Die Beobachtung von Vögeln im eigenen Garten erfreut viele Naturfreunde, doch wenig ist bekannt über die tiefgreifenden Veränderungen, die Vogelfutterspender bei den Kolibris in Kalifornien ausgelöst haben. Insbesondere die Anna-Kolibri, eine in der westlichen Region der USA verbreitete Art, erlebt durch die künstlich bereitgestellten Nektarquellen nicht nur eine Ausweitung ihres Verbreitungsgebiets, sondern zeigt auch tiefgreifende physische Anpassungen. Innerhalb weniger Jahrzehnte haben sich ihre Schnäbel deutlich verlängert und vergrößert, was auf einen evolutionären Prozess hinweist, der bislang selten in so kurzer Zeit und in unmittelbarem Zusammenhang mit menschlichen Einflüssen dokumentiert wurde. Die Ursprünge der Kolibri-Futterspender sind nicht exakt datierbar, doch spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten sie eine weite Verbreitung. Bereits ein Patent von 1947 dokumentiert die zunehmende Beliebtheit dieser Vorrichtungen.
Seitdem haben sich die hierfür in Kalifornien vorhandenen Ansiedlungen von Anna-Kolibris erheblich verändert. Forschungen basierend auf historischen Vogelzählungen zeigen, dass sich die Kolibris entlang der gesamten kalifornischen Küste bis in den Norden des Bundesstaates ausgebreitet haben – eine Entwicklung, die maßgeblich mit der Verfügbarkeit energiereicher Futterspender in privaten Gärten und öffentlichen Parks einhergeht. Wissenschaftler nutzten die Daten der Audubon Christmas Bird Count, einer jährlichen Vogelerfassung, sowie Bevölkerungsstatistiken der USA und historische Zeitungsanzeigen für Vogelfutterspender, um Korrelationen zwischen der Häufigkeit der Spender und der Häufigkeit sowie dem räumlichen Auftreten der Kolibris zu ziehen. Darüber hinaus wurden Museumsobjekte der Vögel mittels moderner 2D- und 3D-Analyseverfahren untersucht, um Veränderungen in der Morphologie der Schnäbel über die Jahre zu quantifizieren. Die Ergebnisse sind erstaunlich: Kolibris, die heute auf Futterspender angewiesen sind, haben im Durchschnitt längere und größere Schnäbel als ihre Vorfahren aus den 1930er Jahren.
Die Anpassung dient dem effizienteren Saugen des süßen Nektars aus den künstlichen Spendern, vergleichbar mit dem Gebrauch eines größeren Löffels zum Essen. Interessanterweise zeigte sich in kälteren Regionen, nördlich des ursprünglichen Verbreitungsgebietes, der gegenteilige Trend: Die Kolibris besitzen hier kleinere Schnäbel, die helfen, die Körperwärme besser zu speichern, da ein kleinerer Schnabel weniger Oberfläche bietet, um Wärme abzugeben. Doch nicht nur die Schnabelform verändert sich. Beobachtungen und Untersuchungen zeigen, dass in Gebieten mit hoher Dichte an Futterspendern männliche Kolibris spitzere und schärfere Schnäbel entwickeln. Diese morphologische Besonderheit könnte auf ein verändertes Sozialverhalten hindeuten, da spitze Schnäbel häufig mit Aggressivität assoziiert werden.
Kolibris kämpfen oft heftig um die Kontrolle über verfügbare Nahrungsquellen, was durch diese evolutionäre Anpassung noch verstärkt zu werden scheint. Die ständigen Rivalitäten an den Futterstellen fördern offenbar eine Selektion für bessere Konkurrenzfähigkeit bei den Männchen. Die Ausbreitung der Anna-Kolibris entlang Kaliforniens wurde neben dem Einfluss der Futterspender auch mit der Verbreitung von Eukalyptusbäumen in Verbindung gebracht. Diese wurden vor über hundert Jahren massenhaft gepflanzt und bieten über das ganze Jahr hinweg natürliche Nahrungsquellen. Dennoch wirkten die Futterspender als Hauptmotor der Populationserweiterung und der evolutionären Anpassungen, da sie in enger Verbindung mit menschlicher Besiedlung zunehmend verfügbar wurden.
Diese Evolution findet in einer sehr kurzen Zeitskala statt – innerhalb von nur etwa zehn Kolibrigenerationen, also weniger als hundert Jahren. Diese Geschwindigkeit ist für evolutionäre Prozesse außergewöhnlich und bietet Wissenschaftlern die seltene Gelegenheit, Evolution quasi live zu beobachten. Der Mensch, ohne dies intendiert zu haben, wirkt als bedeutende evolutionäre Kraft, die die Morphologie und das Verhalten von Tieren in urbanen und vorstädtischen Räumen beeinflusst. Während Studien über menschliche Eingriffe oft Umweltschäden oder Domestizierung beleuchten, zeigt die Entwicklung der Anna-Kolibris, dass auch subtilere und indirekte Einflüsse von großem evolutionären Gewicht sein können. Für Naturliebhaber und Vogelfreunde bedeutet dies, dass Gartenfreunde mit Futterspendern nicht nur einfach Vögeln eine Mahlzeit bereiten, sondern tatsächlich Teil einer laufenden biologischen Entwicklung sind.