Die Welt steht an einem entscheidenden Wendepunkt, an dem technologische Fortschritte wie Künstliche Intelligenz (KI) und Automatisierung nicht nur einzelne Branchen, sondern die gesamte Wirtschaft tiefgreifend verändern. Scott Santens, ein führender Fürsprecher des bedingungslosen Grundeinkommens (UBI), bringt in einem aufschlussreichen Gespräch eine Perspektive ein, die vielen Menschen helfen kann, die wachsenden Herausforderungen unserer Zeit besser zu verstehen und gleichzeitig Lösungsansätze zu finden. Seine langjährige Beschäftigung mit dem Thema macht deutlich, warum UBI längst kein Zukunftskonzept mehr ist, sondern eine dringende Notwendigkeit für die wirtschaftliche Sicherheit in einer sich dramatisch wandelnden Arbeitswelt. Scott Santens’ Weg zur Verfechtung des Grundeinkommens begann ursprünglich als reine Neugier. Bereits zu Beginn der 2010er Jahre interessierte er sich für die Auswirkungen von Technologie und Automatisierung auf die Gesellschaft, auch wenn diese Entwicklungen damals in der öffentlichen Diskussion kaum Beachtung fanden.
Eine für ihn prägende Erfahrung war die Lektüre von „Manna“ von Marshall Brain, einer Sci-Fi-Novelle, die zwei alternative Zukunftsszenarien zeichnet: eine mögliche Zukunft, in der technologische Entwicklungen der gesamten Gesellschaft zugutekommen, versus eine dystopische Entwicklung zugunsten weniger. Diese gedankliche Reise führte ihn auf eine historische Spurensuche, die bis zu den frühen Konzepten von Sozialstaatlichkeit und finanzieller Grundsicherung bei Denkern wie Thomas Paine und politischen Initiativen wie Richard Nixons Family Assistance Plan reicht. Dabei wurde für ihn klar, dass Grundeinkommensmodelle weltweit immer wieder praktisch erprobt wurden und positive Ergebnisse zeigten. Ironischerweise handelte es sich dabei um Tests, die viele Jahrzehnte vor der aktuellen Technologierevolution stattfanden. Santens hebt hervor, dass wir im Gegensatz zu früheren Industrialisierungsphasen heute vor einer technologischen Disruption stehen, die nicht nur körperliche Arbeit, sondern zunehmend auch kognitive und kreative Tätigkeiten automatisiert.
Die Entwicklung KI-basierter Modelle wie DeepSeek und die Markteinführung von ChatGPT im November 2022 markieren für ihn Wendepunkte, die deutlich machen, wie schnell diese Transformationen voranschreiten. Anders als bei früheren Automatisierungswellen, bei denen die Zerstörung von Arbeitsplätzen durch das Entstehen neuer Tätigkeitsfelder ausgeglichen wurde, könnte die Bandbreite der von KI ersetzten Aufgaben dieses Gleichgewicht langfristig erschüttern. Produktivitätssteigerungen wachsen weiter, jedoch haben die materiellen Vorteile davon längst nicht alle Gesellschaftsschichten erreicht. Die historische Kopplung zwischen Produktivitätswachstum und Lohnsteigerungen, die bis etwa 1973 bestand, wurde seitdem durch wachsende Ungleichheit und stagnierende Reallöhne radikal durchbrochen. Studien belegen, dass Billionen von Dollar, die eigentlich als Lohn an die breite Bevölkerung hätten fließen sollen, stattdessen zunehmend in den Händen der Top 1% landen.
Experten wie Santens sehen darin die eigentliche Herausforderung, nicht die Angst vor allgemeiner Arbeitslosigkeit. Das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens sieht er als Antwort auf diese wirtschaftlichen Umwälzungen. Im Kern bietet UBI jedem Einzelnen eine finanzielle Grundsicherung, die ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt wird, wodurch Armut und Existenzängste nachhaltig reduziert werden können. Dabei geht es dem Vertreter des Grundeinkommens nicht nur um das Überleben, sondern um eine neue Freiheit in der Arbeitswelt. Das UBI gibt Menschen die Möglichkeit, unter besseren Bedingungen zu verhandeln, indem es ihnen das „Recht, Nein zu sagen“ zurückgibt.
Wenn niemand aus Angst vor dem Verhungern schlechte oder ausbeuterische Arbeit annehmen muss, gewinnt der Arbeitsmarkt an Fairness, und Arbeitgeber sind gezwungen, bessere Konditionen anzubieten, um Arbeitskräfte zu gewinnen. Gleichzeitig ermöglicht es das Grundeinkommen, sinnvolle Tätigkeiten auszuüben, die gesellschaftlich bedeutsam sind, aber häufig schlecht bezahlt oder gar ehrenamtlich sind. Kunst, gemeinschaftliche Projekte oder Weiterbildung können dadurch leichter verfolgt werden. Santens betont, dass UBI ineffizienten bürokratischen Aufwand beseitigt, der typisch für traditionelle Sozialprogramme ist. Viele staatliche Hilfen erreichen nicht alle Bedürftigen und gehen oft mit hohen sogenannten Marginalsteuersätzen einher, bei denen der Bezug von Leistungen sofort gekürzt wird, wenn eine Person ein Einkommen erzielt.
Dies führt faktisch zu einer 100-prozentigen Besteuerung einer zusätzlichen Erwerbsarbeit, was den Anreiz, mehr zu arbeiten, erheblich schmälert. Eine flächendeckende Grundsicherung dagegen mindert diese Probleme und schafft eine deutlich stabilere wirtschaftliche Basis. Des Weiteren liefert das Grundeinkommen eine soziale Absicherung, die gerade in Zeiten schneller Arbeitsplatzveränderungen essenziell ist. Wenn niemand finanziell unter ein bestimmtes Niveau fallen kann, mindert das den Stress, der mit ökonomischer Unsicherheit einhergeht. Dies hat nachweislich positive Effekte auf psychische Gesundheit und kognitive Leistungsfähigkeit.
Finanzielle Sicherheit fördert die Freiheit, neue Fähigkeiten zu erlernen und sich auf dem Arbeitsmarkt flexibler zu bewegen, ohne die unmittelbare Angst vor dem Ruin. Die Frage nach der Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens wird in der öffentlichen Debatte regelmäßig gestellt. Santens plädiert für eine Kombination aus progressiver Besteuerung und moderner Umverteilung, die die wachsenden Einkommens- und Vermögensunterschiede adressiert und den Reichtum der obersten Prozent sinnvoll in die Gesellschaft zurückführt. Neben der sozialen Komponente hat UBI für ihn auch eine ökonomische Dimension, da eine gestärkte Mittelschicht typischerweise zu stabilerem Wachstum führt. Die Idee, dass soziale Sicherheit und Wirtschaftswachstum sich gegenseitig ausschließen, wird damit infrage gestellt.
In einer Zeit, in der KI-Systeme zunehmend komplexe Aufgaben übernehmen, verändern sich nicht nur die Strukturen von Arbeit und Einkommen, sondern auch gesellschaftliche Werte und Erwartungen. Santens sieht im Grundeinkommen einen Enabler für eine neue Arbeitskultur, die weniger auf reine Erwerbsarbeit fixiert ist und mehr Raum für Kreativität, Engagement und Innovation bietet. Letztlich fordert er von Politik und Gesellschaft ein Umdenken: Es gilt anzuerkennen, dass die technologische Entwicklung unumkehrbar ist und auf ihre sozialen Folgen proaktiv zu reagieren. Ein bedingungsloses Grundeinkommen sei nicht nur eine Versuchsballon für soziale Gerechtigkeit, sondern ein pragmatisches Instrument zur Stabilisierung der Wirtschaft und zur Wahrung von Würde und Freiheit aller Menschen. Wer frühzeitig handelt, kann die Chancen der neuen Ära besser nutzen, anstatt von den Risiken überwältigt zu werden.
Die Debatte um KI, Automatisierung und UBI ist somit kein theoretisches Zukunftsszenario mehr, sondern ein zentraler Bestandteil aktueller politischer Strategien und gesellschaftlicher Diskussionen. Die Erfahrungen mit Pilotprojekten und konkreten Modellen weltweit zeigen, dass Grundeinkommen funktionieren. Es ist an der Zeit, diese innovativen Lösungsansätze breiter anzuwenden und so einer zunehmend unsicheren Arbeitswelt neuen Halt zu geben. Scott Santens liefert mit seiner langjährigen Expertise und seinem leidenschaftlichen Engagement einen wertvollen Beitrag zur Verständigung über eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft, in der technologische Fortschritte allen zugutekommen.