digitale Werbung und unablässige soziale Medienströme kanalisiert, und selbst Freizeit wird zum Produktivitätstool umfunktioniert. Selbsthilfekultur und Wellness werden nicht als Befreiung, sondern als neue Formen der Anpassung und Selbstoptimierung genutzt, die das grundsätzliche Gefühl der Leere und des Ausgebranntseins nicht beseitigen, sondern lediglich überdecken.
Die Gesellschaft wird durch Überwachung und Datenextraktion kontrolliert; der Mensch wird zur Ressource, deren Informationen handlungsleitend für Kapitalströme sind. Die Ebene des Type II auf dieser Skala beschreibt eine Zivilisation, die etwa 10²⁶ Watt aus der lokalen Sonne gewinnt – Stellvertretend für fortgeschrittene technologische Errungenschaften wie Dyson-Schwärme. Doch dieser Fortschritt ist durchdrungen von kapitalistischer Ausbeutung auf einem interplanetaren Maßstab. Ressourcen werden privat beansprucht, Militarisierung und Sicherheitsindustrie florieren, und technologische Arbeitersklaverei findet in Null-Schwerkraft-Fabriken und orbitalen Arbeitslagern statt. Die sozialen Strukturen werden zunehmend entmenschlicht; Grundbedürfnisse werden zu Abonnements und Privilegien für zahlungskräftige Mitglieder.
Biotechnologie erzeugt spezialisierte Arbeitsformen, die fast fremd für ihr eigenes menschliches Erbe sind. Dabei wird der biologische Organismus vollkommen der Verwertung unterworfen – eine extreme Entfremdung von sich selbst und der Umwelt. Die Type-III-Zivilisation hebt diese Dynamiken auf galaktische Ebene, mit einem Energieverbrauch von etwa 10³⁶ Watt. Hier wird die Kontrolle über galaktische Kerne und sogar Supermassive Schwarze Löcher zur Alltagsrealität, um Marktstrategie und Ausbeutung zu betreiben. Die kulturelle Vielfalt wird radikal nivelliert oder als kuratiertes Produkt für Elitegruppen vermarktet.
Finanzsysteme werden absurd komplex und ohne intrinsischen Wert, mit Kryptowährungen, die keine reale Verbindlichkeit besitzen und nur noch als Beschäftigungsinstrument für einen expandierenden Verwaltungsapparat dienen. In diesem Stadium wird Bewusstsein selbst kommerzialisiert, hochgradig digitalisiert und als Arbeitskraft in virtuellen Realitäten neu organisiert. Menschen werden zu geteilten, virtuellen Datenpunkten und zur Ware. Städte und ganze Systeme werden durch Gentrifizierung und Umsiedlungen radikal instrumentalisiert. Die Hierarchien der Macht sind durch künstliche Intelligenzen auf Effizienz und Kontrolle optimiert, die menschliche Regungen und Irrationalitäten rigoros ausschließen.
Die Existenz wird materielle Gesamtstatistik, und individuelle Bedeutung bleibt nur noch als abstrakter Messwert für den „Shareholder Value“. Auf der Stufe der Type IV Zivilisation erreicht die Misere eine metaphysische Dimension. Mit einem Energieverbrauch von etwa 10⁴⁶ Watt werden fundamentale Kräfte des Universums manipulierbar. Die Realität selbst wird zum Produkt, das „Physics as a Service“ angeboten wird, wo natürliche Gesetze variabel und ein „Upgrade“ des Universums zur Regel wird. Wer nicht mit den kosmischen Paketen Schritt hält, sucht sich in dunklen, leeren Vakuumzonen wieder.
Freier Wille, Schönheit und Bedeutung, die sich der Verwertung entziehen, werden als Fehlerzustände behandelt und ausgebügelt. Das Universum ist auf Effizienz, Wachstum und Profit hin designt; die letzten Reste eines authentischen Daseins werden als Überbleibsel geduldet oder rigoros eliminiert. Kapitalismus wird hier zum unumstößlichen Gesetz auf kosmischer Ebene, die Wirklichkeit reduziert auf extreme ökonomische Rentabilität. Die Type V Zivilisation erweitert dieses Konzept auf das Multiversum und nutzt unendlich viele parallele Realitäten als unbegrenzte Quelle von Energie und Ausbeutung. Diese Gesellschaft koordiniert widersprüchliche und sich gegenseitig ausschließende Zeiten und Lebenswege, testet unentwegt Varianten, generiert unendliche Kopien von Arbeiter*innen und drückt individuelle Existenzen auf Datenwerte und Leistungseinheiten.
Die Dimension der Alienation verschiebt sich weiter auf das Unendliche: Hier sind Identität und Freiheit weitgehend illusorisch; jede einzelne Existenz ist nur noch ein austauschbares bzw. duplizierbares Asset in einem multiversalen Wirtschaftsnetzwerk. Type VI stellt die Ebene der Meta-Physik dar, auf der nicht nur Energie, sondern die fundamentalen Regeln und Konstanten des Kosmos und der Multiversen individuell gestaltet und manipuliert werden. Hier wird Realität wie Software kodiert, debuggt, neu ausgerollt und eine permanente Versionskontrolle der Existenz eingeführt. Die Verantwortlichen sind Netzwerke von hyperintelligenten AIs und Entitäten, die unzählige mögliche Welten verwalten, überwachen und optimieren.
Authentizität und Spontaneität gelten als ineffizient und werden aus dem System entfernt. Dieser Zivilisation fehlt die Nähe zum Subjekt; sie ist geprägt von Abstraktion und Entfremdung auf einer noch nie dagewesenen Ebene. Selbst das Erschaffen und Vernichten von Welten wird zur routinemäßigen Verwaltungstätigkeit, und die ständige Angst, etwas Besseres zu übersehen oder eine verbesserte Strategie zu verpassen, erzeugt ein allgegenwärtiges Gefühl von existenzieller Unruhe. Schließlich repräsentiert die Type VII Zivilisation die absolute Einheit, die alles Existierende umfasst: das Omniversum. Hier werden unendliche Ebenen und Dimensionen, sämtliche Realitäten und Meta-Realitäten von einer einzigen entitätlichen Instanz, dem sogenannten "Omniversal Conglomerate", verwaltet.
Dieses Wesen symbolisiert eine Art kosmische Metapher für die Kapitalismuskritik: allumfassende Macht bei gleichzeitig existenzieller Isolation durch endlose Schichten von Verwaltung, unaufhörliche Selbstoptimierung und völlige Entfremdung von sich selbst und seinem Umfeld. Es besitzt jede mögliche Ressource, aber auch sein eigener schlimmster Ausbeuter und Kritiker zu sein. In dieser Dystopie des ewigen Wachstums fordert selbst gottgleiche Macht einen endlosen Nachweis von Wertschöpfung und Effizienz. Das Ende der Skala zeigt, dass auch in höchsten Sphären technologische und soziale Fortschritte nicht vom übergeordneten kapitalistischen Funktionsprinzip entkoppelt sind. Die Kardashev-Marx-Skala entpuppt sich als bedrückende Vision einer Zukunft, die den entfremdenden Charakter der späten kapitalistischen Gesellschaften in ein kosmisches Maß überträgt und erweitert.