Die fortschreitende Entwicklung moderner Computerarchitekturen sucht immer stärker nach Alternativen zum traditionellen von Neumann-System, um die wachsenden Anforderungen an Effizienz, Miniaturisierung und Leistungsfähigkeit zu erfüllen. In diesem Kontext gewinnen neuromorphe Systeme, die das Verhalten biologischer Neuronen nachahmen, zunehmend an Bedeutung. Eine zentrale Rolle spielen hierbei Spiking Neural Networks (SNN), die durch die Nutzung von sogenannten leaky integrate-and-fire (LIF) Neuronen eine energieeffiziente, realitätsnahe Verarbeitung von Signalen ermöglichen. Die Herausforderung besteht dabei jedoch darin, geeignete Materialien und Geräte zu entwickeln, die diese neuronalen Funktionen in Hardwaresystemen präzise nachbilden können. Monolayer Molybdändisulfid (MoS2) hat sich aufgrund seiner außergewöhnlichen optoelektronischen Eigenschaften als besonders vielversprechend erwiesen und könnte die Funktionsweise von LIF Neuronen in SNNs maßgeblich beeinflussen.
Monolayer MoS2 ist ein atomar dünnes, zweidimensionales Material aus der Familie der Übergangsmetall-Dichalkogenide, das eine direkte Bandlücke von etwa 1,86 eV besitzt. Diese Bandlücke erlaubt die effiziente Absorption sichtbaren Lichts und die Generierung von Photoelektronen, die entscheidend für die Nachbildung neuronaler Aktivitäten sind. Mit moderner chemischer Gasphasenabscheidung (CVD) können hochwertige und großflächige MoS2-Monolagen gefertigt werden, was die Integration in elektronische Bauelemente erleichtert. Durch diese Fähigkeit, sichtbares Licht zu detektieren und direkt in elektrische Signale umzuwandeln, ist MoS2 prädestiniert als photoaktives Material für neuromorphe Visionstechnologien. Das Prinzip der Leaky Integrate-and-Fire Neuronen imitiert die biologische Funktionsweise von Nervenzellen, welche eingehende Reize integrieren und bei Erreichen eines Schwellwertes feuern, bevor sie zurückgesetzt werden.
Monolayer MoS2 kann dieses Verhalten durch seine charakteristische Photoantwort darstellen: Bei Lichteinstrahlung steigt der Photostrom an, was der Aufladung des Membranpotentials entspricht. Nach Entfernen des Lichts folgt ein exponentieller Abfall des Signals, analog zum Entladen des neuronalen Membranpotentials. Diese Lade- und Entladezyklen der Photokopie lassen sich mit den Zeitkonstanten τp (potentiation) und τd (decay) beschreiben, welche bei MoS2 in einem Bereich von circa 200 bis 300 Millisekunden liegen. Diese Zeitkonstanten stellen die temporalen Dynamiken der neuronalen Aktivität realistisch nach und erlauben eine präzise Abbildung der LIF-Modellierung. Die gezielte Steuerung der Reset-Funktion, bei der das Membranpotential nach einem Spike schnell auf den Ausgangswert zurückgesetzt wird, erfolgt bei MoS2 durch die Modulation einer Gate-Spannung.
Durch Anlegen eines negativen Gate-Voltages beschleunigt sich die Rekombination der Ladungsträger und die Rückkehr zum Ausgangspunkt erfolgt nahezu instantan. Diese Eigenschaft macht das Material besonders flexibel und effizient für den Einsatz in aktiven neuromorphen Netzwerken. Der Einsatz von MoS2-LIF Neuronen wurde in Simulationen der Bildklassifikation getestet, basierend auf bekannten Datensätzen wie CIFAR-10 für statische und DVS128 für dynamische Bildinformationen. Dabei erreichten die Modellnetzwerke eine Klassifikationsgenauigkeit von bis zu 75% innerhalb von 15 Trainingszyklen bei statischen Bildern und etwa 80% Genauigkeit bei dynamischen Handgesten nach 60 Zyklen. Diese Werte zeigen, dass die realitätsnahen zeitlichen Eigenschaften von MoS2 das Potenzial besitzen, konventionelle neuronale Netzwerke in bestimmten Anwendungen zu ersetzen oder zu ergänzen, insbesondere wenn Fragen der Energieeffizienz und Rechenlatenz kritisch sind.
Die Kombination aus optoelektronischem Verhalten und den speziellen elektronischen Eigenschaften von Monolayer MoS2 bietet Vorteile hinsichtlich der Integration in flexible, dünne und energetisch sparsame Systeme. Die schwache Abschirmungseffekte in diesen zweidimensionalen Materialien ermöglichen eine hohe Elektrodensteuerbarkeit und damit auch präzise Dynamiksteuerung der neuronalen Nachbildung. Ferner ist die Fähigkeit, auch unterschiedliche Wellenlängen des sichtbaren Lichts (rot, grün, blau) effektiv zu detektieren, essenziell für Anwendungen in maschinellem Sehen, wo eine direkte Interpretation von Farbinformationen erforderlich ist. Die Einsatzgebiete von MoS2 in neuromorphen Systemen sind vielfältig. Von der Gestaltung von optoelektronischen neuronalen Netzen für die Erkennung von Mustern über den Bereich autonomer Fahrzeuge bis hin zur Robotik eröffnen sich Möglichkeiten, die bisher mit rein digitalen oder klassischen analogen Systemen schwer realisierbar waren.
Die Integration von Lichtwahrnehmung und neuronaler Verarbeitung in einem einzigen Materialsystem spart Ressourcen und Minimiert Latenzzeiten. Neben den offensichtlichen Vorteilen gibt es jedoch auch Herausforderungen. Die Betrachtung der Zeitkonstanten engt die maximal mögliche Reaktionsgeschwindigkeit ein. Die kontrollierte Herstellung von gleichmäßigen, großflächigen Monolagen mit reproduzierbaren Eigenschaften muss weiter optimiert werden, um industrielle Anwendungen zu unterstützen. Auch die Einbettung in skalierbare, zuverlässige und nettwerkfähige Architekturen erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit aus Materialwissenschaft, Elektronik und Informatik.
Nichtsdestotrotz demonstriert die jüngste Forschungsergebnisse, dass Monolayer MoS2 nicht nur ein neuartiges Material für Halbleitervision ist, sondern auch als Grundlage für die Realisierung von neuromorphen Hardware-Neuronen dient, welche biologische Informationsverarbeitung äußerst effizient nachahmen können. Die Fähigkeit, die Spektralantwort über den sichtbaren Bereich hinweg anzupassen und gleichzeitig flexible Reset- und Integrationsmechanismen bereitzustellen, macht MoS2 zu einem Schlüsselspieler in der Entwicklung energieeffizienter, schneller und intelligenter maschineller Vision. Für die Zukunft sind Fortschritte im Bereich der Materialkontrolle, der Integration von Gate-Steuerungen und der Verbindung mit SNN-Architekturen entscheidend. Die Kombination von MoS2-basierten LIF Neuronen mit schnelleren Belichtungs- und Signalverarbeitungstechniken könnte Plattformen schaffen, die noch näher an die neuronalen Prozesse des menschlichen Gehirns heranreichen. Damit eröffnen sich nicht nur neue Chancen in der Künstlichen Intelligenz, sondern auch tiefere Einblicke in die Funktionsweise biologischer neuronaler Netzwerke.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Erforschung und Anwendung von Monolayer MoS2 in Spiking Neural Networks die Grenze zwischen Materialwissenschaft, Neurowissenschaft und Künstlicher Intelligenz verwischt. In der bevorstehenden Ära intelligenter Systeme wird diese Symbiose aus zwei-dimensionalen Materialien und biologisch inspirierten Rechenmodellen eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung hochentwickelter, energieeffizienter Maschinen spielen, die sowohl statisches als auch dynamisches Sehen in realen Umgebungen meistern können.