Indien strebt schon seit einiger Zeit an, eine zentrale Rolle in der globalen Halbleiterindustrie einzunehmen, um die Abhängigkeit von ausländischen Lieferketten zu reduzieren und die technologische Souveränität zu stärken. Vor diesem Hintergrund wurde die Partnerschaft zwischen dem Adani-Konzern und dem israelischen Halbleiterunternehmen Tower Semiconductor mit großem Interesse verfolgt. Das geplante 10-Milliarden-Dollar-Projekt sollte in Westmaharashtra angesiedelt werden und eine moderne Chipfabrik errichten, die monatlich 80.000 Wafer produzieren und rund 5.000 Arbeitsplätze schaffen sollte.
Damit hätte es einen wesentlichen Beitrag zu Premierminister Narendra Modis Ziel geleistet, Indien zum Halbleiter-Hub zu machen. Doch nun wurden die Verhandlungen auf Eis gelegt, da das Adani-Konglomerat nach eingehenden internen Bewertungen Zweifel an der strategischen und kommerziellen Sinnhaftigkeit des Projekts hat. Die Entscheidung, die Gespräche vorerst auszusetzen, spiegelt die komplexen Herausforderungen wider, vor denen Indien im Bereich der Halbleiterbranche steht. Ein zentraler Punkt der Unsicherheit ist die zu erwartende Nachfrage auf dem heimischen Markt. Im Gegensatz zu etablierten Fertigungszentren wie China, Südkorea oder Taiwan ist der indische Markt für Halbleiterprodukte noch vergleichsweise klein.
Adanis interne Analysen kommen zu dem Schluss, dass es derzeit unklar ist, ob die local produzierte Chips in ausreichendem Maße abgesetzt werden können, um das Geschäft nachhaltig zu gestalten. Darüber hinaus gab es Differenzen hinsichtlich des finanziellen Engagements von Tower Semiconductor. Adani forderte, dass der Technologiepartner stärker finanziell am Projekt beteiligt sein solle, was offenbar nicht in ausreichendem Maße zugesagt wurde. Dieses Missverhältnis führte zusätzlich zur Verzögerung der Gespräche. Die Pausierung der Kooperation ist nicht der erste Rückschlag für Indiens Bestrebungen, eine Halbleiterindustrie aufzubauen.
Im Jahr 2023 wurde bereits das geplante Joint Venture zwischen Vedanta und Foxconn im Wert von 19,5 Milliarden Dollar vom Tisch genommen, nachdem Bedenken hinsichtlich der Projektkosten und staatlicher Anreize aufkamen. Gleichzeitig treiben andere große indische Unternehmen ihre eigenen Projekte voran, wie beispielsweise die Tata-Gruppe mit einem 11-Milliarden-Dollar-Chipherstellungs- und Testzentrum sowie Micron mit einem 2,7-Milliarden-Dollar-Chipverpackungsbetrieb. Die indische Regierung hat zwar große Pläne, hat aber bislang noch keine voll funktionsfähige Chipfabrik zu verzeichnen. Dennoch bleibt das Interesse an der Halbleiterbranche hoch, auch vor dem Hintergrund geopolitischer Verschiebungen und der globalen Chipknappheit, die die weltweite Industrie seit Jahren beschäftigt. Für Adani ist die jetzige Entscheidung, die Projekte mit Tower Semiconductor zu pausieren, eine strategische Maßnahme.
Der Konzern will abwarten und weitere Bewertungen durchführen, um sicherzustellen, dass eine Investition in diesem Bereich wirtschaftlich tragfähig ist. Insbesondere will Adani verstehen, wie der Absatz der produzierten Chips in Indien erfolgreich gestaltet werden kann, da der Markt noch in den Kinderschuhen steckt. Experten sehen in dieser Entwicklung auch ein Signal dafür, dass der indische Halbleitermarkt noch Zeit braucht, um eine kritische Masse zu erreichen, die solche Großinvestitionen trägt. Der Marktanteil Indiens im globalen Halbleiterbedarf wird laut UBS aktuell lediglich auf 6,5 Prozent geschätzt, weit entfernt von den Spitzenreitern China und den USA mit einem gemeinsamen Marktanteil von über 50 Prozent. Angesichts dieser Zahlen erscheint die strategische Zurückhaltung von Adani nachvollziehbar.
Die Rolle von Tower Semiconductor als Technologiepartner bleibt weiterhin relevant, da das israelische Unternehmen vor allem auf analoge und Mixed-Signal-Halbleiter spezialisiert ist, die vor allem in der Automobilindustrie Verwendung finden – ein Sektor, der in Indien ebenfalls im Wachstum begriffen ist. Dennoch bleibt offen, wann und ob die Partnerschaft wieder aufgenommen wird. Zwischenzeitliche politische Ambitionen, wie die „Make in India“-Initiative von Premierminister Modi, unterstreichen den Willen der Regierung, das Land als Produktionsstandort zu etablieren. Doch neben der Marktgröße spielen auch infrastrukturelle Aspekte, Fachkräfteentwicklung und regulatorische Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle, um die Industrie nachhaltig wachsen zu lassen. Der Schritt von Adani zeigt, dass große indische Unternehmen nicht nur auf den politischen Willen setzen, sondern auch realistische wirtschaftliche Bewertungen vornehmen.
Die Balance zwischen ambitionierten Entwicklungszielen und marktbasierter Wirtschaftlichkeit ist für den Erfolg essenziell. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Indiens Weg zur Halbleiternation voller Herausforderungen, aber auch mit viel Potenzial besetzt ist. Die jüngste Entwicklung um Adanis Investitionspläne verdeutlicht, dass nachhaltiges Wachstum nicht ohne tiefgehende Analyse und klare Strategien möglich ist. Während das Land weiterhin darauf hinarbeitet, seine industrielle Basis zu stärken, werden der Ausbau der Nachfrage, die Entwicklung eines talentierten Arbeitsmarkts und internationale Kooperationen Schlüsselrollen spielen. Die indische Halbleiterbranche steht somit am Scheideweg – zwischen ambitioniertem Anspruch und der Realität einer noch sich entwickelnden Marktlandschaft.
Die Zukunft der Chipfertigung in Indien bleibt spannend und wird maßgeblich davon abhängen, wie schnell und effizient Hindernisse überwunden und Chancen genutzt werden können.