Im Herzen Westafrikas, in der historischen Stadt Tadmekka im heutigen Mali, entdeckten Archäologen vor einigen Jahren Hinweise auf einen bemerkenswerten Metallverarbeitungsprozess, der die mittelalterliche Welt bis heute überrascht. Dort fand der britische Archäologe Sam Nixon im Jahr 2005 uralte Münzformen und Fragmente von Glas, die zusammen eine höchst ungewöhnliche Methode der Goldreinigung offenbaren. Anstatt auf die damals in Europa weitverbreitete Reinigungsmethode der Kupellation zurückzugreifen, bei der Bleioxid zur Säuberung des Goldes benutzt wurde, verwendeten die Handwerker in Tadmekka recyceltes Glas. Diese Entdeckung zeigt nicht nur einen raffinierten wirtschaftlichen und künstlerischen Prozess, sondern wirft auch ein neues Licht auf die technische Kreativität mittelalterlicher afrikanischer Kulturen. Die Studie wurde von Wissenschaftlern des Center for Scientific Studies in the Arts am Northwestern University in Zusammenarbeit mit dem Art Institute of Chicago rekonstruiert.
Gold ist seit jeher ein Symbol für Reichtum, Macht und spirituelle Bedeutung. Der afrikanische Kontinent, insbesondere die Region um Mali, war durch seine großen Goldvorkommen berühmt und war während des Mittelalters eine der wichtigsten Quellen für das Edelmetall weltweit. Die Entdeckung eines einzigartigen Prozesses zur Goldveredelung mit Glas gewährt uns einen tiefen Einblick in die Kunstfertigkeit und das Wissen dieser Zeit, die weit über einfache Bergbautechniken hinausgingen. Mediale Darstellungen und historische Dokumente, wie die Legenden um Mansa Musa, den reichen Kaiser von Mali, verdeutlichen die immense Bedeutung des Goldes in der Region. Doch die technische Seite der Goldverarbeitung blieb lange Zeit im Dunkeln.
Während in Europa die Kupellation den Standard für die Verfeinerung von Gold darstellte, stellte das Verfahren in Tadmekka eine gänzlich andere Technik dar. Die Archäologen fanden winzige Tropfen von hochreinem Gold in den Münzformen, zusammen mit Fragmenten aus Glas, die ursprünglich aus zerbrochenen Gefäßen bestanden. Das Vorgehen, wie es von Wissenschaftlern rekonstruiert wurde, beinhaltete das Mischen von rohem Gold mit Glas und anschließendem Erhitzen. Gold ist chemisch inert, das heißt, es löst sich nicht im Glas, während Verunreinigungen und unerwünschte Elemente in der geschmolzenen Glasschicht gebunden wurden. Dadurch konnte das Gold effektiv und wiederholt gereinigt werden, indem die Unreinheiten im Glas zurückblieben.
Diese Art der Veredelung erforderte ein tiefes Verständnis sowohl der physikalischen als auch chemischen Eigenschaften von Gold und Glas. Die Glasfragmente waren nicht einfach Abfallprodukte, sondern organisch integrierte Werkstoffe in einem hochentwickelten handwerklichen Prozess. Zudem war Tadmekka als Handelszentrum an der transsaharischen Route ein Schmelztiegel für Kulturen, Rohstoffe und Technologien. Die Region profitierte von regen Handelsbeziehungen mit dem Mittelmeerraum, dem Nahen Osten und innerafrikanischen Regionen und konnte dadurch auch importiertes Glas recyceln und in Verbindung mit heimischem Gold einsetzen. Marc Walton und sein Forscherteam haben durch moderne Versuche und laborbasierte Replikationen diese Methode nachvollzogen.
Mit heute verfügbaren Materialien wie Goldstaub und lokalem Sand aus der Region am Lake Michigan fertigten sie synthetisches Glas an, das bei hohen Temperaturen mit Gold vermischt wurde. Dabei stellten sie fest, dass nur die Verunreinigungen sich im Glas auflösen, während das Gold zurückbleibt. Dieses Experiment bestätigt die technologische Finesse der mittelalterlichen afrikanischen Goldschmiede und zeigt ihre Fähigkeit, mit verfügbaren Ressourcen effektive und nachhaltige Methoden zu entwickeln. Diese Entdeckung ist bedeutend für mehrere wissenschaftliche Disziplinen. Zum einen verändert sie unsere Sicht auf die Wirtschaftsgeschichte Afrikas.
Der vermeintlich wunderliche Einsatz von Glas zur Goldreinigung belegt, dass Technologietransfer und Innovation keineswegs ein modernes oder nur westliches Phänomen sind. mittelalterliche Afrikaner waren äußerst erfinderisch und konnten technische Lösungen selbst in Grenzbereichen der materiellen Kultur entwickeln. Zum anderen wirft diese Erkenntnis neue Fragen auf zur Kenntnis des Rohstoffkreislaufs, zum Recycling von Materialien und zur Verknüpfung von Kultur und Technologie in der afrikanischen Geschichte. Darüber hinaus hat diese Erkenntnis auch große Bedeutung für die Archäologie. Die gefundenen Münzformen, teilweise ungestempelte „bald dinars“, zeigen, dass vor Ort eine industrielle Produktion von Goldmünzen stattfand, die für den Handel über weite Distanzen bestimmt war.
Die Kombination von Münzfabrikation und hochentwickeltem Goldveredelungsverfahren weist auf ein komplexes Wirtschaftssystem hin, das sowohl lokale als auch internationale Elemente integriert. Diese Prägungen sind historische Zeugnisse großer Handelsnetzwerke, die Waren, Wissen und Technologien verbanden. Die Nutzung von Glas ist auch ein wichtiges Beispiel für die nachhaltige Verwendung von Ressourcen. Anstatt neues Glas zu produzieren, wurde gebrochenes, scheinbar wertloses Material recycelt, um einen wertvollen Rohstoff, nämlich reines Gold, zu gewinnen. Diese Strategie zeigt ein ökonomisches Bewusstsein im Sinne von Kreislaufwirtschaft, das auch in heutigen Debatten um Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz relevant ist.
Die Rekonstruktionen der Wissenschaftler, basierend auf den archäologischen Funden, machen deutlich, dass diese Technik nicht nur in Afrika einzigartig war, sondern zur gleichen Zeit auch Europas Verfahren übertraf oder zumindest eine alternative Herangehensweise bot. Während in Europa Bleioxid zur Reinigung eingesetzt wurde, was erhebliche Umwelt- und Gesundheitsrisiken mit sich bringen konnte, erscheint das afrikanische Glasverfahren als eine umweltschonendere und hoch spezialisierte Technik. Dies illustriert den technologischen Reichtum und die Vielfalt kultureller Entwicklungen innerhalb des mittelalterlichen Afro-Eurasiens. Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt dieser Entdeckung ist ihre Auswirkung auf das Verständnis der sozialen Organisation jener Zeit. Die komplexe Herstellung von Goldmünzen und die dazugehörige Verfeinerung des Metalls deuten auf spezialisierte Handwerkszünfte und ein Organisationssystem hin, das Fachwissen bewahrte und möglicherweise weitergab.
Dies wirft Fragen zur Ausbildung von Handwerkern, zur Bedeutung des Goldes als Zahlungsmittel, aber auch als Statussymbol und sozialer Identitätsmarker auf. Des Weiteren steht die Entdeckung im Kontext des reichen kulturellen Erbes der malischen Reiche, die im 13. und 14. Jahrhundert zu unglaublichem Wohlstand gelangten. Der berühmte Mansa Musa, dessen Pilgerreise nach Mekka legendär für ihren Goldreichtum wurde, steht symbolisch für die Macht afrikanischer Königreiche, deren Einfluss auch durch wirtschaftliche Innovationen gestützt wurde.