Im Skandal um das ehemalige DAX-Unternehmen Wirecard gibt es nun eine bedeutende juristische Entscheidung. Das Landgericht München hat am 5. September 2024 drei ehemalige Vorstandsmitglieder des insolventen Unternehmens zur Zahlung von insgesamt 140 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt. Dieses Urteil wirft einen Schatten auf die Verantwortung von Führungskräften in großen Unternehmen und zeigt die fortdauernden Folgen eines der größten Wirtschaftsskandale in der deutschen Geschichte. Die Verurteilung betrifft spezifisch den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun sowie die Finanz- und Produktvorstände.
Sie wurden für ihr fahrlässiges Handeln bei der Vergabe eines Kredits und der Zeichnung von Schuldverschreibungen verantwortlich gemacht. Der Insolvenzverwalter Michael Jaffé warf den ehemaligen Managern vor, durch ihr Fehlverhalten die finanzielle Lage des Unternehmens erheblich verschlechtert zu haben, was letztlich zu einer massiven Schädigung der Gläubiger führte. Das Gericht stellte fest, dass ein Kredit in Höhe von 100 Millionen Euro an das Unternehmen OCAP vergeben wurde, ohne eine ausreichende Besicherung. Diese Entscheidung, so der Vorsitzende Richter Helmut Krenek, fiel in einer Zeit, als bereits erkennbare Alarmzeichen bezüglich der finanziellen Stabilität von Wirecard vorhanden waren. Zudem gab es keine gründliche finanzielle Prüfung vor der Zeichnung weiterer Schuldverschreibungen über 100 Millionen Euro.
Die Verantwortlichen hätten angesichts der vorliegenden Informationen misstrauisch werden müssen und entsprechende Maßnahmen ergreifen sollen. Der Insolvenzverwalter Michael Jaffé verfolgt mit seiner Klage das Ziel, für die Gläubiger des Unternehmens einen Teil der Verluste zurückzuholen. Wirecard war im Sommer 2020 insolvent geworden, als bekannt wurde, dass 1,9 Milliarden Euro in den Bilanzen fehlten. Dieser Betrag stellte sich später als nicht existent heraus, was zu einem massiven Vertrauensverlust in die Unternehmensführung und in die Aufsicht führender Finanzbehörden führte. Trotz des Urteils gibt es Grund zur Annahme, dass der Rechtsstreit nicht beendet ist.
Prozessbeobachter rechnen mit Berufungen gegen das Urteil. Der ehemalige stellvertretende Aufsichtsratschef Stefan Klestil wurde im Übrigen von einer Zahlungspflicht freigesprochen. Auch wenn das Gericht ihm eine Verletzung seiner Aufsichtspflichten attestierte, wurde dessen Verantwortlichkeit als zu gering eingeschätzt, um Schadensersatzforderungen gerechtfertigt zu machen. Krenek argumentierte, dass aufgrund der bislang nicht eingehaltenen Vorgaben des Aufsichtsrates nicht sicher sei, ob Klestils Maßnahmen zu einem anderen Ergebnis geführt hätten. Die Verurteilung der drei Vorstände wirft auch Fragen zu den Haftungsgrenzen von Managern auf.
Selbst wenn die betroffenen Führungspersonen mit ihrem Privatvermögen haften, stellt sich die Frage, ob dieses Vermögen ausreicht, um die geforderten Summen zu begleichen. Wirecard hatte für seine Vorstände und Aufsichtsräte eine Manager-Haftpflichtversicherung abgeschlossen, die theoretisch die geforderte Summe decken könnte. Allerdings schließen solche Versicherungen in der Regel die Zahlung bei Straftaten aus. Markus Braun und seine Kollegen stehen weiterhin unter dem Verdacht, in betrügerische Praktiken verwickelt zu sein. Die Verbindungen und Verwicklung des ehemaligen Vertriebsleiters Jan Marsalek, der derzeit untergetaucht ist, werfen zusätzliche Fragen auf.
Sein whereabouts sind unbekannt, und die Tatsache, dass er offenbar das Land verlassen konnte, ohne dass die zuständigen Behörden intervenierten, hat nicht nur in Deutschland, sondern auch international für großes Aufsehen gesorgt. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen des Wirecard-Skandals sind tiefgreifend. Er hat nicht nur das Vertrauen von Investoren in Technologieunternehmen und insbesondere in Fintechs erschüttert, sondern auch die Aufsicht der deutschen Finanzaufsicht BaFin infrage gestellt. Kritiker fordern nun grundlegende Reformen in der Unternehmensüberwachung und eine strengere Kontrolle der Finanzdienstleister. Erste Konsequenzen aus dem Skandal wurden bereits gezogen.
Die Reformen, die die Bundesregierung in der Finanzausbildung und -aufsicht initiiert hat, sollen sicherstellen, dass sich solche Vorfälle in Zukunft nicht wiederholen. Die Diskussion um die Verantwortung von Aufsichtsräten und Vorständen hat an Fahrt aufgenommen. Immer mehr Stimmen fordern eine klare Haftung und finanzielle Relevanz in den Aufsichtsräten von Unternehmen. Die Entscheidung des Gerichts wirft auch ein Schlaglicht auf die praktische Umsetzung dieser Ideen. Es ist ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung, um den Gläubigern zumindest einen Teil ihrer Ansprüche zurückzuerstatten, aber es bleibt ungewiss, wie viel von dem tatsächlich eintreibbar ist.
Der Ausgang könnte auch weitreichende Konsequenzen für die Rechtsprechung im Bereich der Unternehmensverantwortung haben. Erste Reaktionen auf das Urteil sind gemischt. Während die Klägerseite, vertreten durch Insolvenzverwalter Jaffé, sich über den Teilerfolg freut, zeigen die Verteidiger von Klestil sich optimistisch. Sie argumentieren, dass die Entscheidung des Gerichts die Verantwortung der Aufsichtsratsmitglieder uneinheitlich regelt und durchaus Raum für weitere rechtliche Auseinandersetzungen lässt. Das Verfahren steht somit vor einer spannenden Fortsetzung.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob das Urteil Bestand hat und wie sich die Klage gegen die Verantwortlichen weiterentwickelt. Die Geschehnisse um Wirecard werden nicht nur die betroffenen Personen betreffen, sondern auch zukünftige Generationen von Managern und Investoren, die aus den Lehren dieses Falls vielleicht einigen Mut schöpfen könnten, aber auch vermehrt auf die Sicherheit und Stabilität der Unternehmen achten. Unabhängig vom Ausgang wird der Wirecard-Skandal als ein Lehrstück in der Geschichte der Unternehmensführung in Deutschland eingehen. Die Frage bleibt, wie ähnlich gelagerte Fälle in Zukunft verhindert werden können und welche Mechanismen nötig sind, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Finanzmärkte und die Unternehmen zu stärken.