Papageien sind bekannt für ihre Intelligenz, ihre verspielte Natur und ihre starken sozialen Bindungen in freier Wildbahn. In der natürlichen Umgebung leben sie oft in großen Schwärmen, die ihnen nicht nur Schutz bieten, sondern auch vielfältige soziale Interaktionen ermöglichen. Doch in der Haltung als Einzeltiere in menschlichen Haushalten können diese hochsozialen Vögel leicht Isolation und Langeweile erleben, was sich negativ auf ihr Verhalten und ihre psychische Gesundheit auswirkt. Um dieser Herausforderung zu begegnen, haben Wissenschaftler innovative Wege erforscht, wie Papageien auch unter solchen Umständen soziale Kontakte aufbauen und pflegen können – mit einem überraschenden Ergebnis: Videotelefonie zwischen Vögeln. Forschende aus renommierten Institutionen wie der Northeastern University, der University of Glasgow und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben im Rahmen einer Studie untersucht, wie Haustierpapageien auf Videoanrufe mit Artgenossen reagieren, welche Auswirkungen diese virtuellen Begegnungen auf ihr Verhalten haben und ob sie in der Lage sind, die Technologie aktiv zu nutzen.
In dem auf der CHI-Konferenz für Mensch-Computer-Interaktion 2023 vorgestellten Forschungsprojekt lernten die Vögel, mittels eines Tablets Videoverbindungen zu anderen Papageien herzustellen. Dabei geht es nicht nur um bloße Unterhaltung, sondern um ein echtes soziales Erlebnis, das den Vögeln helfen kann, Einsamkeit zu überwinden und ihre geistigen Fähigkeiten zu fördern. Die Ausgangsbasis für das Experiment war die Erkenntnis, dass viele domestizierte Papageien oft einzeln gehalten werden, was bei ihnen Stress, Langeweile und in manchen Fällen selbstschädigendes Verhalten wie Federzupfen auslösen kann. Um dem entgegenzuwirken, wurde gemeinsam mit engagierten Papageienbesitzern eine Methode entwickelt, die Vögeln erlaubt, sich selbstständig mit anderen Vögeln zu vernetzen. Die Besitzer wurden speziell geschult, um ihre Tiere zu unterstützen und die Videoanrufe behutsam zu begleiten.
In der ersten Phase lernten die Papageien, eine kleine Klingel zu betätigen und anschließend das Bild eines anderen Vogels auf einem Tablet anzutippen, um einen Anruf zu starten. Die Vögel hatten somit die Kontrolle über den Kontakt, eine entscheidende Voraussetzung, damit sie motiviert bleiben und nicht bedrängt werden. Im Verlauf der Studie wurde deutlich, dass die Papageien Videoanrufe nicht nur akzeptierten, sondern aktiv nutzen. Während der offenen Phase der Experimente wurden zahlreiche bewusste Anrufe zwischen verschiedenen Tieren getätigt, die oft die volle erlaubte Dauer von fünf Minuten in Anspruch nahmen. Die Reaktionen waren vielfältig und reichten von Kommunikationsversuchen über spielerisches Verhalten bis hin zu einem Austausch sozialer Signale, bei dem die Vögel offensichtlich das Erkennen eines lebenden Artgenossen auf der anderen Seite des Bildschirms verstanden.
Dies widersprach der Vermutung, dass Tiere auf Bildschirme lediglich als statische Objekte reagieren könnten. Stattdessen entstanden richtige Freundschaften und Beziehungen, die sich darin zeigten, dass bestimmte Paare sich besonders häufig gegenseitig anriefen. Das Verhalten der Papageien bei den Videoanrufen zeigte eine bemerkenswerte Bandbreite. Einige sangen oder gaben Rufe von sich, die Artgenossen animierten zu antworten. Andere präsentierten ihre Lieblingsspielzeuge oder zeigten sich in spielerischen Posen wie dem Kopfstand, als wollten sie sich optisch interessant machen.
Besonders berührend war die Beobachtung zweier älterer, schwacher Aras, die trotz körperlicher Einschränkungen intensive und regelmäßige Videogespräche führten. Ihre Stimmen und Interaktionen vermittelten den Eindruck, dass sie sich gegenseitig Trost spendeten und aufrichtige Verbundenheit pflegten. Darüber hinaus hatte die Interaktion über das Tablet auch einen positiven Einfluss auf die Lernfähigkeit der Tiere. Einige Papageien übernahmen durch Beobachtung ihrer virtuellen Freunde neue Verhaltensweisen, wie etwa bestimmte Flugtechniken, Futtersuchstrategien oder die Nachahmung neuer Geräusche. Dieser soziale Lernprozess stellt eine spannende Entdeckung dar, die zeigt, dass Papageien nicht nur einfache Reiz-Reaktionsmuster zeigen, sondern komplexe kognitive Fähigkeiten besitzen, die durch neue Kommunikationswege angeregt werden können.
Neben den Vorteilen für die Vögel selbst hatte das Experiment auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Die Besitzer berichteten, dass sie ihren Papageien näher rückten, weil sie beobachteten, wie lebhaft und individuell ihre Haustiere auf die Videoanrufe reagierten. Einige Vögel entwickelten sogar eine gewisse Bindung zu den menschlichen Betreuern der anderen Vögel, die sie über den Bildschirm sahen. Dies zeigt, welch großes Potenzial digitale Technologien haben, um nicht nur Tierwohl zu verbessern, sondern auch das Beziehungsgleichgewicht zwischen Haustieren und Menschen zu stärken. Es ist wichtig zu beachten, dass die Wissenschaftler ausdrücklich davor warnen, Videoanrufe ohne sorgfältige Beobachtung und Vorbereitung zu Hause einzuführen.
Die Studie wurde von erfahrenen Papageienhaltern begleitet, die im Umgang mit den individuellen Bedürfnissen und Grenzen ihrer Tiere geschult waren. So konnten negative Reaktionen, wie Stress oder Aggression, frühzeitig erkannt und vermieden werden. Eine unsachgemäße Nutzung könnte sonst ungewollt zu Angst oder destruktivem Verhalten führen. Die innovative Anwendung von Videotelefonie für Tiere schlägt eine Brücke zwischen ihrer natürlichen sozialen Veranlagung und den Herausforderungen moderner Haustierhaltung. Obwohl digitale Kommunikation den direkten physischen Kontakt in freier Natur nicht ersetzen kann, eröffnet diese Methode erstaunliche Möglichkeiten für ein besseres Leben in Gefangenschaft.
Dies ist gerade für Papageien von großer Bedeutung, da sie überdurchschnittlich soziale, empfindliche und intelligente Wesen sind, die ohne soziale Kontakte zu vereinsamen drohen. Darüber hinaus bietet das Konzept auch praktische Vorteile im Umgang mit Gesundheit und Sicherheit. Papageien sind anfällig für Krankheiten wie die avian ganglioneuralitis, die eine persönliche Begegnung und den physischen Austausch mit anderen Vögeln riskant machen können. Videoanrufe ermöglichen es daher, soziale Bedürfnisse zu erfüllen, ohne die Gefahr der Ansteckung einzugehen. Die Zukunft könnte zeigen, dass solche technischen Innovationen auch für andere soziale Tierarten von Nutzen sind, die in Gefangenschaft leben.