Engineering Manager sind unverzichtbare Führungskräfte in der Welt der Softwareentwicklung. Sie tragen die Verantwortung, Teams zu formen, Projekte zu strukturieren und den Erfolg von Technologieunternehmen maßgeblich mitzugestalten. Doch oft denkt man dabei nur an methodische Werkzeuge, agile Prozesse oder technische Skills. Ein spannender und oft übersehener Aspekt ist das Zeitmanagement, das weit über Kalender und To-Do-Listen hinausgeht. Anton Zaides, angesehener Autor und Experte für Engineering Management, bringt mit seinem Konzept der „Zeitzonen“ der Manager eine völlig neue Perspektive ins Spiel.
Er zeigt auf, dass nicht die Kalenderzeit, sondern die mentale Zeitzone eines Managers das Managementverhalten steuert. Die Art und Weise, wie gewichtet wird zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, formt maßgeblich, wie Entscheidungen getroffen werden, wie kommuniziert wird und wie Teams geführt werden. Zaides beschreibt fünf grundlegende mentale Modi, in denen Engineering Manager agieren können. Diese Modi sind nicht in Stein gemeißelt, sondern vielmehr flexible „Zeitzonen“, in die ein Manager je nach Situation oder Persönlichkeit eintaucht. Der erste Modus ist der „Nostalgiker“.
Menschen in dieser Zeitzone blicken oft auf die Vergangenheit zurück, vergleichen aktuelle Situationen mit früheren Erfahrungen und setzen sich gern mit dem Befinden von einst auseinander. Der Vorteil liegt darin, dass bewährte Methoden gelebt und bewahrt werden. Allerdings kann dieser Modus auch dazu führen, dass Veränderungen abgelehnt werden, selbst wenn diese zwingend nötig sind. Man verharrt im Bekannten und tut sich schwer, neue Wege einzuschlagen. Das Gegenteil dazu bringt der „Replayer“ mit sich.
Dieser Typ Manager verbringt viel Zeit damit, Ereignisse der letzten Tage und Stunden gedanklich zu analysieren. Meetings werden obsessiv durchgespielt, Gespräche nochmals mental geführt und jede Entscheidung wird hinterfragt. Wer so tickt, zeigt oft meisterhafte Detailorientierung und akribische Nachbereitung. Doch auf Dauer kann diese Haltung lähmend wirken und wichtige Entscheidungen verzögern. Die Gefahr besteht darin, in einer Endlosschleife der Überanalyse zu geraten und Chancen zu verpassen.
Ein dritter Modus ist der „Mönch“. Diese Manager leben und arbeiten im Moment, sind fokussiert auf das Hier und Jetzt. Sie verfügen über eine beeindruckende Präsenz und setzen geplante Aufgaben mit großer Sorgfalt um. Die Gegenwart ist der zentrale Ankerpunkt. Allerdings kann es ihnen schwerfallen, visionär zu denken, weit in die Zukunft zu blicken oder strategisch über das unmittelbare Team hinauszuwirken.
Das sorgt zwar für effiziente Abläufe, könnte langfristig aber Wachstumspotenziale einschränken. Der „Planer“ als vierter Typ lebt dagegen in einem nahen Zukunftsfenster. Er denkt ein bis zwei Tage oder Wochen voraus, plant strategisch, bereitet sein Team auf bevorstehende Schritte vor und hält damit Projekte auf Kurs. Diese Orientierung ist essenziell, um Fristen einzuhalten und Ziele zu erreichen. Zugleich besteht hier aber die Gefahr, unflexibel zu werden, wenn Abweichungen vom Plan eintreten oder plötzliche Änderungen verlang werden.
Für die Führungskraft ist dann eine Balance gefragt zwischen Planung und Adaptivität. An fünfter Stelle steht der „Träumer“. Diese Zeitzone ist charakterisiert durch eine sehr weite Zukunftsorientierung. Träumer bauen Bilder von dem, was kommen könnte. Sie denken daran, wie Teams wachsen, welche Innovationen möglich sind und welche Rollen sie selbst in Jahren einnehmen wollen.
Hieraus erwächst Inspiration und Motivation für das Team. Die Herausforderung liegt darin, dass Träumer manchmal den Bezug zur Gegenwart oder zu dringenden Problemen verlieren können. Wer zu sehr in der Zukunft lebt, riskiert, wichtige Details und aktuelle Realitäten zu übersehen. Zaides betont, dass erfolgreiche Engineering Manager niemals starr in einem einzigen Modus verharren. Vielmehr liegt die Kunst darin, je nach Situation zwischen den Zeitzonen zu wechseln und so flexibel wie möglich zu agieren.
Die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist hierbei erfolgsentscheidend. Manager sollten sich bewusst machen, in welcher Zeitzone sie sich bevorzugt aufhalten, wie sich das auf ihre Entscheidungen auswirkt und welche Zeitzone in welchem Kontext besser geeignet wäre. Ein eindrucksvolles Beispiel liefert Zaides anhand eines Problems bei der Zusammenarbeit zwischen Teams in einem Startup. Ein Plattformteam hatte beschlossen, jegliche Kommunikation nur noch über formelle Support-Tickets abzuwickeln und Ad-hoc-Gespräche zu vermeiden. Dieses Vorgehen war für das andere Engineering-Team zunächst schwer zugänglich und führte zu Frustration.
Der Engineering Manager der Entwickler griff in seiner ersten Reaktion zu Konfrontation und öffentlichem Streit, was die Situation verschärfte. Im Rückblick erkennt Zaides, dass hier eine andere Haltung nötig gewesen wäre: mehr Empathie, ein ruhiges Einlenken im direkten Dialog, das gemeinsame Ausarbeiten einer Lösung. Dieses Fallbeispiel illustriert, wie wichtig ein angemessenes mental-zeitliches Alignment und Kommunikationsverhalten ist, um Konflikte zu vermeiden und Zusammenarbeit zu fördern. Die Reflexion über die eigene Zeitzonen-Präferenz hilft Managern außerdem dabei, interne Feedbackprozesse und Leistungsbeurteilungen besser zu bewältigen. Zaides erzählt von einem Szenario, in dem eine Engineering Managerin nach acht Monaten Arbeit eine schlechtere Bewertung bekam als erwartet, weil technische Kompromisse kritisiert wurden.
Statt sich defensiv zu verhalten, sollte die Managerin zunächst neugierig zuhören, die Perspektive des Vorgesetzten verstehen und anschließend konstruktiv darlegen, wie sie selbst die Leistung bewertet. Das Ziel: eine produktive Diskussion über künftige Ziele und Erwartungen initiieren und auf regelmäßige Zwischenfeedbacks achten. Wer die eigene Rolle reflektiert und seine dominante Zeitzone erkennt, kann zugleich seine Kommunikation an Teammitglieder anpassen. Beispielsweise brauchen nostalgische Manager klare Argumente aus Erfahrungen der Vergangenheit, während Träumer vielmehr visuelle Zukunftsvisionen vermitteln sollten. Planer profitieren davon, To-do-Listen und Roadmaps zu verwenden, Replayer sollten sich auf Entscheidungszeitpunkte fokussieren.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Anton Zaides mit dem Konzept der Zeitzonen von Engineering Managern einen sehr nützlichen Denkrahmen bietet, der über das herkömmliche Zeitmanagement hinausgeht. Es geht nicht nur um Kalenderzeiten, sondern um mentale Zeitfenster, die die Art bestimmen, wie man denkt, handelt und führt. Erfolgreiche Manager sind diejenigen, die flexibel zwischen diesen Modi wechseln können, die eigene Präferenz kennen und diese bewusst einsetzen. Diese Fähigkeit fördert bessere Entscheidungen, fördert harmonischere Teamdynamiken und steigert letztlich den Erfolg des gesamten Unternehmens. Insbesondere im schnelllebigen Umfeld der Softwareentwicklung, wo Anforderungen sich oft verändern und sowohl kurzfristige Lösungen als auch langfristige Visionen gefragt sind, erweist sich das Verständnis und die Steuerung der eigenen Zeitzone als Schlüsselkompetenz.