Die Vorstellung, dass ein Hochschulabschluss unweigerlich zu einem erfüllten Berufsleben mit guter Bezahlung und Sicherheit führt, gehörte über Jahrzehnte hinweg zu den zentralen Erzählungen unserer Gesellschaft. Junge Menschen wuchsen mit dem Glauben auf, dass Abschlüsse der Schlüssel zu einem besseren Leben sind und arbeiteten hart, um diese vermeintliche Eintrittskarte zu ergattern. Heute jedoch zeigt sich, dass diese Versprechung in weiten Teilen eine Illusion war – eine Haltung, die man getrost als großen gesellschaftlichen Betrug bezeichnen kann. Der Arbeitsmarkt ist stagnierend, Technologien wie Künstliche Intelligenz verdrängen traditionelle Einstiegsjobs, und immer mehr akademische Absolventinnen und Absolventen finden keine adäquate Anstellung. Diese Entwicklung sorgt für Frust, Resignation und wütende Reaktionen unter den Generationen, die ihre Zukunft auf die Jahre in der Hochschule gesetzt haben.
Die Krise junger Absolventen ist das Ergebnis verschiedener Faktoren, die sich gegenseitig verstärken. Zum einen hat die Wirtschaft nach wie vor Schwierigkeiten, genügend qualifizierte und gut bezahlte Stellen für Graduierte zu schaffen. Das gilt insbesondere in Regionen außerhalb der wirtschaftsstarken Metropolen, wo die Lebenshaltungskosten zwar oftmals niedriger sind, die Jobmöglichkeiten für akademisch ausgebildete Fachkräfte jedoch begrenzt bleiben. Das führt dazu, dass viele junge Menschen trotz eines hervorragenden Abschlusses in prekären Jobs landen oder den Wohnort zu ihren Eltern zurückverlegen müssen, um Kosten zu sparen – das sogenannte Boomerang-Phänomen. Zum anderen hat sich der Arbeitsmarkt durch den Einfluss moderner Technologien stark verändert.
Künstliche Intelligenz und Automatisierung nehmen vor allem Routineaufgaben in Einstiegspositionen weg, die traditionell von jungen Berufseinsteigern übernommen wurden. Tätigkeiten wie das Verfassen einfacher Verträge, die Erstellung von standardisierten Berichten oder das Verarbeiten von Daten werden zunehmend von Algorithmen erledigt. Das bedeutet, dass die erste Stufe in der beruflichen Karriereleiter, die einst für praktische Erfahrung und Weiterentwicklung sorgte, schrumpft oder ganz verschwindet. Junge Menschen gelangen daher schwieriger an das notwendige Know-how und die Netzwerke, die für einen erfolgreichen Karriereaufstieg nötig sind. Die Situation wird zusätzlich durch das veränderte Bewerbungsverhalten und den Einsatz von KI in der Rekrutierung erschwert.
Unternehmen setzen häufig auf Bewerbermanagementsysteme und intelligente Filtertools, die Bewerbungen automatisiert begutachten. Dies führt dazu, dass zahlreiche Anträge ungelesen abgelehnt werden oder nur die formal besten Kriterien berücksichtigt werden. Gleichzeitig nehmen Bewerber, um sich nicht zurückzusetzen zu fühlen, immer mehr Anmeldungen automatisiert vor, etwa mittels Chatbots, was die Flut an Bewerbungen noch erhöht. Ein deutlich verschärfter Konkurrenzkampf entsteht, der jungen Menschen das Gefühl vermittelt, reine Maschinen im Bewerbungskarussell zu sein, ohne echte Chance auf individuelle Beachtung. Hinzu kommt, dass Universitäten und Hochschulen in Deutschland zum Teil nicht im gleichen Tempo auf die veränderten Rahmenbedingungen reagieren.
Viele Studiengänge sind nach wie vor stark theorielastig und bieten wenig praktische Erfahrung, die auf die neuen Anforderungen des Arbeitsmarkts vorbereitet. Die Folge ist eine enorme Konkurrenz um wenige attraktive Stellen, wobei schon ein Masterabschluss vielfach zur Voraussetzung erhoben wird. Die Kosten für weiterführendes Studium steigen zudem, sodass der Zugang zu bestimmten Berufen zunehmend von der finanziellen Situation der Familie abhängt und weniger von Talent oder Engagement. Für viele junge Menschen ergibt sich daraus eine bittere Erkenntnis: Der Einsatz von Zeit, Geld und Energie in die eigene akademische Bildung zahlt sich längst nicht mehr so aus wie früher. Die erhoffte finanzielle und gesellschaftliche Sicherheit bleibt aus, und der Traum von festen, langen Beschäftigungsverhältnissen schwächt sich zunehmend ab.
Stattdessen dominiert Unsicherheit die Lebensplanung, verbunden mit dem Gefühl, verschaukelt worden zu sein. Dieses Empfinden äußert sich nicht nur in individuellen Schicksalen, sondern auch in gesellschaftlichem Protest und einer wachsenden Kluft zwischen den Generationen. Die gesamtgesellschaftliche Herausforderung liegt nun darin, die Versäumnisse der Vergangenheit aufzuarbeiten und neue Wege zu entwickeln, die jungen Menschen echte Perspektiven bieten. Dazu gehören beispielsweise die Förderung praxisorientierter Aus- und Weiterbildungsformate, die eng mit Unternehmen und sozialen Akteuren verzahnt sind. Ebenso wichtig sind Programme, die den Zugang zu postgradualen Studiengängen für alle sozioökonomischen Schichten erschwinglich und fair gestalten.
Weiterhin müssen politische Entscheidungen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern, um den Arbeitsmarkt beleben und neue, nachhaltige Jobs schaffen zu können – speziell in Regionen, die heute abgehängt sind. Auch der Umgang mit der Digitalisierung und KI erfordert klare Leitlinien, damit technologische Innovationen als Chance genutzt werden, während gleichzeitig Beschäftigte geschützt und neue Einstiegschancen geschaffen werden. Für junge Absolventinnen und Absolventen ist es entscheidend, sich nicht entmutigen zu lassen, sondern flexibel zu bleiben und den eigenen Weg trotz widriger Umstände aktiv zu gestalten. Neben der Suche nach alternativen beruflichen Feldern und Auslandserfahrungen können auch Netzwerke und lebenslanges Lernen als Schlüssel zum Erfolg dienen. Dabei muss allerdings klar sein, dass der Druck und die Belastung durch die aktuellen Umstände alles andere als gering sind und gesellschaftliche Unterstützung dringend benötigt wird.
Letztendlich zeigt die derzeitige Lage, dass das einstige Glaubensbekenntnis an den Wert eines Hochschulabschlusses als Garant für sozialen Aufstieg und Stabilität heute so nicht mehr stimmt. Es hat sich zu einer großen Illusion entwickelt, die junge Menschen in eine prekäre Lage bringt. Ein ehrlicher Umgang mit den entsprechenden Herausforderungen und eine strategische Neuausrichtung der Berufs- und Bildungspolitik sind unerlässlich, um diese „große Enttäuschung“ zu überwinden und einem neuen Generationenversprechen Raum zu geben – eines, das realistisch ist und an dem sich junge Menschen orientieren können.