In den letzten Jahren hat sich ein bemerkenswerter Trend in der Organisation wissenschaftlicher und beruflicher Konferenzen in Nordamerika abgezeichnet. Immer mehr Veranstalter verlegen ihre Events aus den Vereinigten Staaten nach Kanada. Diese Entwicklung ist Ausdruck wachsender Besorgnis unter kanadischen Reisenden gegenüber der derzeitigen politischen und sozialen Situation in den USA. Was zunächst wie eine logistische Herausforderung erscheint, hat tiefgreifende Ursachen und Auswirkungen, die einzelne Fachbereiche, internationale Beziehungen und die Wirtschaft betreffen. Ein ausschlaggebender Faktor für diesen Wandel ist das politische Klima unter der Trump-Administration, das zahlreiche Kanadier vom Reisen in die USA abhält.
Besonders deutlich wird dies am Beispiel der North American Society for the Sociology of Sport (NASSS), die ursprünglich ihre Jahreskonferenz in Seattle plante. Viele kanadische Mitglieder, darunter auch deren Präsidentin, die selbst trans ist, äußerten große Bedenken bezüglich ihrer Sicherheit und der zunehmenden Einschränkungen der Transgender-Rechte in den USA. Die Entscheidung fiel daraufhin, das Konferenzprogramm zwischen Seattle und Vancouver aufzuteilen, um die Teilnahme der kanadischen Wissenschaftler zu gewährleisten. Diese Praxis der Doppelveranstaltung mittels Videokonferenzierung zeigt ein innovatives Vorgehen bei der Bewältigung der neuen Herausforderungen. Sie bewahrt nicht nur das internationale Networking, sondern bietet auch einen direkten Einblick in die wachsenden Spannungen und die daraus resultierende Mobilitätsbeschränkung.
Die Reiseängste großer Gruppen sind keineswegs unbegründet. Das mittlerweile verschärfte Grenzmanagement der amerikanischen Zoll- und Einwanderungsbehörden hat vielfach zu problematischen Situationen für kanadische Einreisende geführt. Fälle wie die elf Tage andauernde Festhaltung einer Kanadierin oder die Weigerung der Einreise eines französischen Wissenschaftlers wegen vermeintlicher politischer Einstellungen unterstreichen die Atmosphäre der Unsicherheit. Diese Ereignisse werden von Berichten über willkürliche Kontrollen von Smartphones oder persönlichen Gegenständen – wie sie der Soziologe Nathan Kalman-Lamb erfahren hat – ergänzt, was das Gefühl der Einschüchterung verstärkt und viele dazu bringt, zeitweise auf Forschungsreisen in die USA zu verzichten. Auch die wirtschaftlichen Folgen sind signifikant.
Die Anzahl der kanadischen Reisen in die USA ist in jüngster Zeit stark zurückgegangen, sowohl im Flug- als auch im Landverkehr. Bereits im April verzeichneten Statistiken einen Rückgang um fast 20 Prozent bei Flugreisen und über 35 Prozent bei Grenzübertritten auf dem Landweg. Diese Zahlen spiegeln nicht nur die Vorsicht der Bürger wider, sondern wirken sich auch direkt auf die Veranstaltungsbranche aus. Für nordamerikanische Organisationen wie die Canadian Association of Pathologists (CAP) war es daher eine logische Konsequenz, die gemeinsame Konferenz mit der amerikanischen Gesellschaft in Canada abzuhalten – und zwar in Montreal, obwohl die amerikanischen Partner zahlenmäßig stark überlegen sind. Diese Entscheidung zeigt ein Umdenken in der Planung grenzüberschreitender Kooperationen.
Auch weitere Organisationen verlagern ihre Tagungen vollständig nach Kanada. So entschied das Work and Family Researchers Network, seine für 2026 geplante Konferenz von Boston nach Montreal zu verlegen. Ähnliche Gründe nennt auch die International Society for the Research on Aggression, die ihr Treffen von New Jersey nach St. Catharines in Ontario verschob, weil die veränderten internationalen Reisegewohnheiten in den USA eine Veranstaltung dort „unhaltbar“ machten. Die Verlegung von Großevents – die teilweise mehrere hundert bis tausend Teilnehmer anziehen – bringt auch für die kanadische Wirtschaft enorme Vorteile.
Konferenzmanagerinnen wie Heather Dow sehen darin eine bedeutende Chance für lokale Städte und Regionen. Der wirtschaftliche Impuls durch Teilnehmer, die Hotel-, Verpflegungs- und Transportdienste in Anspruch nehmen, summiert sich rasch zu mehreren Hunderttausend Dollar pro Veranstaltung. Dies bietet Kanada eine willkommene Möglichkeit, seine Veranstaltungsbranche zu stärken und auf internationaler Bühne weiter auszubauen. Neben den unmittelbaren wirtschaftlichen Effekten lässt sich zudem beobachten, wie sich das Image Kanadas als sicherer und einladender Ort für Forschung, Wissenschaft und beruflichen Austausch festigt. Während die USA aufgrund ihrer restriktiven Maßnahmen an Attraktivität verlieren, profitiert Kanada von der Offenheit und den vergleichsweise entspannten Einreisebestimmungen.
Allerdings bringen diese Veränderungen auch Herausforderungen mit sich. Die Veranstalter müssen technischen und organisatorischen Mehraufwand bewältigen, um hybride Formate zu ermöglichen oder logistische Komplexitäten zwischen zwei Standorten zu koordinieren. Zudem besteht die Sorge, dass die fortschreitende Polarisierung die Zusammenarbeit zwischen nordamerikanischen Partnerorganisationen langfristig erschweren könnte. Darüber hinaus hat sich die politische Unsicherheit auf individueller Ebene manifestiert. Wissenschaftler und Fachleute, die gewohnt waren, regelmäßig an US-amerikanischen Konferenzen teilzunehmen, sehen sich nun mit Ängsten konfrontiert, die bislang unvorstellbar schienen.
Die psychologische Belastung durch intensivere Kontrollen oder die Befürchtung, ohne klaren Grund festgehalten zu werden, wirkt sich auf die Motivation und Mobilität aus. Langfristig könnte diese Lage auch Auswirkungen auf die Innovationskraft und die internationale Vernetzung haben. Konferenzen sind entscheidende Plattformen, um neue Erkenntnisse auszutauschen, Kooperationen zu initiieren und Forschungsprojekte voranzutreiben. Wenn der Zugang zu bestimmten Regionen erschwert wird, könnten die entsprechenden Fachgebiete an Dynamik verlieren. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich dieser Trend weiterentwickelt.
Die USA stehen unter dem Druck, ihre Grenz- und Immigrationspolitik zu überdenken, während Kanada seine Position als attraktiver Veranstaltungsstandort ausbauen kann. Für Teilnehmer und Organisatoren bedeutet dies, dass Flexibilität, digitale Lösungen und eine sorgfältige Berücksichtigung der geopolitischen Lage künftig noch wichtiger werden. Insgesamt zeigt die Verlagerung zahlreicher nordamerikanischer Konferenzen nach Kanada, wie sehr sich politische Entscheidungen und gesellschaftliche Entwicklungen unmittelbar auf Wissenschaft und Wirtschaft auswirken können. Während die USA mit internen Herausforderungen und internationalen Imageproblemen kämpfen, öffnet sich für Kanada eine neue Tür, um seine Rolle als zentraler Knotenpunkt für Wissenstransfer auf dem nordamerikanischen Kontinent zu festigen und auszubauen.