Sierra On-Line war einst ein Pionier der Adventure-Spiele und prägte die Videospielbranche in den 1980er und frühen 1990er Jahren maßgeblich mit. Die Firma, gegründet von Ken und Roberta Williams, wurde bekannt für Titel wie King's Quest, Leisure Suit Larry, Space Quest und viele weitere Klassiker, die das Genre mit Humor, technischer Innovation und einer unverwechselbaren Handschrift bereicherten. Doch die goldenen Zeiten sollten nicht für immer währen. Im Zuge von Übernahmen, Finanzskandalen und strategischen Fehlentscheidungen verabschiedete sich Sierra langsam, aber sicher von der Entwicklerbühne und fiel schließlich unter das Schwert der Wirtschaftlichkeit – oft als Chainsaw Monday bezeichnet. Der Name Chainsaw Monday steht für den 22.
Februar 1999, jenem düsteren Montagmorgen, an dem Sierra On-Line in Oakhurst, Kalifornien, faktisch aufgelöst wurde. Die Mitarbeiter, die noch wenige Jahre zuvor in einer kreativen Hochphase gearbeitet hatten, wurden mit schockierenden Nachrichten konfrontiert. Während eines Meetings im nahegelegenen Kino wurde bekannt gegeben, dass das Oakhurst-Studio geschlossen wird und fast 100 Mitarbeiter, darunter Entwickler, Designer und Support-Personal, ihre Jobs verlieren würden. Die Berichte sprechen von einem abrupten Vorgehen, das in kleinen Gruppen unter Bewachung stattfand, während die Sicherheitscodes des Gebäudes geändert wurden, um den Zugang sofort zu sperren. Für eine Belegschaft, die sich bereits mehrfach restrukturieren musste, war dies ein bitteres Ende einer Ära.
Sierra als Marke war inzwischen Teil eines größeren Medienkonzerns: Vivendi, zuvor Compagnie Générale des Eaux (CGE), hatte sich 1998 das Spielelabel von Cendant Corporation gesichert, zu dem neben Sierra auch Blizzard Entertainment gehörte. Blizzard war längst zum Star unter den Spieleentwicklern avanciert, vor allem aufgrund des riesigen Erfolgs von Warcraft 2, Diablo und Starcraft, die mit dem Battle.net eine Online-Spielercommunity von bisher unbekanntem Ausmaß schufen. Für Vivendi war die Übernahme vor allem eine Gelegenheit, in den schnell wachsenden Gaming-Markt einzusteigen – und Blizzard war das eigentliche Ziel. Sierra war zu diesem Zeitpunkt eher ein ungeliebtes Zugeständnis, das im Portfolio blieb, weil es mit der Übernahme einherging.
Im Februar 1999 zeigte sich der Wandel unmissverständlich in Oakhurst. Die Entwickler, die an mindestens drei großen Projekten arbeiteten – darunter eine Weltraumsimulation basierend auf der Fernsehserie Babylon 5, ein ambitioniertes MMORPG in Tolkiens Mittelerde und ein Shooter mit militärischem Hintergrund –, wurden entweder entlassen oder ausgelagert. Während die beiden ersten Projekte in den Vivendi-Standort in Bellevue, Washington, verlagert wurden, wurde das Shooterprojekt komplett eingestellt. Letztlich wurden auch die verbleibenden Projekte in Bellevue einige Monate später endgültig eingestellt, was den Abschied von Sierra als aktiver Entwicklerfirma besiegelte. Von nun an sollte Sierra nur noch als Markenname für den Vertrieb fungieren.
Diese Entscheidung markierte den Abschied von einem kreativen Unternehmen, das einst für technische Innovationen, unkonventionelle Themen und ein lebendiges Arbeitsumfeld bekannt war. Entwickler und Designer, die einst das Fundament des Studios bildeten, verabschiedeten sich mehrheitlich aus der Branche oder wandten sich anderen Projekten zu. Die Coles, die mit der Quest-for-Glory-Serie eine der bekanntesten Adventure-RPG-Hybriden geschaffen hatten, erweiterten ihre Tätigkeit gelegentlich, doch ihre aktive Zeit im Unternehmen war vorbei. Andere bekannte Persönlichkeiten aus Sierra wurden nach und nach rar, was auch die Entwicklung des Adventure-Genres insgesamt schwächte. Die Schließung von Sierra in Oakhurst hatte auch tiefgreifende lokale Auswirkungen.
Das Studio war einer der größten Arbeitgeber der Kleinstadt und hatte in der Vergangenheit zum Wohlstand und zur Bekanntheit der Region beigetragen. Nach Chainsaw Monday kam kurzzeitig Hoffnung auf, als der britische Publisher Codemasters die Räumlichkeiten samt einiger Projekte übernahm, darunter The Realm und das Navy SEAL-Spiel, das zuvor storniert worden war. Doch die Schwierigkeiten, qualifizierte Fachkräfte an den ländlichen Standort zu holen, und fehlende Ressourcen führten erneut zur Einstellung der Entwicklung. Schließlich wurde das Gebäude erneut verkauft, die Server des Online-Spiels umgezogen, und damit das Kapitel der Spieleproduktion in Oakhurst endgültig geschlossen. Sierra On-Lines Geschichte ist jedoch mehr als nur eine unternehmerische Tragödie.
Das Unternehmen war ein Wegbereiter der PC-Spielindustrie und zeichnete sich durch eine Offenheit gegenüber diversen Themen und Kreativen aus, die keineswegs dem damaligen Einheitsbrei entsprachen. Die Gründer Ken und Roberta Williams brachten eine Vision von Spielen mit, die für jedermann zugänglich sind, und die nicht auf ein kleines, technisch versiertes Publikum beschränkt blieben. Sie legten großen Wert auf technische Innovationen, wie den Einsatz von Soundkarten, die den PC-Games neues Leben einhauchten. Gleichzeitig zeigt die Sierra-Erfahrung die Schwierigkeiten, denen viele kreative Unternehmen in der Spielebranche begegnen: Der Balanceakt zwischen künstlerischem Anspruch und wirtschaftlicher Machbarkeit, der Einfluss von Konzernen, die Marken nur als fiktiven Wert behandeln, und die Herausforderungen, die neue Marktbedingungen und Technologien mit sich bringen. Chainsaw Monday ist nicht nur das Ende von Sierra in Oakhurst, sondern auch ein Symbol für den Verlust einer von Leidenschaft geprägten Firmenkultur, die durch Kommerzialisierung und Standardisierung ersetzt wurde.
Auch die persönliche Geschichte der beiden Williams spiegelt die komplexe Realität wider. Während Ken Williams die geschäftlichen Höhen und Tiefen mittrug und nach der Spieleära im Internet unternehmerisch tätig wurde, zog sich das Ehepaar schließlich aus dem geschäftlichen Leben zurück, um mit Weltreisen und später einem Remake von Adventure, dem Spiel, das alles begann, einen würdigen Abschluss ihrer Karriere zu setzen. Die Erinnerung an Sierra lebt vor allem durch ihre Spiele, die in der Community und Geschichte weiterhin einen festen Platz haben. Das Adventure-Genre selbst hat sich seitdem gewandelt, mit vielen Remakes, spirituellen Nachfolgern und neuen Interpretationen. Dennoch bleibt der Einfluss von Sierra als Genregründer unbestritten.
Die Geschichten und Mechaniken zahlreicher moderner Narrative-Spiele wurzeln in den Experimenten und der Kreativität dieser Zeit. Die Schließung von Sierra und Chainsaw Monday markieren also zwar ein Ende, aber auch den Beginn eines neuen Kapitels für die Spieleindustrie, mit Platz für Innovation und neue Geschichten, die durch digitale Distribution und unabhängige Entwickler heute realisiert werden. Die Video- und Computerspielgeschichte ist reich an Geschichten wie jener von Sierra, die von Visionären geprägt wurde und am Ende von wirtschaftlichen Realitäten eingeholt wurden. Das bedauernswerte Ende von Sierra On-Line ist eine Mahnung, wie wichtig es ist, kreative Freiheit und unternehmerisches Handeln in Balance zu halten, um eine nachhaltige Zukunft für die Branche zu gewährleisten. Zudem zeigt es, wie schnell und unerwartet sich Branchenlandschaften ändern können und wie viel Einfluss entscheidende Führungsentscheidungen auf das Schicksal ganzer Städte und Generationen von Entwicklern haben können.
Heute, mehr als zwei Jahrzehnte nach Chainsaw Monday, erinnern sich Fans weltweit mit Nostalgie und Respekt an die Zeit, als Sierra On-Line noch ein Synonym für Abenteuer, Innovation und den ungebändigten Pioniergeist der frühen PC-Spielezeit war. Oakhurst mag nach wie vor wachsen – dank seines Status als Tor zum Yosemite-Nationalpark – aber das Kapitel der Spieleentwicklung dort ist endgültig geschlossen. Die Erinnerungen, Geschichten und das Vermächtnis von Sierra leben jedoch weiter, sowohl in den Herzen der Spieler als auch in der Geschichte der Videospielkultur.