Hongkong ist weltweit für seine beeindruckende Skyline bekannt, die sich hoch über das Wasser und die Straßen erhebt. Doch ein Merkmal, das oft übersehen wird, aber genauso charakteristisch für die Stadt ist, sind die Bambusgerüste, die bei Bau- und Renovierungsarbeiten an unzähligen Gebäuden zu sehen sind. Diese Gerüste sind nicht nur technische Konstruktionen, sondern auch lebendige Zeugen einer jahrhundertealten Handwerkskunst, die tief in der chinesischen Kultur verwurzelt ist und in Hongkong eine besondere Bedeutung erlangt hat. Trotz des zunehmenden Einsatzes von Metallgerüsten und moderner Technologien hält sich die Tradition des Bambusgerüsts in der Stadt – wenn auch mit Unsicherheiten für die Zukunft. Die Geschichte der Bambusgerüste in Hongkong reicht viele Generationen zurück.
Ursprünglich aus dem chinesischen Festland stammend, wurden sie über Jahrhunderte hinweg verfeinert und perfektioniert, sodass sie heute als besonders sicher, flexibel und umweltfreundlich gelten. Bambus zeichnet sich durch seine enorme Festigkeit und Elastizität aus. Seine Nutzung in der Gerüstbauweise erlaubt es, komplexe und stabile Konstruktionen zu errichten, die sich leicht an die vielfältigen Formen der Gebäude anpassen. Im Vergleich zu Stahlgerüsten sind Bambusgerüste zudem deutlich leichter und umweltfreundlicher, da Bambus ein schnell nachwachsender Rohstoff ist. In den eng bebauten Straßen von Hongkong sind Bambusgerüste beinahe ein Markenzeichen.
Sie erlauben nicht nur das Erreichen großer Höhen mit relativ geringem Materialeinsatz, sondern fügen sich auch ästhetisch in die urbane Landschaft ein. Darüber hinaus bieten sie gegenüber Metallgerüsten einige Vorteile, etwa eine schnellere Montage und Demontage sowie eine größere Flexibilität beim Anpassen an verschiedenste Baustellenbedingungen. Aufgrund dieser Eigenschaften wurden Bambusgerüste in Hongkong lange Zeit bevorzugt eingesetzt und sind heute noch auf zahlreichen Baustellen zu sehen. Doch trotz ihrer kulturellen und praktischen Bedeutung steht die traditionelle Handwerkskunst des Bambusgerüstbaus in Hongkong vor Herausforderungen. Moderne Bauvorschriften, steigende Sicherheitsanforderungen sowie die Einführung von Stahl- und Aluminiumgerüsten haben den Markt und die Nachfrage stark verändert.
Metallgerüste bieten den Vorteil, dass sie als moderner und technologisch fortschrittlicher gelten, was viele Bauunternehmen bevorzugen, um den globalen Standards zu genügen. Diese Entwicklung führt dazu, dass die Zahl der Fachkräfte im Bambusgerüstbau langsam abnimmt und die Überlieferung des Wissens gefährdet ist. Innerhalb dieser angespannten Situation sticht die Geschichte von Daisy Pak hervor, einer der wenigen Frauen, die sich als Bambusgerüstbauerin in Hongkong behauptet haben. Seit 2021 gehört sie zu den wenigen, die dieses traditionelle Handwerk nicht nur praktizieren, sondern auch mit Leidenschaft verteidigen. Ihre Geschichte ist geprägt von persönlichem Wandel und dem Willen, gegen alle Widrigkeiten anzukämpfen.
Nach einer schwierigen Jugend, geprägt von Suchtproblemen und finanziellen Schwierigkeiten, fand sie im Bambusgerüstbau eine neue Perspektive und eine Möglichkeit, ihr Leben zu verändern. Daisy Pak arbeitet mit besonderem Engagement und Stolz an den komplexen Gerüsten, die aus hunderten von Bambusstangen und stabilen Verbindungen bestehen. Sie hat sich das Handwerk durch praktische Erfahrung bei verschiedenen Bauprojekten angeeignet und sich damit gegen Vorurteile und körperliche Herausforderungen durchgesetzt. In einer von Männern dominierten Branche beweist sie, dass Geschlechterrollen kein Hindernis sein müssen, um in einem traditionellen, körperlich anspruchsvollen Beruf erfolgreich zu sein. Die Arbeit mit Bambusgerüsten verlangt weit mehr als körperliche Kräfte.
Sie erfordert Genauigkeit, technisches Verständnis und ein Gefühl für Konstruktion und Sicherheit. Die einzelnen Bambusstäbe müssen präzise zugeschnitten, verbunden und miteinander verflochten werden, um ein stabiles Gerüst zu schaffen, das den Belastungen bei Bauarbeiten standhält. Dabei spielen die sogenannten „Tiao“ – spezielle Bambusstangen – sowie robuste Bindetechniken eine entscheidende Rolle. Diese Techniken wurden über Generationen weitergegeben und verbinden funktionale Praxis mit kulturellem Erbe. Neben den praktischen Vorteilen hat der Bambusgerüstbau auch eine ökologische Dimension.
Bambus wächst sehr schnell nach und ist somit eine nachhaltige Ressource im Vergleich zu den aufwendig produzierten Metallgerüsten. Zudem hinterlässt Bambus beim Abbau keine schädlichen Rückstände und kann nach dem Gebrauch leicht recycelt oder kompostiert werden. Diese Aspekte gewinnen in Zeiten wachsender Umweltbewusstheit an Bedeutung und könnten dem Bambusgerüstbau neues Gewicht verleihen, besonders wenn er in Verbindung mit modernen Sicherheitsstandards weiterentwickelt wird. Trotz aller Vorteile steht der Bambusgerüstbau in Hongkong vor Unsicherheiten. Die städtische Entwicklung tendiert immer mehr zu standardisierten Bauverfahren, bei denen traditionelle Techniken ausgedient haben.
Zugleich verschärfen sich Vorschriften und Versicherungsauflagen, was die Nutzung von Bambusgerüsten erschwert. Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen Tradition und Fortschritt, zwischen Handwerkskunst und Industrialisierung. Viele Experten und Befürworter der traditionellen Techniken plädieren dafür, das Wissen um Bambusgerüste zu bewahren und zu fördern. Einige Projekte kombinieren Bambus mit Metall, um die Vorzüge beider Materialien zu nutzen. Ebenso gibt es Bemühungen, die Geschichte und Bedeutung des Bambusgerüstbaus in Museen und Bildungsprogrammen sichtbar zu machen.
Denn diese Praxis ist mehr als eine Bautechnik – sie ist ein Teil des kulturellen Erbes Hongkongs. Die Geschichte von Daisy Pak ist exemplarisch für den Kampf um Erhalt und Anerkennung der Bambusgerüste. Ihr Engagement zeigt, dass es Menschen gibt, die das Handwerk trotz aller Widrigkeiten am Leben erhalten wollen. Sie steht für eine Generation, die Tradition und Moderne miteinander verbinden will und damit hoffentlich dazu beiträgt, dass Hongkongs charakteristisches Erscheinungsbild auch künftig von den zarten, aber starken Bambusstangen geprägt wird. Insgesamt bleibt abzuwarten, wie sich die Bambusgerüste angesichts wirtschaftlicher und technischer Entwicklungen in Hongkong behaupten werden.
Das kulturelle Erbe und die Vorteile dieser Bauweise sprechen für ihren Fortbestand, doch es bedarf Unterstützung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, um diesen wertvollen Schatz nicht zu verlieren. Dass Bambusgerüste weiterhin die Fassaden von Hochhäusern und Wohnblöcken schmücken, hängt von den Entscheidungen und dem Engagement aller Beteiligten ab. Die Zukunft dieser einzigartigen Verbindung aus Handwerk, Kultur und urbanem Leben steht auf dem Spiel – doch wie Daisy Pak und viele andere zeigen, gibt es Hoffnung, dass das Bambusgerüst in Hongkong noch lange erhalten bleibt.