In der Welt der Wissenschaft existiert eine komplexe soziale Dynamik, die sich oft hinter den Kulissen abspielt, jedoch tiefgreifende Auswirkungen auf Karrierewege und das Arbeitsumfeld hat. Ein besonders eindringliches Phänomen, das kürzlich durch eine Umfrage und wissenschaftliche Beobachtungen ins Licht gerückt wurde, ist der sogenannte 'Gollum-Effekt'. Er beschreibt das territoriale und possessive Verhalten, das von etablierten Forschenden gegenüber ihren jüngeren Kolleginnen und Kollegen gezeigt wird – insbesondere gegenüber Promovierenden. Diese jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tragen dabei die Hauptlast dieser oft schädlichen Verhaltensweisen. Dieser Artikel entlarvt die Ursachen, Manifestationen und Folgen des Gollum-Effekts im akademischen Milieu und liefert wichtige Ansätze für den Umgang mit dieser Problematik.
Territorialität als soziale Dynamik in der Wissenschaft Territorialverhalten ist in vielen sozialen Systemen zu beobachten, auch im akademischen Kontext. Hier manifestiert es sich durch das Besetzen und Verteidigen von Ideen, Forschungsgebieten und Ressourcen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen häufig ihre Forschungsthemen und Tools als Teil ihres intellektuellen Eigentums an, das sie gegen vermeintliche Bedrohungen von außen schützen wollen. Das Bedürfnis, die eigene Arbeit und Position zu sichern, kann zu einem aggressiven Abgrenzen führen, das junge Forschende massiv einschränkt. Besonders in frühen Karrierestufen sind sie oft nicht in der Lage, sich effektiv gegen solche Verhaltensweisen zu wehren.
Der Begriff 'Gollum-Effekt' ist eine metaphorische Anspielung auf die literarische Figur Gollum aus J.R.R. Tolkiens Werken, die durch ihre besitzergreifende und misstrauische Haltung gegenüber ihrem 'Schatz' (dem einen Ring) charakterisiert ist. Übertragen auf die Wissenschaft symbolisiert er Forschende, die sich besitzergreifend und oft destruktiv gegenüber ihren Forschungsbereichen oder Kolleginnen und Kollegen verhalten, insbesondere gegenüber denen, die in ihrer Hierarchie tiefer stehen.
Ausmaß und Formen des territorialen Verhaltens Eine aktuelle Umfrage unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf verschiedenen Karrierestufen zeigt alarmierende Zahlen: Fast die Hälfte der Befragten hat schon einmal territoriales oder untergrabendes Verhalten durch Kolleginnen und Kollegen erfahren. Besonders häufig geschieht dies in der Promotionsphase. Diese Zeit ist besonders sensibel, da Promovierende in hohem Maße von Betreuung und Unterstützung durch erfahrene Forschende abhängig sind. Die territorialen Verhaltensweisen reichen von subtilen, passiv-aggressiven Taktiken bis zu offenem Ausschluss oder Kompetenzuntergrabung. Beispielsweise kommt es häufig vor, dass Betreuer ihre Promovierenden in Forschungsprojekten absichtlich marginalisieren, wichtige Informationen vorenthalten oder konkurrenzorientierte Atmosphäre schaffen, die das Arbeiten lähmt.
Häufig sind hochrangige Forschende oder sogar direkt die Betreuenden die Verursacher. Die Umfrage zeigte, dass knapp die Hälfte der Betroffenen als Täter bekannte, angesehene Persönlichkeiten in ihrem Fachgebiet identifizierte, während ein Drittel direkt die eigenen Betreuer als Hauptverursacher benannte. Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Karriere Promovierende stehen durch diesen 'Gollum-Effekt' vor erheblichen Herausforderungen. Die psychische Belastung, die mit der ständigen Unsicherheit und dem Kampf um Anerkennung einhergeht, kann zu Stress, Angstzuständen und sogar Depressionen führen. Solche negativen Erfahrungen können das wissenschaftliche Selbstvertrauen untergraben und die Motivation stark beeinträchtigen.
Auf der Karriereebene zeigen Studien, dass territorial ausgerichtetes Mobbing und Ausschlussmechanismen den beruflichen Aufstieg erschweren. Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die in einem solchen Umfeld tätig sind, haben es schwerer, sich mit eigenen Ideen Gehör zu verschaffen oder eigenständige Projekte zu entwickeln. Dies kann langfristig zu einer höheren Abwanderung aus der Wissenschaft führen, was wiederum negative Effekte auf Innovationskraft und Forschungsvielfalt hat. Gesellschaftliche und institutionelle Dimensionen Territorialität in der Wissenschaft ist jedoch kein individuelles Problem allein, sondern auch ein Spiegelbild institutioneller Strukturen. Das hohe Maß an Konkurrenzdruck, begrenzte Ressourcen und Karrierewege, die oft von Netzwerken und Status abhängen, fördern egozentrische und ausschließende Verhaltensmuster.
Zudem garantiert die Machtasymmetrie zwischen Betreuern und Promovierenden eine Situation, in der Machtmissbrauch leichter möglich ist. In vielen Fällen fehlen klare und wirksame Beschwerde- und Unterstützungsmechanismen. Insbesondere in akademischen Institutionen ist die Offenlegung solcher Konflikte häufig mit Angst verbunden, da Repressalien oder negative Auswirkungen auf die eigene Laufbahn befürchtet werden. Mögliche Lösungsansätze und Perspektiven Die Bewältigung des Gollum-Effekts in der Wissenschaft erfordert ein Umdenken auf mehreren Ebenen. Zunächst ist es notwendig, das Problembewusstsein für territoriales Verhalten und seine negativen Folgen zu schärfen.
Forschungsinstitutionen sollten verbindliche Verhaltensrichtlinien formulieren und durchsetzen, um Rücksichtnahme und gegenseitigen Respekt im wissenschaftlichen Alltag zu fördern. Die Einführung von anonymen Beschwerdesystemen und unabhängigen Ombudspersonen kann dazu beitragen, Betroffene zu schützen und Täter zu sanktionieren. Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Förderung einer positiven und unterstützenden Mentoring-Kultur. Hierbei sollten Betreuungspersonen speziell geschult werden, um destruktive Verhaltensmuster zu erkennen und abzulegen. Zudem sind Programme zur Stärkung der Resilienz und sozialen Kompetenzen bei Promovierenden wünschenswert, um sie auf den Umgang mit schwierigen Situationen vorzubereiten.
Eine nachhaltige Veränderung erfordert zudem eine Entschärfung des Konkurrenzdrucks im Wissenschaftsbetrieb. Dies könnte etwa durch eine Diversifizierung von Karriereperspektiven, eine verbesserte Finanzierung und eine Kritik am allzu starken Publish-or-Perish-Prinzip erreicht werden. Somit wird ein Umfeld geschaffen, das kooperative und offene Forschung statt abgekapseltes Territorialdenken fördert. Fazit Der 'Gollum-Effekt' stellt eine ernstzunehmende Herausforderung für die wissenschaftliche Gemeinschaft dar. Gerade Promovierende stehen oft im Zentrum von territorialen Machtspielen, die ihre berufliche und persönliche Entwicklung massiv beeinträchtigen können.
Die Offenlegung und das Verständnis dieser Dynamik sind erste wichtige Schritte, um dem entgegenzuwirken. Durch institutionelle Reformen, verstärkte Sensibilisierung und die Förderung einer unterstützenden Kultur kann langfristig ein Arbeitsumfeld geschaffen werden, das wissenschaftliches Arbeiten auf Augenhöhe ermöglicht und Innovationen beflügelt. Wissenschaft ist ein gemeinschaftliches Unterfangen, das erst in einer Atmosphäre von Vertrauen und Respekt sein volles Potenzial entfalten kann.