Die regenerative Medizin hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht, doch die Erzeugung funktionaler Blutstammzellen im Labor blieb eine immense Herausforderung. Ein Team von Forschenden aus dem Josep Carreras Leukämie-Forschungsinstitut und dem Krankenhaus del Mar Forschungsinstitut hat nun eine Methode entwickelt, die es ermöglicht, Blutstammzellvorläufer aus embryonalen Stammzellen von Mäusen herzustellen. Der Schlüssel zum Erfolg ist die genaue Aktivierung von sieben spezifischen Genen, die die Umwandlung dieser Stammzellen in funktionsfähige hämatopoetische Stammzellen (HSPCs) steuern. Diese Entdeckung bringt die Wissenschaft einen bedeutenden Schritt näher an die Produktion von Blutstammzellen, die bei der Behandlung von Blutkrebserkrankungen und anderen hämatologischen Störungen genutzt werden könnten. Hämatopoetische Stammzellen sind die Ursprungszellen des gesamten Blutsystems.
Sie befinden sich im Knochenmark und sind verantwortlich für die kontinuierliche Erneuerung und Produktion aller Blutzellen, einschließlich der roten Blutzellen, weißen Blutzellen sowie der Blutplättchen. Patienten mit Blutkrebs oder anderen schweren Blutkrankheiten sind häufig auf eine Knochenmarktransplantation angewiesen, um beschädigte oder fehlende Blutstammzellen zu ersetzen. Doch eine solche Transplantation setzt die Verfügbarkeit eines passenden Spenders voraus, was nicht nur schwierig, sondern oft unmöglich ist. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Fähigkeit, gesunde Blutstammzellen im Labor zu produzieren, enorm an Bedeutung. Die Forschung konzentrierte sich darauf, die molekularen Mechanismen zu entschlüsseln, die embryonale Stammzellen in den frühen Entwicklungsstadien dazu bringen, hämatopoetische Zellen zu bilden.
Dr. Anna Bigas und ihr Team haben hierfür eine umfassende genomweite Screening-Methode angewandt. Bei diesem Prozess wurden tausende Gene der Maus genomweit analysiert, um diejenige zu identifizieren, die eine Differenzierung in Blutstammzellen auslösen können. Die Forscher entdeckten sieben Schlüsselgene, deren gezielte Aktivierung ausreichte, um embryonale Stammzellen in funktionale hämatopoetische Stammzellen umzuwandeln. Die anschließenden Experimente bestätigten, dass die rechtzeitige und koordinierte Expression dieser sieben Gene embryonale Stammzellen erfolgreich in HSPCs verwandeln kann.
Diese neu erzeugten Zellen konnten in Mäusen das Knochenmark besiedeln, ein funktionierendes Blutsystem aufrechterhalten und alle notwendigen Blutzelllinien produzieren. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Fähigkeit der Zellen, auch die immunologischen Zelltypen hervorzubringen, was für die vollständige Funktionsfähigkeit des Blutsystems entscheidend ist. Die Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Blood, einem renommierten Organ der American Society of Hematology, wurde von Dr. Luis Galan Palma und seinem Team aus dem Bigas-Labor geleitet. Die Ergebnisse belegen eindrucksvoll, dass eine gezielte Aktivierung eines kleinen Satzes von Genen ausreicht, um embryonale Stammzellen zu Blutzellen-Vorläufern zu reprogrammieren – ein Meilenstein in der Stammzellforschung.
Ein weiterer bedeutender Aspekt der Studie ist die hohe Wahrscheinlichkeit, dass dieses molekulare Prinzip auf den Menschen übertragbar ist. Obwohl es Unterschiede zwischen Maus und Mensch gibt, sind die grundlegenden Mechanismen, die die Differenzierung von Stammzellen steuern, sehr konserviert. Die sieben identifizierten Gene sind auch im menschlichen Genom vorhanden und weisen eine nahezu identische Sequenz auf. Dr. Bigas betont, dass diese genetische Ähnlichkeit eine vielversprechende Grundlage bietet, um ähnliche Methoden zur Herstellung humaner hämatopoetischer Stammzellen zu entwickeln.
Die Implikationen dieser Forschung sind weitreichend. Blutkrebserkrankungen wie Leukämie, Lymphome oder myelodysplastische Syndrome erfordern häufig intensive Behandlungsmethoden, die nicht selten mit einer Transplantation von Blutstammzellen verbunden sind. Die Möglichkeit, Blutstammzellen im Reagenzglas zu erzeugen, könnte dabei helfen, Engpässe bei der Transplantationsbereitschaft zu überwinden, die Risiken von Abstoßungsreaktionen zu verringern und personalisierte Therapien zu ermöglichen, die aus dem eigenen genetischen Material des Patienten entstehen. Darüber hinaus lässt sich die Technologie des gezielten Aktivierens von Genen auch auf andere Bereiche der regenerativen Medizin übertragen. Die Fähigkeit, komplexe Zelltypen präzise zu generieren, wie es bei den Blutstammzellen gelungen ist, könnte Vorbild für ähnliche Ansätze sein, beispielsweise in der Regeneration von Nervenzellen, Muskelgewebe oder anderen spezialisierten Zellpopulationen.
Die Entwicklung basiert auf dem ehrgeizigen ERC-Synergy-finanzierten Projekt „Making Blood“, das darauf abzielt, eine technologische Plattform zu entwickeln, die menschliche HSPCs in ausreichender Menge und Qualität „off the shelf“ bereitstellen kann. Dies würde einen Paradigmenwechsel in der Behandlung von Blutkrankheiten bedeuten und eine neue Ära der regenerativen Medizin einläuten. Die Forschungsarbeit wurde mit Unterstützung verschiedener Institutionen gefördert, darunter das spanische Ministerium für Wissenschaft, Innovation und Universitäten, die Generalitat de Catalunya sowie Stiftungsgelder von „la Caixa“, dem Instituto de Salud Carlos III und der Ramón Areces Stiftung. Die Kooperation verschiedener Experten aus den Bereichen Stammzellbiologie, Entwicklungsbiologie und hämatologische Onkologie belegt zudem, wie interdisziplinäre Ansätze zu bahnbrechenden Erkenntnissen führen können. Trotz der vielversprechenden Fortschritte gibt es weiterhin Herausforderungen, die gemeistert werden müssen.
Die Replikation der Ergebnisse im menschlichen System, die Skalierung der Produktion und die Sicherstellung der Sicherheit der erzeugten Zellen sind entscheidende Schritte, bevor die Technologien in klinische Anwendungen überführt werden können. Auch ethische und regulatorische Fragestellungen werden eine zentrale Rolle in der zukünftigen Entwicklung spielen. Zusammenfassend zeigt die jüngste Studie einen signifikanten Fortschritt bei der kontrollierten Herstellung von Blutstammzellen aus embryonalen Stammzellen in einem Mausmodell. Das gezielte Zusammenspiel von sieben spezifischen Genen ermöglicht die Umwandlung und Funktionalität der Zellen. Diese Erkenntnisse eröffnen neue Perspektiven für die regenerative Medizin und könnten in wenigen Jahren dazu führen, dass Blutkrebspatienten und Menschen mit schweren Blutkrankheiten von innovativen, dringend benötigten Therapien profitieren.
Die Forschung unterstreicht die immense Bedeutung der genetischen Steuerung in der Differenzierung von Stammzellen und demonstriert eindrucksvoll das Potenzial, das in der personalisierten Medizin steckt.