In den vergangenen Jahren hat Baldur's Gate 3 als neuester großer Ableger des legendären Rollenspiels Dungeons & Dragons (D&D) beeindruckende Erfolge gefeiert. Die Kombination aus tiefgründigem Storytelling, innovativem Gameplay und der Expertise von Larian Studios führte zu einem der besten Rollenspiele der modernen Ära. Doch während das Spiel selbst viel Lob und eine riesige Fangemeinde erntete, scheint Hasbro, der Eigentümer von D&D und übergeordneten Unternehmen Wizards of the Coast (WoTC), keinerlei klare Strategie zu haben, wie es mit diesem Erfolg umgehen soll. Diese Unsicherheit ist dabei kein plötzliches Phänomen, sondern spiegelt eine langjährige Problematik wider, die sich über ein Jahrzehnt zieht und die Entwicklung von Dungeons & Dragons massiv beeinflusst hat. Hasbros Strategie mit Baldur's Gate 3 wirkt zögerlich und oft unkoordiniert.
Obwohl das Unternehmen das Potenzial erkannte, ein Projekt wie BG3 in Zusammenarbeit mit Larian Studios auf die Beine zu stellen, endete diese Partnerschaft mit Unsicherheiten. Nach der Veröffentlichung von BG3 entsandte Hasbro Entlassungen bei den Mitarbeitern, die an der Verbindung zwischen D&D und Videospielen arbeiteten. Diese Entwicklung steht sinnbildlich für eine mehrschichtige Herausforderung: Während kreative Studios sich weiterentwickeln und neue Projekte verfolgen wollen, scheint Hasbro Mühe zu haben, die gewonnenen Errungenschaften weiterzuverwenden und zu investieren. Eine ähnlich enttäuschende Entwicklung zeichnet sich beim virtuellen Tabletop Sigil ab, welches als digitale Plattform für D&D-Fans konzipiert wurde. Sigil sollte eine Art „Heimat“ für Online-Rollenspielrunden werden und stellte eine wichtige Brücke dar, um die oft unpraktikable Organisation physischer Spielrunden zu überwinden.
Allerdings gelang es dem Projekt nie, über die anfängliche Testphase hinaus Fuß zu fassen. Die Entwickler wurden größtenteils entlassen und das Projekt näherte sich seinem Ende, was für viele Spieler eine verpasste Chance bedeutet – eine digitale Lösung, die den Bedürfnissen der modernen D&D-Community gerecht werden sollte. Dabei wurde Hasbro wiederholt vorgeworfen, grundlegende Unterschiede zwischen Videospielen und Virtual Tabletops nicht verstanden zu haben. Ein Videospiel ist ein fertiges Produkt, das in sich geschlossen ist und den Spieler durch programmierte Erfahrungen führt. Ein VTT hingegen ist ein Werkzeug, das Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Community-Interaktion benötigt, um kreatives Rollenspiel zu ermöglichen.
Das Missverständnis dieser Dynamik führte zu falschen Erwartungen, falscher Ressourcenplanung und letztlich zur Vernachlässigung von Sigil. Der große Erfolg von BG3 und die gescheiterte Sigil-Plattform werfen ein Licht auf Hasbros generellen Umgang mit Dungeons & Dragons in den letzten Jahren. Auch in anderen Bereichen zeigt sich eine gewisse Konservativität gepaart mit einer Tendenz zu kurzfristigem Denken. Das zeigt sich etwa in der langwierigen und kritisierten Einführung der fünften Edition von D&D, bei der Hasbro zwar ansprechende neue Regeln anbot, jedoch kaum bahnbrechende Innovationen wagte. D&D bleibt damit ein Spiel, das auf Bewährtem setzt, doch der Mut zur Erneuerung und ein wirklich visionäres Konzept fehlen oft.
Parallel dazu hat die Community um D&D in den letzten zehn Jahren durch Podcasts, Streaming-Shows und andere Medien enorme Popularität erlangt. Insbesondere das Phänomen Critical Role trug maßgeblich dazu bei, Dungeons & Dragons einem breiteren Publikum näherzubringen und eine lebendige und engagierte Fangemeinde zu schaffen. Hasbro und WoTC haben zwar von diesem Aufschwung profitiert, doch blieb der Konzern dabei oft mehr Beobachter als aktiver Innovator. Statt eigene, originelle Angebote zu entwickeln, profitierten sie meist von Erfolgen anderer, wie dem Kulturphänomen Critical Role, und verpassten es, diese Entwicklungen stärker in die eigene Produktpalette einzubinden oder eigene kreative Wege zu gehen. Ein auffälliges Problem war zudem die heftige Reaktion auf die Open Game License (OGL), ein Regelwerk, das es vielen Drittanbietern erlaubt, auf D&D basierendes Material zu veröffentlichen.
Hasbros Versuche, die Lizenzbedingungen restriktiver zu gestalten, führten im Jahr 2023 zu massiven Empörungswellen in der Community. Diese Kontroverse schädigte nicht nur das Image, sondern trieb viele kreative Entwickler schlichtweg weg vom D&D-Universum. Unternehmen wie Kobold Press und Paizo nutzten die Gelegenheit, um eigene konkurrierende Systeme zu fördern – ein weiterer Beleg dafür, dass Hasbro den Wert von offenen und unterstützenden Partnerschaften unterschätzt hatte. Ebenso erweist sich die Investition in digitale und audiovisuelle Umsetzungen von D&D als schwieriges Feld für Hasbro. Der Kinofilm „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ war trotz positiver Kritiken kein kommerzieller Durchbruch und verdeutlichte die Herausforderungen, D&D in anderen Medien erfolgreich zu etablieren.
Während der Film das Potential hatte, neue Fans zu gewinnen und bestehende zu begeistern, blieb der finanzielle Erfolg eher mäßig – gerade im Vergleich zu anderen Spiel- oder Brettspiel-Franchises von Hasbro. Letztlich scheint Hasbro zwischen seinen konzerninternen Strukturen und der komplexen, kreativen Natur von Dungeons & Dragons hin- und hergerissen. Das Unternehmen behält D&D als eine wertvolle Marke, versteht es aber nur begrenzt, das kreative Kapital, die Fanbasis und die kulturelle Bedeutung in nachhaltige, innovative Produkte und Strategien zu übersetzen. Von der eigenen Verzögerung bei der Übernahme und Weiterentwicklung von D&D Beyond bis hin zum Unsicherheitsmanagement nach dem BG3-Erfolg zeigt sich ein Muster von Zögerlichkeit und verpassten Chancen. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass viele Fans und Beobachter skeptisch sind, ob Hasbro in der Lage ist, das enorme Potenzial von Baldur's Gate 3 und generell von Dungeons & Dragons auszuschöpfen.
Es bedarf einer deutlichen Kurskorrektur, die sowohl mehr Vertrauen in kreative Partner als auch eine tiefere Anpassung an die Bedürfnisse der Community voraussetzt. Dabei sollte Hasbro nicht nur weitere Videospiele fördern, sondern auch digitale Tools entwickeln, die Spielerinnen und Spielern echte Mehrwerte bieten und mehr Flexibilität erlauben. Die Zukunft von Dungeons & Dragons hängt stark davon ab, wie Hasbro den Spagat zwischen unternehmerischem Kalkül, kreativer Freiheit und den Erwartungen einer heterogenen Fangemeinde meistert. Die vergangenen zehn Jahre haben gezeigt, dass Wachstum und Erfolg nicht automatisch in eine strategische Weiterentwicklung übersetzt werden. Die nächsten Jahre werden entscheidend sein, ob Hasbro sich als kompetenter Hüter einer der wichtigsten Rollenspielmarken der Welt beweisen kann oder ob es weiterhin als Konzern erscheint, der große Chancen nicht zu nutzen weiß.
Insgesamt steht fest, dass Baldur's Gate 3 einen Meilenstein in der Geschichte von Dungeons & Dragons darstellt. Der Umgang mit diesem Erfolg spiegelt aber die systematischen Herausforderungen und Fehler wider, die Hasbro seit Jahren begleiten. Nur durch mehr Offenheit, Innovationsbereitschaft und ein echtes Verständnis für die Spielgemeinschaft kann der Schatz des Rollenspiels weiterhin gehoben werden – und vielleicht gelingt es dann auch, die Goldgrube, die BG3 darstellt, nicht länger ungenutzt liegenzulassen.