Samsung Electronics, einst unangefochtener Globalplayer und Marktführer in der Halbleiterbranche, befindet sich heute in einer existenziellen Krise. Besonders im Wettbewerb um fortschrittliche Chips für Künstliche Intelligenz (KI) hat das südkoreanische Technologieunternehmen in den letzten Jahren an Boden verloren. Diese Entwicklung zeigt sich nicht nur in sinkenden Umsätzen und Marktanteilen, sondern auch in der entscheidenden Ressource eines jeden Technologieunternehmens: den Ingenieuren und Fachkräften. Die aktuelle Situation im Inneren von Samsung ist geprägt von hoher Belastung, Fluktuation und einer vielfach kritisierten Unternehmenskultur – Aspekte, die zunehmend den Leistungsentfaltung und die Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns beeinträchtigen. Die dramatischen Folgen beleuchten wir in diesem Beitrag.
Im Kern des Problems stehen überforderte Chip-Designer und Ingenieure, die mit schwindenden Teams und einem zunehmend rigiden, hierarchischen Arbeitsumfeld konfrontiert sind. Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür gibt der ehemalige Vorsitzende der Samsung-Gewerkschaft und Chip-Design-Ingenieur Han Ki-bak. Er berichtet von Kollegen, die nach monatelangen, erschöpfenden Nachtschichten zusammenbrechen, und von den psychischen sowie physischen Belastungen, die mit der hohen Arbeitsintensität einhergehen. Die Tatsache, dass Ingenieure mehrere Aufgaben parallel übernehmen müssen, statt sich auf einen Designbereich zu konzentrieren, führt laut Han zu einer beängstigenden Erschöpfung. Auf die Frage nach seinen Zukunftsaussichten bei Samsung antwortet er geradezu resigniert, dass er sich fühle, als würde er „daran sterben“.
Die Arbeitsbedingungen bei Samsung stehen seit einiger Zeit unter kritischer Beobachtung. Besonders die langen Arbeitsstunden, niedrige Bonuszahlungen und das Fehlen eines nachhaltigen Ausgleichs werden von vielen Mitarbeitenden bemängelt. In den letzten Monaten stiegen die Abgänge erfahrener Ingenieure spürbar an. Viele suchen ihr Glück bei multinationalen Konkurrenzunternehmen wie Micron oder Intel in den USA, während andere zu nationalen Wettbewerbern wie SK Hynix wechseln. Gerade dieser Talentverlust verschärft die bereits angespannte Personalsituation und steigert so den Druck auf die verbliebenen Mitarbeitenden.
Der Verlust zahlreicher Fachkräfte hat nicht nur menschliche Konsequenzen. Samsung steht dadurch vor einem ernsthaften Innovationsproblem. Die Fertigung und Entwicklung von Hochleistungs-Speicherchips, die für das Training und den Betrieb moderner KI-Systeme unverzichtbar sind, wird komplexer und technisch anspruchsvoller. Dennoch arbeiten die verbliebenen Teams oft ohne Unterstützung neuer Fachkräfte unter dem Druck ständiger Optimierung und kürzerer Deadlines. Gleichzeitig verzeichnet Samsungs Foundry-Geschäft großen Wettbewerbsdruck durch den dominierenden Marktführer TSMC aus Taiwan.
Die Unternehmensführung musste 2023 in diesem Bereich Verluste von 3,18 Billionen Won (umgerechnet rund 2,4 Milliarden US-Dollar) verkraften. Die Krise bei Samsung wird auch mit einer als „militärisch“ und „hierarchisch“ beschriebenen Unternehmenskultur in Verbindung gebracht. Diese Kultur verhindert laut internen Quellen eine offene und konstruktive Kommunikation. Manager geben unrealistische Ziele vor und setzen ihre Teams unter enormen Leistungsdruck, um kurzfristige Kennzahlen zu erfüllen. Dies führt zur systematischen Verschleierung von Problemen und einer Tendenz, Daten zu frisieren, damit Berichte besser aussehen als die Realität.
Mitarbeiter berichten davon, dass sie dazu angehalten werden, Überstunden als „Nicht-Arbeitszeit“ zu erfassen, um Grußarbeitszeitgrenzen zu umgehen. Diese Praxis führt nicht nur zu gesetzeswidrigen Arbeitsbedingungen, sondern auch zur zunehmenden Erschöpfung und Demotivation der Belegschaft. Ein weiterer entscheidender Faktor hinter den Schwierigkeiten liegt in der Personalpolitik des Unternehmens. Trotz steigender Abgänge versäumt Samsung es, offene Stellen ausreichend schnell und konsequent zu besetzen. Experten kritisieren, dass das Unternehmen zu lange abwartet und erst dann neue Mitarbeiter einstellt, wenn die Situation bereits kritisch ist.
Dies führt zu dauerhaft unterbesetzten Teams, die beispielsweise unter Beachtung der Sicherheitsvorschriften oft nur unzureichend besetzt sind. Berichte von Nachtschichten, in denen Mitarbeiter allein gefährliche Kontrollaufgaben erfüllen müssen, zeigen die Risiken, die mit dieser Praxis einhergehen. Finanziell leiden die Ingenieure ebenfalls unter der massiven Belastung. Im Jahr 2023 wurden eingestellt keine oder nur stark reduzierte Boni ausgezahlt – bis zu 72 Prozent weniger als während der Boomjahre der Pandemie. Für viele Angestellte bedeutet das eine hohe Mehrarbeit bei gleichzeitig deutlich gesunkener Vergütung.
Dies setzt der Motivation zusätzlich zu und führt bei jüngeren und talentierten Ingenieuren zu einer immer stärkeren Abwanderungsneigung. Neben den äußeren Belastungen kritisieren Insider auch die innere Struktur der Führungsebene. Viele Manager stammen aus der Bürokratie und sind vor allem darauf bedacht, kurzfristige Einsparungen und Effizienzsteigerungen zu erzielen. Nachhaltige Innovation werde dadurch erschwert, da Zeit für das Testen und Entwickeln langfristiger Techniken fehle. Stattdessen dominiere eine Fehlerkultur, bei der Probleme verborgen und negative Ergebnisse schöngeredet werden, um Leistungsziele zu erreichen.
Dadurch gerät die Produktqualität zunehmend unter Druck: Fehler und Defekte in Chips schleichen sich ein, was sich direkt auf die Wettbewerbsfähigkeit von Samsung im globalen Markt auswirkt. Diese Entwicklungen stehen im starken Kontrast zum Image, das Samsung über Jahrzehnte sorgfältig aufgebaut hat. Der einstige „Samsung-Mann“, ein prestigeträchtiger Titel, symbolisierte Exzellenz und die Zugehörigkeit zu einer Elite. Heute berichten Mitarbeiter, dass dieses Gefühl verloren gegangen sei. Die Fluktuation hat dazu geführt, dass viele Kollegen das Unternehmen frühzeitig verlassen und ein Werkstudentenvibe entstanden ist, der einem ständigen Wechsel und Unsicherheit Vorschub leistet.
Selbst Führungskräfte ermutigen inzwischen häufig die Mitarbeiter, zu abspringen und den Arbeitgeber zu wechseln. Werbleibt, sieht sich mit einem System konfrontiert, das eher auf Kontrolle und Druck als auf Empowerment und Innovation setzt. Auf der Ebene der Unternehmensführung hat Samsung erkannt, dass ein Umdenken notwendig ist. Lee Jae-yong, der Vorsitzende des Konzerns, sprach Anfang 2025 von einer „Entscheidung über Leben oder Tod“ und kündigte Reformen an. Interne Prüfungen sollen strukturelle Schwachstellen in der Halbleitersparte aufdecken und neue Strategien etablieren.
Dennoch zeigen bisherige Bemühungen kaum Wirkung, da radikale Veränderungen in einem Konzern von Samsungs Größe und Historie Zeit brauchen und auf Widerstände stoßen. Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft warnen, dass die festgefahrenen Führungskulturen und die Konsequenzen daraus die Innovationskraft stark bremsen. Samsung benötigt aber gerade jetzt kreative Lösungen und leistungsfähige Teams, um im globalen Halbleitermarkt, der durch den Boom der KI-Technologien einen nie dagewesenen Aufschwung erlebt, wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Druck, technologisch an die Spitze zurückzukehren, ist immens, doch die Voraussetzungen dafür werden durch die interne Situation erschwert. Zusammenfassend befindet sich Samsung in einem kritischen Transformationsprozess.
Auf der einen Seite steht die sich verschärfende Konkurrenz durch Wettbewerber wie SK Hynix, TSMC, Micron und chinesische Unternehmen. Auf der anderen Seite steht die Herausforderung, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die Talente bindet, Innovationen fördert und langfristig nachhaltige Erfolge ermöglicht. Am Beispiel Samsung zeigt sich eindrücklich, wie wichtig ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leistungsdruck und Mitarbeiterzufriedenheit ist – gerade in Hightech-Branchen mit intensivem globalem Wettbewerb. Die Mitarbeiter selbst sehen die dringende Notwendigkeit für eine grundlegende Veränderung. Das Festhalten an alten, militärisch geprägten Management- und Kommunikationsstilen wird inzwischen als Hemmschuh empfunden, der Chancen kostet.
Nur wenn Samsung den Mut zur Offenheit, zu ehrlicher Fehlerkultur und zur Weiterentwicklung seines Arbeitsumfelds beweist, kann der Konzern sein Ansehen als Innovationsführer zurückerobern. Es bleibt zu beobachten, ob Samsung seine Position im Rennen um die nächste Chip-Generation halten oder gar ausbauen kann. Die Antwort liegt nicht nur in Technologie und Kapital, sondern maßgeblich in den Händen der Menschen, die hinter den Mikrochips stehen – ihre Arbeitsbedingungen, Motivation und ihr Vertrauen in die Führungskräfte werden entscheidend sein, welche Rolle Samsung in der Zukunft der Halbleiterbranche spielen wird.