Im Sommer 2024 begab sich eine Gruppe von 70 amerikanischen Studenten, darunter viele von der Duke University, auf eine achttägige Reise durch die Provinz Jiangsu in China. Für die Teilnehmer, die sich vornehmlich wegen des verlockenden Angebots eines kostenfreien Ausflugs angemeldet hatten, versprach der Trip eine Gelegenheit, China und seine Kultur direkt vor Ort zu erleben – frei finanziert vom Jiangsu Foreign Affairs Office. Was sie jedoch wenig ahnten, war, dass sie unfreiwillig Teil einer groß angelegten PR-Kampagne wurden, die die chinesische Regierung inszenierte, um das Bild des Landes im Ausland systematisch zu verbessern. Die Reise und ihre Nachwirkungen werfen ein Schlaglicht auf ein komplexes Netzwerk aus Bildungskooperation, politischer Propaganda und internationalen Beziehungen und eröffnen spannende Fragen zum Zusammenspiel von Hochschulbildung und staatlicher Öffentlichkeitsarbeit. Die Einladung zur Teilnahme an der Reise kam überraschend und schien auf den ersten Blick unverfänglich.
Studierende hatten eine kurze, einfache Bewerbung ausgefüllt, ohne viele Details über den genauen Ablauf oder die Hintergründe zu erfahren. In den Kommunikationsmaterialien wurde vor allem die kulturelle Erfahrung hervorgehoben, ebenso wie die Gelegenheit, innovationstreibende Erfolge Chinas in verschiedenen Bereichen kennenzulernen. Die Verbindung zur politischen Dimension dieser Reise blieb jedoch unklar. Erst unmittelbar vor Abflug erreichte die Gruppe eine E-Mail voller Warnhinweise: Medienvertreter würden den Trip begleiten und die Reiseaufnahmen für Werbezwecke genutzt werden. Doch selbst diese letzte Information konnte viele überraschen, denn das Ausmaß der Medienpräsenz vor Ort überstieg die Erwartungen bei Weitem.
Vom Moment der Ankunft in Shanghai wurden die Studenten von Kamerateams verfolgt, interviewt und in Szene gesetzt. Jede Aktivität, von Museumsführungen bis hin zu einfachen Gesprächen, wurde filmisch festgehalten. Die chinesischen Medien inszenierten die Gruppe als junge, neugierige Amerikaner, die von China und dessen Kultur begeistert sind. Dieses Bild diente klarer Propagandazwecke und sollte in heimischen wie auch internationalen Medien ein positives Narrativ über den Einfluss und die Attraktivität Chinas verbreiten. Die Studenten erlebten sich zunehmend als Akteure einer Show, die mehr der Selbstdarstellung des chinesischen Staates als einem echten kulturellen Austausch diente.
Die mediale Begleitung ging weit über das hinaus, was viele erwartet hatten. Anfragen zu Interviews wiederholten sich mehrmals täglich; einige Interviewer forderten bewusst wohlwollende oder positive Aussagen zu China, andere baten darum, bestimmte Phrasen auf Chinesisch nachzusprechen, darunter auch Liebesbekundungen an das Land. Immer wieder wurde der Eindruck vermittelt, dass eine eigenständige und kritische Betrachtung unerwünscht war. Für die Teilnehmer wurde die Situation mit der Zeit zunehmend belastend und unangenehm. Das Erlebnis offenbarte, wie eine sorgfältig gesteuerte Berichterstattung mithilfe von jungen ausländischen Studierenden aufgebaut werden kann, die unbewusst als Multiplikatoren für die chinesische Botschaft fungieren.
Die Beziehung von Duke Kunshan University (DKU), der chinesischen Partnerinstitution der Duke University, zu diesem Projekt war ambivalent. Offizielle von DKU wiesen darauf hin, dass sie nicht in die mediale Inszenierung eingebunden waren und mit der Intensität der Medienpräsenz überrascht wurden. Gleichzeitig zeigte sich, dass die Organisation und Kontrolle der Reise durch chinesische Behörden erfolgte, hier insbesondere durch das Jiangsu Foreign Affairs Office. Dessen Vertreter, bekannt unter dem Namen Frank, agierte als eine Art allgegenwärtiger Gastgeber, der nicht nur für den Ablauf sorgte, sondern auch klare Anweisungen und kulturelle Interpretationen vermittelte. Die Situation verdeutlicht die Herausforderungen, denen westliche Universitäten gegenüberstehen, wenn sie Bildungskooperationen mit chinesischen Partnern eingehen.
Der Spagat zwischen akademischer Autonomie und politischem Druck ist schwierig, insbesondere in einem Land wie China, wo die Staatspartei großen Einfluss auf alle gesellschaftlichen Bereiche ausübt. Die Erfahrungen der Studenten zeigen exemplarisch, wie Bildungsprogramme als Vehikel für staatliche Interessen genutzt werden können, ohne dass die Teilnehmer umfassend über die politischen Hintergründe informiert werden. Diese Praxis fügt sich in den größeren Kontext der sogenannten „50.000-Initiative“ von Chinas Präsident Xi Jinping ein, die darauf abzielt, bis 2028 rund 50.000 junge Amerikaner in China zu empfangen.
Die Initiative verfolgt das Ziel, ein positives Bild Chinas zu schaffen und langfristig Menschen mit positiven persönlichen Erfahrungen im Land zu erreichen – ein Effekt, der als „Steinchen-Effekt“ beschrieben wird: Ein Teilnehmer bringt seine positiven Eindrücke zurück in die USA und teilt sie in seinem sozialen Umfeld, wodurch sich die Reichweite vergrößert. Politische Beobachter warnen jedoch davor, solche Programme nicht als reine kulturelle Austausche zu verstehen. Vielmehr handele es sich um strategische Bewegungen des chinesischen Staates, die gezielt gesteuert sind, um globales Image und Einfluss zu stärken. Kritiker betonen, dass eine authentische Begegnung der Kulturen meist zu kurz komme und stattdessen eine einseitige Narrative propagiert werde, die Probleme und Widersprüche in der chinesischen Gesellschaft ausblendet. Die persönlichen Erlebnisse der Studenten in Jiangsu spiegeln diesen Zwiespalt wider.
Während sie die Schönheit der Landschaften, die beeindruckenden urbanen Entwicklungen und die Vielfalt kultureller Angebote anerkennen, wird ihnen zugleich bewusst, dass sie Teil einer inszenierten Darstellung sind. Einige Teilnehmer berichten, dass sie sich „benutzt“ fühlten und dass die Reise „transaktional“ gewirkt habe – ein Austausch, der von beiden Seiten mit anderen Absichten geführt wurde. Nach der Rückkehr in die USA wurden die Stimmen der Studenten und Journalisten, die sich mit der Reise beschäftigten, zunehmend laut. Berichte deckten die mediale Begleitung und den propagandistischen Charakter auf und lösten politische Reaktionen aus. Einige US-Politiker forderten von der Duke University Transparenz und eine kritische Überprüfung der Partnerschaft mit der chinesischen Institution.
Die Universität selbst entschuldigte sich für die mangelnde Vorbereitung der Teilnehmer und versprach, zukünftige Reisen besser zu gestalten und verbindliche Grenzen im Umgang mit Medienvertretern zu setzen. In der Gesamtbetrachtung zeigt der Fall beispielhaft, wie komplex die weltweiten Verflechtungen von Bildung, Kultur und Politik mittlerweile sind. Internationale Studienreisen, die einst vor allem dem Ideenaustausch und der Völkerverständigung dienten, können heute auch Mittel strategischer Staatspropaganda sein. Für Studierende bedeutet das, dass sie mit Vorsicht und einem kritischen Blick an solche Angebote herangehen sollten. Vorbereitung auf politische Kontexte, Kenntnis der beteiligten Akteure und eine reflektierte Haltung sind essentiell, um sich nicht ungewollt für politische Zwecke instrumentalisieren zu lassen.