Das Wort „Jazz“ ist heute untrennbar mit einer der bedeutendsten Musikrichtungen des 20. Jahrhunderts verbunden, doch seine genaue Herkunft ist überraschend komplex und von zahlreichen Mythen und Fehlannahmen begleitet. Wer sich die Ursprünge des Wortes „Jazz“ genauer anschaut, erkennt schnell, dass sich dahinter keine einfache Geschichte verbirgt, sondern eine Reihe von kulturellen, sprachlichen und sozialen Faktoren, die diese Bezeichnung geprägt haben. Die frühesten belegten Verwendungen des Begriffs „Jazz“ stammen aus dem Jahr 1912, wobei er ursprünglich nicht in direktem Zusammenhang mit Musik stand, sondern vielmehr lebhafte Energie, Schwung und Vitalität bezeichnete. Die Wurzeln des Wortes scheinen auf das englische Slangwort „jasm“ zurückzugehen, das seit der Mitte des 19.
Jahrhunderts für Kraft, Tatendrang und Pep stand. Interessanterweise wird „jasm“ bereits im Jahr 1860 in einem literarischen Kontext verwendet und stand für eine Art inneren Antrieb oder Lebenskraft. Etymologische Untersuchungen zeigen, dass „jasm“ selbst vielleicht aus „gism“ hervorgegangen sein könnte, einem ähnlich lautenden Wort mit vergleichbarer Bedeutung, das sogar noch etwas älter ist. „Gism“ wurde im 19. Jahrhundert sowohl mit Vitalität als auch mit männlicher Potenz assoziiert, was dazu führte, dass es im Slang auch als Bezeichnung für Samen verwendet wurde.
Allerdings ist dies keine direkte historische Verbindung, sondern eher ein Beleg dafür, wie Worte sich im Lauf der Zeit verändern und unterschiedliche Bedeutungen annehmen können. Der Sprung von „jasm“ zum Wort „Jazz“ ist aber nicht einfach direkt nachvollziehbar. Für etymologische Experten wie Professor Gerald Cohen ist es sogar fraglich, ob „jasm“ und „gism“ tatsächlich miteinander verwandt sind, weshalb die Forschung hierzu weiterhin offen bleibt. Was jedoch gesichert ist, ist die Tatsache, dass das Wort „Jazz“ erstmals Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA auftauchte und zunächst mit lebensfrohen, gelegentlich auch zügellosen Aktivitäten in Verbindung gebracht wurde.
Eine besonders prägnante Entdeckung beträgt den 2. April 1912, als der Begriff in der Sportberichterstattung des Los Angeles Times das erste Mal in einer gedruckten Quelle auftauchte. Dort wurde von einem „Jazzball“ gesprochen, der sich durch seine Unvorhersehbarkeit und Beweglichkeit auszeichnete und dadurch für Gegner schwer zu treffen war. Das Wort wurde bereits damals mit exactly dieser Schreibweise „jazz“ verwendet, was die weit verbreitete Annahme widerlegt, dass es ursprünglich mit „jass“ geschrieben wurde - eine oft wiederholte Fehlinterpretation. Der Ursprung des Begriffs im Sport, insbesondere im Baseball, unterstreicht, dass „Jazz“ ursprünglich nicht für Musik stand, sondern eher eine lebhafte, schwungvolle Qualität beschrieb.
Erst einige Jahre später begann die Umdeutung des Wortes in Richtung eines neuen Musikstils, als die Bezeichnung ab etwa 1915 zunehmend in kulturellen Kontexten auftauchte, die mit Tanzmusik und einem frischen Sound verbunden waren. Der Einsatz von „Jazz“ zur Beschreibung von Musik wurde zuerst in Chicago dokumentiert, einer Stadt, die damals ein bedeutendes kulturelles Zentrum darstellte. Dort wurde das Wort genutzt, um eine Musik zu benennen, die sich von traditionellen Stilen unterschieden hatte und charakteristisch durch Improvisation, Rhythmus und eine lebendige Atmosphäre geprägt war. Ende der 1910er Jahre gewann „Jazz“ rasch an Popularität, auch befördert durch Aufnahmen und Stücke, die die neue Musik unter diesem Namen vermarkteten. Das erste bekannte Musikstück mit „Jazz“ im Titel stammt aus dem Jahr 1916.
Arthur Collins und Byron Harlan, ein populäres Duo der damaligen Zeit, veröffentlichten „That Funny Jas Band from Dixieland“. In diesem Lied wurde der Begriff zwar noch als „Jas“ geschrieben, doch die Verwendung war eindeutig musikalisch. Interessanterweise enthielt das Stück auch eine humorvolle Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Wortes, was zeigt, dass das Wort damals noch nicht fest etabliert und weitgehend verbreitet war. Trotz der frühen Verwendung wurde „Jazz“ allerdings erst im Lauf der 1920er Jahre zu einer internationalen Bezeichnung für diese neue Musikform. Der Begriff wurde zunehmend von der weißen Bevölkerung übernommen, die nicht die Erfinder des Stils waren, aber maßgeblich für die Verbreitung des Namens verantwortlich sind.
Diese historische Tatsache wird durch Aussagen von Musikern wie Duke Ellington, Max Roach und Sidney Bechet bestätigt, die betonten, dass der Name „Jazz“ eher von weißen Leuten geprägt wurde, während afroamerikanische Musiker ihre Musik häufig noch als eine Weiterentwicklung von Ragtime bezeichneten. Diese Tatsache führte zu einem Spannungsverhältnis zwischen den Musiker-Communities und der Öffentlichkeit. Für viele schwarze Musiker war das Wort „Jazz“ zunächst mit Stigmatisierungen und Vorurteilen behaftet, weil es durch seine Verbindung zu unsittlichen und anrüchigen Vorstellungen nicht immer respektiert wurde. Erst mit der Zeit, insbesondere durch die zunehmende Anerkennung und Etablierung des Jazz als ernsthafte Kunstform, änderte sich diese Wahrnehmung maßgeblich. Heute hat sich das Wort „Jazz“ längst etabliert und bezeichnet eine ganze Bandbreite musikalischer Ausdrucksformen – von klassischem Swing und Bebop bis hin zu modernen, experimentellen Stilen.
Doch die Debatte um den Begriff ist keineswegs abgeschlossen. Zeitgenössische Musiker und Kritiker wie Nicholas Payton argumentieren, dass der Begriff „Jazz“ manchmal zu eng gefasst sei und nicht alle musikalischen Innovationen ausreichend abdecke. Payton schlägt vor, Musik unter dem Begriff Black American Music (BAM) zusammenzufassen, was allerdings zu breit und unspezifisch ist, da dieser Begriff auch andere Genres einschließt. Auch Christian Scott aTunde Adjuah, ein innovativer Jazztrompeter aus New Orleans, kritisiert die Begrenztheit des Wortes und spricht von „Stretch Music“, um eine künstlerische Freiheit zu schaffen, die über traditionelle Jazz-Definitionen hinausgeht. Diese Diskussion zeigt, dass der Begriff „Jazz“ nicht nur historisch interessant ist, sondern auch Gegenstand aktueller Überlegungen zur Identität und Weiterentwicklung der Musik bleibt.
Nicht zuletzt ist die Herkunft des Wortes ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Sprache lebendig ist und sich über Jahrzehnte und Kulturen hinweg entwickelt. Viele populäre Legenden der letzten hundert Jahre, die auf afrikanische, französische oder sogar mystische Ursprünge hinweisen, sind durch wissenschaftliche Untersuchungen entkräftet worden. Die wahre Geschichte ist viel nüchterner und doch faszinierender: „Jazz“ entstand als amerikanischer Slang, der Energie und Lebendigkeit ausdrückte und dann auf eine neue musikalische Ausdrucksform übertragen wurde, die die Musikwelt nachhaltig verändern sollte. Die Erforschung der Herkunft des Wortes „Jazz“ zeigt auch, wie bedeutend genaue etymologische Forschung ist, um kulturelle Missverständnisse und falsche Mythen zu vermeiden. Ohne die akribische Arbeit von Linguisten, Historikern und Musikwissenschaftlern wäre viel von diesem Verständnis unzugänglich geblieben.
Die Geschichte des Jazz ist deshalb knapp gesagt nicht nur eine Geschichte der Musik, sondern auch eine Geschichte der Sprache, der Kultur und der gesellschaftlichen Dynamiken in den Vereinigten Staaten des frühen 20. Jahrhunderts. Im Rückblick lässt sich festhalten, dass „Jazz“ über mehr als ein Jahrhundert hinweg eine bemerkenswerte Reise hinter sich hat – als Wort, als Ausdruck und als Musik. Es repräsentiert mehr als nur einen Stil; es ist ein Symbol für kulturellen Austausch, Innovation und die Lebendigkeit menschlicher Kreativität. Das Wort hat seine Wurzeln in einem amerikanischen Slang, wurde durch weiße Sport-Journalisten bekannt, später von afroamerikanischen Musikern mit Leben gefüllt und schließlich weltweit zu einem Begriff von hoher Bedeutung.
Die Musiklandschaft und auch die Gesellschaft insgesamt werden sich weiterentwickeln, und damit auch das Verständnis und die Bedeutung der Begriffe, mit denen wir sie benennen. Die Reise des Wortes „Jazz“ ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie Sprache und Kultur einander bedingen und voneinander profitieren. Für alle, die sich für Musik und Sprache interessieren, bleibt die Spurensuche nach dem Ursprung des Wortes „Jazz“ eine spannende und bereichernde Geschichte, die noch viele Facetten und Fragen bereithält, die es zu entdecken gilt.