Die Vorstellung, dass Global Player wie Starbucks kleine, familiär geführte Kaffeehäuser in den Ruin treiben, gilt unter vielen Verbrauchern als Selbstverständlichkeit. Schließlich hat Starbucks mit fast 15.000 Standorten allein in den USA die Kaffeehauslandschaft grundlegend verändert. Georgische Dörfer und Großstädte erlebten innerhalb weniger Jahre eine regelrechte Starbucks-Flut. Die Annahme liegt nahe, dass Mom-and-Pop-Coffeeshops unter diesem dominanten Marktteilnehmer kaum eine Überlebenschance haben.
Doch die Realität sieht erstaunlich anders aus – zahlreiche unabhängige Cafés verzeichnen gerade durch die Präsenz von Starbucks steigende Umsätze und Kundenzahlen.Der Fall von Herb Hyman, Betreiber mehrerer Coffee Bean & Tea Leaf-Filialen in Los Angeles, illustriert diesen überraschenden Trend eindrücklich. Als Hyman 1991 von den ersten Plänen Starbucks’ erfuhr, seine Stadt mit Filialen zu überschwemmen, erwartete er das Ende seines Lebenswerks. Doch statt Verlust verbuchte er ein Umsatzplus: Nachdem Starbucks neben seinen Lokalen eröffnete, entdeckten viele neue Kaffeetrinker die Lust auf Kaffee überhaupt erst oder wurden durch das gesteigerte Interesse am Kaffeetrinken auf unabhängige Cafés aufmerksam. Die hohe Kundenfrequenz, die Starbucks erzeugt, wirkt dabei wie ein Magnet für Kaffeegenießer in der Umgebung.
Der große Player behandelt Kaffee nahezu als Lifestyle-Gegenstand, schafft Markenbewusstsein und macht Latte Macchiato und Cappuccino zu einem weit verbreiteten Begriff.Diese Aufmerksamkeit sorgt für einen erheblichen Mehrwert, von dem kleine Kaffeehäuser unmittelbar profitieren können. Viele Verbraucher sind neugierig und offen für Alternativen zu den standardisierten Getränken bei Starbucks. Sie suchen nach individuellen Geschmackserlebnissen, besonderer Atmosphäre und persönlichem Service. Gerade diese Attribute können kleine, familiengeführte Cafés bieten, die mit einzigartigen Kreationen, regionalen Spezialitäten und Handwerkskunst glänzen.
Denn anders als Starbucks mit seinem standardisierten Angebot haben unabhängige Betriebe den Vorteil, flexibel auf Kundenwünsche einzugehen und sich eine eigene Nische zu schaffen.Auch Martin Diedrich aus Orange County hat diese Erfahrung gemacht: Anstatt sich von der Konkurrenz erdrückt zu fühlen, konnten er und seine Mitstreiter neben den Starbucks-Standorten neue Kundengruppen erschließen. Die Präsenz Starbucks’ generierte Neugier und Interesse am Kaffee als Genussmittel. Selbst Journalisten und Branchenkenner wie der Gründer des Kaffee-Fachmagazins Fresh Cup, Ward Barbee, bekräftigen, dass sich lokale Cafés über neue Starbucks-Filialen freuen sollten. Die Nähe zum Branchenriesen kann einen regelrechten Boom für das Kaffeegeschäft vor Ort auslösen.
An dieser Stelle ist es wichtig zu verstehen, warum Starbucks nicht die gleiche Konkurrenzwirkung entfaltet wie andere Geschäftsriesen. Betrachtet man etwa Wal-Mart oder Home Depot, so sind das Geschäfte, die durch ihr umfangreiches Produktsortiment und stark reduzierte Preise die Umsätze auf dem gesamten lokalen Einzelhandelsmarkt stark bündeln. Bei Starbucks hingegen sind die Preise meist höher als bei kleinen Cafés, das Angebot begrenzt, und Rabattaktionen oder Kundenkarten sucht man häufig vergeblich. Diese Aspekte verhindern, dass Starbucks die ganze Kundschaft an sich bindet und andere Anbieter ausgrenzt.Außerdem lässt das Kaffeeangebot Flexibilität zu: Viele Verbraucher trinken aus unterschiedlichen Gründen Kaffee und besuchen gerne mehrere Cafés, je nach Stimmung, Geschmack oder Bedürfnis.
Starbucks dient dabei oft als Einstiegspunkt oder Convenience-Option, während die individuellen Cafés Erlebnis, Qualität und Persönlichkeit bieten, die nicht standardisiert werden können. Diese komplementäre Beziehung schafft ein Netzwerk von Kaffeeerlebnissen, von dem sowohl globale als auch kleine Anbieter profitieren.Auch das Wachstum der unabhängigen Cafés bestätigt diesen Trend. Von 2000 bis 2005 stieg die Anzahl der mom-and-pop-Coffeehouses um beeindruckende 40 Prozent – ein Signal, das direkt im Widerspruch zur verbreiteten Meinung vom Siechtum der kleinen Läden steht. Parallel dazu hat ebenfalls Starbucks seine Filialzahlen in diesem Zeitraum fast verdreifacht.
Dieses parallele Wachstum zeigt, dass die Märkte für Kaffee generell expandieren und die Nachfrage steigt. Verbraucher investieren immer häufiger in hochwertige und vielfältige Kaffeeerlebnisse, was sowohl großen als auch kleinen Anbietern Umsatzchancen eröffnet.Eine weitere Erklärung für den Erfolg kleiner Cafés trotz (oder gerade wegen) Starbucks besteht im Unterschied des Geschäftskonzepts. Bei Starbucks übernimmt viel Technik Arbeitsschritte – von automatisierten Espresso-Maschinen bis hin zu einheitlich gestalteten Filialen weltweit, die wenig Raum für Individualität lassen. Kleinere Kaffeehäuser hingegen setzen auf Handwerkskunst und den persönlichen Touch.
Ein selbstgemachter Cappuccino mit perfektem Milchschaum, der Bedienung durch den Besitzer persönlich oder die Nutzung lokaler Spezialitäten sind für viele Kunden ein entscheidendes Argument. Dieses qualitativ hochwertige, individuelle Erlebnis kann die Latte des globalen Anbieters in Sachen Genuss und Atmosphäre übertrumpfen.Die Geschichte zeigt jedoch auch Schattenseiten. Starbucks versucht immer wieder, schwächere oder einknickende Konkurrenten durch aggressive Standort- und Immobilienstrategien vom Markt zu drängen. Mietverträge werden übernommen, Konkurrenten eingeschüchtert, und manchmal tatsächlich kleinste Läden durch Aktionen wie Kaustabwerbung gezielt aus dem Markt gedrängt.
Dennoch sind derartige Fälle, wie der Antitrust-Prozess der Café-Besitzerin Penny Stafford aus Bellevue, eher die Ausnahme als Regel.Die Mehrzahl der unabhängigen Cafés erlebt eine erfolgreiche Positionierung. Erfolgsentscheidend ist dabei die Fokussierung auf die eigene Identität und Abgrenzung von Starbucks. Nachzuahmen, was Starbucks macht, ist in der Regel kein Weg zum Erfolg. Vielmehr sollten lokale Cafés ihren eigenen Rezepten, ihrem individuellen Stil und herausragender Qualität treu bleiben.
Kunden schätzen Einzigartigkeit, persönliche Beratung und das Gefühl, Teil einer Nachbarschaftskultur zu sein. Gerade in einer Zeit, in der lokales und handgemachtes zunehmend an Bedeutung gewinnt, haben kleine Kaffeehäuser auf dem Markt große Chancen.Zusammengefasst zeigt sich, dass Starbucks und kleine Kaffeeläden kein Nullsummenspiel führen. Im Gegenteil bewirkt die Präsenz des Giganten oft eine Marktausweitung und höhere Aufmerksamkeit für die Kaffeezunft insgesamt. Wer auf Qualität und ein unverwechselbares Konzept setzt, kann gerade mit Starbucks als Nachbar deutlich profitieren.
Das enorme Gewinnpotenzial im Kaffeesegment und die wachsende Nachfrage nach Gourmet-Coffees machen den Markt für alle Spieler attraktiv.Herb Hyman brachte es auf den Punkt, als er seinen Erfolg neben Starbucks feierte: Wenn ein weltumspannender Konzern sich gegenseitig kannibalisieren kann, indem er Filialen gegenüberstellt, warum sollten es dann nicht auch kleinere, gut geführte Cafés mit Individualität schaffen? Für Kaffeeliebhaber ist die Vielfalt ein Gewinn, für Kaffeeunternehmer eine Chance – und Starbucks wirkt dabei oft wie ein ungewollter, aber willkommener Wachstumsmotor für die lokalen Helden der Kaffeekultur.