Die Wimpern gelten seit jeher als ästhetisches Merkmal, das häufig mit Weiblichkeit und Schönheit assoziiert wird. Sie erfüllen jedoch auch wichtige Funktionen, insbesondere den Schutz der Augen vor Staub, Schmutz und übermäßiger Sonneneinstrahlung. Dennoch beobachten wir zunehmend, dass Männer weltweit sich dazu entschließen, ihre Wimpern zu kürzen oder sie sogar komplett zu entfernen. Dieses ungewöhnliche und oft kontrovers diskutierte Verhalten wirft Fragen auf – warum tun Männer das, und welche Bedeutung steckt hinter diesem Trend? Die Antwort darauf liegt in einem komplexen Zusammenspiel aus gesellschaftlichen, kulturellen und persönlichen Motivationen. Ein wesentlicher Grund für den Trend ist die neu aufflammende Betonung sogenannter „maskuliner Energie“ in der öffentlichen Wahrnehmung und im sozialen Diskurs.
In einer Zeit, in der traditionelle Geschlechterrollen und Erscheinungsbilder wieder stärker betont werden, empfinden manche Männer lange, dichte Wimpern als zu feminin und als eine Eigenschaft, die ihrem gefestigten Bild von Männlichkeit widerspricht. Dieses Empfinden hat durch die Verbreitung bestimmter politischer und kultureller Strömungen an Dynamik gewonnen. Die sogenannte „manosphere“ und prominente Persönlichkeiten, die ein Bild traditioneller Männlichkeit propagieren, haben dazu beigetragen, dass viele Männer ein stärkeres Bedürfnis entwickeln, vermeintlich weibliche Merkmale zu verdrängen – so auch die Wimpern. Die sozialen Medien spielen dabei eine entscheidende Rolle. Plattformen wie TikTok, Instagram und X (ehemals Twitter) zeigen zahllose Videos von Männern aus aller Welt, die sich mutig mit Scheren, Rasierern oder elektrischen Haarschneidern direkt an oder in der Nähe der Augen positionieren, um ihre Wimpern zu kürzen oder vollständig zu entfernen.
Diese Clips verbreiten sich viral und inspirieren Nachahmer, die neugierig auf den Effekt sind oder sich bewusst von gesellschaftlichen Schönheitsstandards abheben möchten. Wirtschaftlich lässt sich dieses Phänomen auch mit Modetrends und dem Wandel im Bereich der Männerpflege erklären. Während Schönheits- und Pflegeprodukte für Frauen seit Jahrzehnten florieren, sind spezifische Angebote für Männer erst in den letzten Jahren stärker in den Fokus gerückt. Gleichzeitig suchen Männer neue Wege, sich auszudrücken, inklusive ungewöhnlicher Methoden, wie der Veränderung ihrer Augenpartie durch das Kürzen der Wimpern. Medizinisch betrachtet ist das Abschneiden oder Entfernen der Wimpern jedoch riskant.
Fachärzte weisen darauf hin, dass die Wimpern nicht nur die Funktion eines Filters für Schmutzpartikel erfüllen, sondern auch die Feuchtigkeitsbalance der Augenoberfläche unterstützen und durch den sogenannten „Blinkreflex“ schützen. Wird dieser natürliche Schutzmechanismus gestört, kann dies zu Reizungen, Infektionen oder sogar Verletzungen führen. Zudem kann das Kürzen zu scharfen Enden der Wimpern führen, die unangenehm auf dem Auge reiben und Beschwerden verursachen. Der Wunsch nach einem besonders „maskulinen“ Erscheinungsbild scheint für manche Männer das Risiko zu rechtfertigen, obwohl ein solcher Trend aus gesundheitlicher Sicht fragwürdig ist. Die historische Symbolik der Wimpern als Ausdruck von Weiblichkeit hat tiefe Wurzeln in Kunst, Literatur und Kultur.
Künstler wie John Singer Sargent oder Pablo Picasso haben lange Wimpern stets als Ausdruck weiblicher Schönheit dargestellt und sogar in Gedichten und Romanen war die lange Wimper ein Symbol für Attraktivität und Fruchtbarkeit. Die Abkehr von diesem Schönheitsideal kann daher auch als eine bewusste Ablehnung oder Umgestaltung gesellschaftlicher Erwartungen betrachtet werden. Interessanterweise zeigt sich parallel zu diesem männlichen Trend eine Bewegung hin zu natürlicheren und minimalistischen Schönheitsidealen bei Frauen. Die sogenannte #fullfacenomascara-Bewegung plädiert für das Zeigen der eigenen natürlichen Wimpern ohne den Einsatz von Mascara oder künstlichen Extensions. Trotzdem bleibt Mascara weltweit eines der am häufigsten genutzten Kosmetikprodukte, was deutlich macht, dass Veränderungen im Schönheitsideal langsam und nicht einheitlich verlaufen.
Politisch betrachtet korreliert der Trend zum Wimpernabrasieren mit einer allgemeinen Rückkehr zu traditionellen Geschlechterrollen und konservativen Haltungen, insbesondere in einigen westlichen Ländern. Aktuelle Umfragewerte beispielsweise aus den USA zeigen, dass eine beträchtliche Anzahl von Menschen, vor allem innerhalb konservativer Wählerschaften, eine Rückkehr zu klassischen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit befürwortet. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen schaffen ein Klima, in dem maskuline Ästhetik zunehmend betont und als gesellschaftliches Ideal dargestellt wird. Die öffentliche Reaktion auf Männer mit auffallend langen Wimpern reicht von Bewunderung und Interesse bis hin zu Kritik und Spott. Über Männer mit natürlichen langen Wimpern wird häufig gesagt, dass ihre Erscheinung „zu feminin“ wirke, was zu einem gesellschaftlichen Druck führt, sich anzupassen.
Dieses Phänomen zeigt, wie starke gesellschaftliche Vorstellungen und Normen das individuelle Erscheinungsbild prägen können. Dabei sind die Grenzen der Geschlechterästhetik längst nicht so starr, wie manche annehmen. Prominente Figuren wie Popstars, Schauspieler oder Influencer tragen dazu bei, traditionelle Geschlechterrollen infrage zu stellen und erweitern damit auch den Spielraum für Aussehen und Selbstdarstellung. Die Spannungen zwischen konservativen und progressiven Auffassungen spiegeln sich in der Kontroverse um die „maskuline“ oder „feminine“ Augenpartie wider. Letztlich zeigt sich, dass das Thema der Wimpernabrasur bei Männern mehr ist als nur ein ästhetischer Trend.
Es ist ein Indikator für tieferliegende gesellschaftliche Strömungen, politische Einstellungen und individuelle Identitätskämpfe. Die Frage nach der Männlichkeit und wie sie äußerlich sichtbar gemacht wird, steht dabei im Zentrum. Auch wenn die Praxis – insbesondere aus medizinischer Sicht – problematisch ist, so sagt sie doch viel über die kulturellen Zwänge und den Wunsch nach Zugehörigkeit und Abgrenzung aus. Dabei bleibt abzuwarten, wie sich dieser Trend weiterentwickelt. Moden, auch solche zur Geschlechterästhetik, unterliegen einem steten Wandel.
Während aktuell eine gewisse Rückbesinnung auf traditionelle Rollenbilder stattfindet, könnte zukünftige Generationen ein völlig anderes Verhältnis zu Männlichkeit, Weiblichkeit und Schönheit entwickeln – inklusive einer neuen Wertschätzung der natürlichen Wimpern als ästhetischem und funktionalen Merkmal. Die Diskussion darüber ist Teil eines größeren gesellschaftlichen Dialogs über Identität, Freiheit und Selbstausdruck, der weit über das scheinbar kleine Detail der Wimpern hinausgeht.