Die britische Wirtschaft hat im ersten Quartal 2025 mehr Wachstum gezeigt als von Experten erwartet. Mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,7 Prozent gegenüber den vorangegangenen Prognosen von 0,6 Prozent sorgt das Ergebnis für positive Schlagzeilen und neue Hoffnungen auf eine wirtschaftliche Erholung. Dieses überraschende Wachstum wurde vor allem durch eine Kombination aus erhöhtem privaten Konsum und einer anziehenden Investitionsbereitschaft der Unternehmen erreicht. Trotz der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten, die sich aus zunehmenden Importzöllen der USA und höheren Sozialabgaben für Arbeitgeber ergeben, deutet die aktuelle Datenlage darauf hin, dass die britische Wirtschaft sich in einer Phase der Stabilisierung befindet und möglicherweise einen Wendepunkt erreicht hat. Rachel Reeves, die britische Schatzkanzlerin, bezeichnete diese Entwicklung als das „Beginn eines Wendepunktes“ und hob hervor, dass Großbritannien das schnellstwachsende Land der G7-Gruppe im genannten Zeitraum war.
Sie unterstrich jedoch auch, dass die wirtschaftlichen Herausforderungen für viele Haushalte weiterhin präsent sind, insbesondere wegen der anhaltenden Kostenkrise, die viele Familien finanziell belastet. Dennoch zeichnen die Zahlen ein Bild von erhöhter wirtschaftlicher Aktivität, die zumindest kurzfristig für Optimismus sorgt. Ein bedeutender Treiber der Wachstumsrate war die Dienstleistungsbranche, die traditionell den größten Teil der britischen Wirtschaftsleistung stellt. Sektoren wie Handel, Gastgewerbe und Finanzdienstleistungen trugen maßgeblich zum Anstieg des realen BIP bei. Zusätzlich konnte die Industrie von einem überraschenden Anstieg der Exportvolumina profitieren, die um 3,5 Prozent zulegten, nachdem sie in den vorangegangenen drei Quartalen rückläufig waren.
Diese Entwicklung ist insbesondere vor dem Hintergrund der bestehenden Handelskonflikte mit den USA bemerkenswert, die seit April 2025 mit einer 10-prozentigen Zollabgabe auf viele britische Importe in die USA einhergehen. Kritische Stimmen aus der Politik äußern jedoch Skepsis gegenüber dem nachhaltigen Charakter dieses Wachstums. Mel Stride, Oppositionspolitiker der Konservativen, wies die positiven Signale zurück und mahnte, es sei „verfrüht, die Sektkorken knallen zu lassen“. Er kritisierte insbesondere die Erhöhung der Arbeitgeberbeiträge zur Nationalen Versicherung, die von vielen Unternehmen als eine Art „Jobsteuer“ bewertet wird, da sie die Betriebskosten erhöht und somit potenziell die Investitionsbereitschaft hemmt. Auch Reformpolitiker warnen vor den negativen Auswirkungen der Steuerpolitik auf das künftige Wachstum, da die Belastungen für Unternehmen gerade in der aktuelle Phase der steigenden Zölle und geopolitischen Unsicherheiten weiter eskalieren.
Unternehmen selbst stehen vor schwierigen Entscheidungen. Die Tatsache, dass US-Importzölle seit April galten, führte bei vielen Firmen dazu, dass Geschäftsaktivitäten in den ersten drei Monaten vorgezogen wurden, um noch von den alten Zollbedingungen zu profitieren. Dies erklärt teilweise die starke Wachstumsdynamik. Annabel Thomas, Geschäftsführerin einer Whiskybrennerei in Schottland, sieht dennoch Potenzial und setzt darauf, dass der jüngst mit den USA ausgehandelte Deal zur Zollsenkung bestimmter britischer Exporte mittelfristig Erleichterung bringen wird. Sie hat sich entschieden, die Zollkosten selbst zu tragen, um ihre Preise für den US-Markt stabil zu halten, was für Vertrauen in die britische Wirtschaft spricht.
Doch diese Optimismus ist nicht einheitlich. Unternehmen wie der Werkzeugproduzent Exactaform stehen vor der Herausforderung, wie sie auf die erhöhten Kosten durch Zölle und Steuern reagieren sollen. Entscheidungen über Investitionen oder Betriebserweiterungen werden daher zurückgestellt, da die Unsicherheit über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung zu groß ist. Die Sorge, falsche Entscheidungen könnten Arbeitsplätze kosten, führt häufig zu einer vorsichtigen Haltung auf der Unternehmerseite. Auch die finanzpolitischen Rahmenbedingungen spielen eine entscheidende Rolle.
Die Bank of England hat Anfang Mai die Leitzinsen leicht gesenkt und signalisiert weitere mögliche Senkungen, um die Wirtschaft zu unterstützen. Allerdings hat das stärkere Wachstum im ersten Quartal die Erwartungen an weitere Zinssenkungen gedämpft. Das beeinflusst besonders den Immobilienmarkt, da die Hypothekenzinsen davon abhängen. Aktuell ist mit einer leichten Erhöhung der Hypothekenzinsen zu rechnen, was wiederum die Verbrauchernachfrage belasten könnte. Seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2024 hat die Labour-Regierung die Ankurbelung der Wirtschaft zu einer ihrer Hauptprioritäten erklärt.
Ihre politische Linie verfolgt das Ziel, Investitionen zu fördern und durch gezielte Maßnahmen die Kaufkraft der Bevölkerung zu stabilisieren. Gegenwärtig zeigt sich, dass die ambitionierten Investitionen Wirkung zeigen und gerade im Dienstleistungssektor Früchte tragen. Allerdings werfen der Handelsstreit mit den USA sowie die straffere Steuerpolitik Schatten auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Analysten wie Paul Dales von Capital Economics warnen davor, dass die Zahlen des ersten Quartals ein temporärer Effekt sein könnten. Er sieht die Gefahr, dass das Wachstumstempo im Verlauf des Jahres wieder abnimmt, da viel Aktivität vorgezogen worden sei, um den Einfluss der neuen US-Zölle und erhöhten Arbeitgeberabgaben zu minimieren.
Die Frage, inwieweit sich die Wirtschaft gegen diese negativen Einflüsse dauerhaft behaupten kann, bleibt offen. Dennoch äußert sich mit Liz Martins von der Bank HSBC eine führende UK-Ökonomin optimistisch und verweist darauf, dass die Steigerung der Unternehmensinvestitionen um fast sechs Prozent ein gutes Zeichen für die längerfristige Entwicklung sei. Wenn Unternehmen bereit sind, ihr Kapital zu investieren, spricht dies für ein wachsendes Vertrauen in wirtschaftliche Stabilität und zukünftige Chancen. Gleichzeitig nützt die positive Entwicklung dem Arbeitsmarkt, was angesichts der Belastungen durch Preissteigerungen für die Verbraucher besonders wichtig ist. Insgesamt zeichnet sich ein Bild ab, das von gemischten Gefühlen geprägt ist.
Auf der einen Seite erfreuen sich britische Verbraucher und Unternehmer über die überraschend robuste Wirtschaftsentwicklung zum Jahresauftakt. Auf der anderen Seite überwiegt bei vielen Experten die Vorsicht angesichts faktischer und potenzieller Belastungen, die auf die Wirtschaft zukommen. Die Kombination aus geopolitischen Spannungen, erhöhten Steuerlasten und Unsicherheiten im internationalen Handel stellt eine komplexe Herausforderung dar, welche die künftige Wachstumsrate bremsen könnte. Der Weg Großbritanniens durch diese Phase wird maßgeblich von politischen Entscheidungen und globalen Handelsabkommen abhängen. Die jüngste Einigung mit den USA über die Reduzierung bestimmter Zölle ist ein positives Signal, kann aber die breitflächigen Handelshemmnisse nicht vollständig ausgleichen.