In der modernen Wissenschaft gilt die Physik als eine der fundamentalsten Disziplinen, die unser Verständnis der Welt prägt. Doch trotz bahnbrechender Entdeckungen und technologischer Fortschritte scheint sich der Fortschritt in der theoretischen Physik zunehmend zu verlangsamen. Ein oft übersehener Grund für diese Stagnation ist die Rolle, die schlechte Philosophie dabei spielt. Anstatt als hilfreiche Grundlage für wissenschaftliche Erkenntnisse zu dienen, verhindert eine falsche philosophische Haltung heute vielfach den Durchbruch zu neuen Erkenntnissen und blockiert die Entwicklung zukunftsweisender Theorien. Die Kritik an der gegenwärtigen philosophischen Einstellung unter Physikern basiert vor allem auf einem Missverständnis der Beziehung zwischen Theorie und Realität.
Seit Jahrzehnten dominiert eine Vorstellung, die besagt, dass Fortschritt nur möglich ist, wenn bestehende Theorien vollständig verworfen und durch radikale neue Ansätze ersetzt werden. Dieses Denken hat zur Folge, dass etablierte, aber bewährte Modelle wie das Standardmodell der Teilchenphysik oder die Allgemeine Relativitätstheorie immer wieder vorschnell infrage gestellt werden, obwohl sie experimentell hervorragend bestätigt sind. Der renommierte Physiker Carlo Rovelli thematisiert diese Problematik eindringlich. Er weist darauf hin, dass die Suche nach „jenseits“ der derzeitigen Theorien vielfach auf Wunschdenken und nicht auf solide wissenschaftliche Belege gründet. Stattdessen hätten viele spekulative Modelle, die in theoretischer Physik als Neuentwicklung propagiert werden, bereits durch empirische Ergebnisse widerlegt werden können.
Diese Verweigerung, bewährte Erkenntnisse zu akzeptieren und auf ihnen aufzubauen, verzögert den Fortschritt und führt zu einer Verzettelung in endlosen Debatten über nicht verifizierbare Hypothesen. Ein Grund für diese Fehlentwicklung liegt in der Verquickung von Philosophie und Physik. Während die Philosophie traditionell dazu dient, die Grundlagen und Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis zu hinterfragen und zu reflektieren, wird sie in der aktuellen Physikszene oft als Vorschrift für wissenschaftliches Vorgehen verstanden. Dies führt zu einem rigiden Denken, das neue Erkenntnisse nur dann gelten lässt, wenn sie die gesamte bestehende Theorie über den Haufen werfen. Dabei ist das Wesen der Wissenschaft gerade das Fortschreiten durch Verfeinerung und Erweiterung vorhandener Modelle.
Theorien sind Modelle der Wirklichkeit, keine absolut gültigen Wahrheiten. Ihre Annäherung an die Realität erfolgt schrittweise und oft nuanciert. Wenn ein neues Modell nicht in der Lage ist, die Ergebnisse eines bewährten Modells zu reproduzieren oder mit diesen in Einklang zu bringen, ist es kein Fortschritt, sondern Rückschritt, es einfach abzulehnen oder zu ignorieren. Die Philosophie der Wissenschaft sollte daher nicht als Dogma missverstanden werden, sondern als ein Werkzeug, um kritisch und gleichzeitig offen an Theorien heranzugehen. Sie sollte den Dialog zwischen Theorie und Experiment fördern und die Grenzen des Wissens bewusst machen, ohne die prophetische Haltung zu fördern, die neue Theorien zwangsläufig als vollständigen Ersatz alter Modelle sieht.
Ein weiteres Hemmnis für die physikalische Forschung ist die Tendenz, in der Philosophie eine Art ultimative Orientierung zu suchen. Man versucht, durch metaphysische oder epistemologische Überlegungen eine endgültige Wahrheit über den Kosmos zu ergründen, was nicht nur angibt, wie Wissenschaft zu betreiben sei, sondern oftmals auch den Rahmen für wissenschaftliche Fragen einengt. Solche Einschränkungen verhindern kreatives Denken und fördern einen konformistischen Wissenschaftsstil, der an traditionelle Dogmen gebunden bleibt. Die praktischen Konsequenzen dieser Denkschablonen sind spürbar. Zahlreiche groß angelegte Forschungsprojekte, die auf revolutionäre Theorien abzielen, verschlingen immense Ressourcen, während sie auf keinen wissenschaftlichen Durchbruch zusteuern.
Die daraus resultierende Ernüchterung beeinträchtigt zudem die öffentliche Wahrnehmung der Wissenschaft und das Vertrauen in ihre Fortschrittsfähigkeit. Ein Ausweg besteht darin, die Philosophie nicht als starres Regelsystem zu betrachten, sondern als eine lebendige und offene Disziplin. Es sollte möglich sein, Erkenntnisse der Physik flexibel in philosophische Zusammenhänge einzubetten, ohne die Wissenschaft auf starren theoretischen Fundamenten errichten zu müssen. Gleichwohl sollte die Philosophie kritisch gegenüber radikalen Neuerungen bleiben, insbesondere wenn diese experimentell nicht abgesichert sind. Die Zukunft der Physik könnte von einer solchen Reorientierung stark profitieren.