Am 22. Juli 1966 ereignete sich am RAF-Stützpunkt Lyneham ein Ereignis, das in die Luftfahrtgeschichte einging und bis heute für Staunen sorgt. Walter „Taffy“ Holden, ein 39-jähriger Ingenieur und Kommandant der No. 33 Maintenance Unit der Royal Air Force, startete unbeabsichtigt mit einer English Electric Lightning, einem hochmodernen Überschalljäger, der eigentlich nur durch dafür speziell ausgebildete Testpiloten geflogen wurde. Dieser spektakuläre Vorfall zeigt nicht nur die Gefahren und Herausforderungen in der Militärluftfahrt, sondern auch die außergewöhnlichen Fähigkeiten und den kühlen Kopf eines Mannes, der zum Piloten wider Willen wurde.
Die English Electric Lightning war während ihrer Dienstzeit eine der beeindruckendsten und leistungsfähigsten Maschinen ihrer Epoche. Entwickelt als Kurzstrecken-Abfangjäger, erreichte sie Geschwindigkeiten von bis zu Mach 2, was bedeutet, dass sie doppelt so schnell wie die Schallgeschwindigkeit unterwegs sein konnte. Das Flugzeug war für seine enorme Steiggeschwindigkeit und Wendigkeit bekannt und obendrein eines der wenigen zweistrahligen Jagdflugzeuge mit einer innovativen Konstruktion, bei der die Triebwerke hintereinander unter dem Rumpf eingebaut waren. Die Maschine zu beherrschen, erforderte also höchste Flugkompetenz. An besagtem Tag wurde an der Lightning mit der Kennung XM135 eine elektrische Fehlfunktion untersucht.
Die Maschine war bereits die zweite in der Produktionsreihe und wies ein Problem auf, das sich während des Beschleunigungsprozesses zeigte. Dabei fiel der elektrische Inverter aus, der die wichtigsten Fluginstrumente mit Strom versorgte, was nicht nur den Testflug erschwerte, sondern auch die Fertigstellung der Wartungseinheit verzögerte. Weil der normalerweise zuständige Testpilot für die Lightning für diesen Zeitraum nicht verfügbar war, wurde Holden, eigentlich kein aktiver Kampfpilot, gebeten, die notwendigen Bodentests durchzuführen. Für diese Aufgaben war lediglich vorgesehen, dass die Maschine in kurzen Abschnitten über die Rollbahn rollte, um unterschiedliche elektrische Konfigurationen zu prüfen. Holden war zwar ein erfahrener Flugingenieur und hatte durchaus Flugerfahrung – unter anderem mit leichteren Flugzeugen wie der de Havilland Chipmunk und der Tiger Moth – jedoch war er nicht für Hochleistungsjets wie die Lightning qualifiziert.
Zudem war er während des Tests ohne Helm und Funkgerät im Cockpit unterwegs, und die Haube des Flugzeugs war zu Wartungszwecken abgenommen worden. Auch das Fahrwerk war im Testmodus arretiert und konnte nicht eingefahren werden. Das Unglück nahm seinen Lauf, als Holden versehentlich den Gashebel nicht wie geplant nur bis zur Nachbrenner-Grenze bediente, sondern darüber hinaus schob und damit den Nachbrenner zündete. Diese zusätzliche Schubkraft katapultierte das Flugzeug mit einer enormen Geschwindigkeit über die Startbahn. Die Nachbrenner verfügen über eine komplizierte Bedienung, die zum Abschalten ein spezielles Einrasten erfordert – eine Handlung, mit der Holden nicht vertraut war.
Die Maschine beschleunigte so rasch, dass Holden kaum Zeit hatte zu reagieren und mehrere Hindernisse auf der Bahn knapp verfehlte, darunter einen Treibstofftankwagen, der sich gerade auf der Strecke befand. Ein de Havilland Comet startete gleichzeitig von der selben Bahn, als Holden auf dem Weg war, die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen. Da der verbleibende Platz auf der Rollbahn nicht mehr ausreichte, entschied Holden sich beherzt zum Abheben. Er zog den Steuerknüppel zurück, und die Lightning hob erstmals in ihrer Geschichte mit einem ungeübten Piloten vom Boden ab. In der Luft versuchte Holden unter höchstem Stress, den Nachbrenner wieder auszuschalten.
Unmittelbar spürte er die Kontrollmechanismen des Schubs und gelang es, den Hebel vorsichtig zu betätigen, um die Maschine in einen beherrschbaren Flugzustand zu bringen. Ein weiterer großer Vorteil war, dass der Schleudersitz während des Tests deaktiviert war, so dass ein Ausstieg in der Luft ausgeschlossen war und er keine Wahl hatte, als zu landen. Das Fliegen ohne Helm, ohne Haube und mit dem Fahrwerk ausgefahren war eine zusätzliche Herausforderung, ebenso wie das völlige Fehlen jeglicher Funkverbindung zur Bodenleitung. Die ersten beiden Landemanöver scheiterten, da Speed und Höhe nicht stimmten und Holden das richtige Landeprofil nicht korrekt einschätzen konnte. Schließlich erinnerte er sich an die Landetechnik von alten Doppeldeckern und sogenannten Taildragger-Flugzeugen, bei denen der Flugzeugrumpf beim Aufsetzen hinten tiefer liegt und die Maschine mit einem steileren Anstellwinkel landet.
Diese ungewöhnliche Methode führte allerdings zu einem Schwanzaufschlag – der hintere Schutzbügel berührte die Landebahn, was den Bremsfallschirm entriss und einige Teile beschädigte. Ungeachtet dieser Schäden gelang es Holden, das Flugzeug sicher zum Stillstand zu bringen, mit nur rund 100 Metern übrigem Rollfeld. Nach diesem heldenhaften Flug, der insgesamt etwa 12 Minuten dauerte, war sowohl der Pilot als auch das Flugzeug praktisch unverletzt. Die Lightning wurde repariert und kehrte später wieder in den Dienst zurück, ehe sie 1974 vom Imperial War Museum Duxford als Ausstellungsstück übernommen wurde. Jahrzehnte später erzählt das aufbewahrte Flugzeug immer noch von jenem unerwarteten Abenteuer und dem Technikverständnis sowie Mut eines Mannes, der zum Piloten eines Überschalljets wurde, ohne es je beabsichtigt zu haben.
Die Untersuchung des Vorfalls ergab, dass der technische Fehler, der den Anlass für die Tests gab, von zurückgelassenen elektrischen Leitungen herrührte, die nach einer früheren Modifikation nicht komplett entfernt worden waren. Diese Leitungen führten zu einer Störung im Schaltkreis des Flugzeuginverters, die sich unter Last zeigte und schließlich durch das Anstoßen an eine bewegliche UHF-Radioantenne ausgelöst wurde. Die Zwischenfälle mit der Bedienung der Nachbrenner-Kontrolle zeigten zudem, wie komplex und herausfordernd die Steuerung eines solchen Flugzeugs sein kann, besonders für unerfahrene Piloten. Während der ungewollte Flug in der RAF zunächst für ernste Befragungen sorgte, wurde letztlich festgestellt, dass Holden keine Anweisungen gebrochen hatte. Einzig die Prozeduren für solche Bodentests wurden anschließend überarbeitet, um ähnliche Risiken künftig zu minimieren.
Der Vorfall wurde unvermeidbar bekannt, da auf der Basis zahlreiche zivile Auftragnehmer anwesend waren, sodass die Medien relativ schnell davon erfuhren. Holden selbst wurde sogar beim Italienurlaub von Bekannten erkannt, was die Verbreitung der Geschichte zusätzlich beschleunigte. Holdens Fähigkeit, während dieser Krise kühlen Kopf zu bewahren und das Flugzeug zu beherrschen, findet in der Luftfahrtwelt große Anerkennung. Sein Verhalten steht als Beispiel für Improvisationstalent und Verantwortungsbewusstsein in extremen Situationen. Seine Laufbahn in der RAF setzte er unbeschadet fort und zog sich erst in den späten 1970er oder frühen 1980er Jahren in den Ruhestand zurück.