Der japanische Automobilhersteller Nissan befindet sich an einem entscheidenden Wendepunkt. Die Herausforderungen haben in den letzten Jahren stetig zugenommen, und trotz eines umfassenden Sanierungsprogramms sowie einer neuen Führung steht das Unternehmen weiterhin vor enormen Hürden. Neue strategische Entscheidungen unter der Leitung des neuen CEO Ivan Espinosa zielen darauf ab, durch harte Einschnitte und Restrukturierungsmaßnahmen das Unternehmen zu stabilisieren. Doch Analysten sind skeptisch, ob Nissan damit tatsächlich die lang erwartete Wende im Absatz schaffen kann. Die anhaltenden Verkaufsrückgänge belasten Nissan stark.
Seit dem Geschäftsjahr 2017 sind die Absatzzahlen um ganze 42 Prozent eingebrochen. Besonders dramatisch ist die Situation in China, dem bislang größten Markt des Herstellers, wo die Verkäufe in diesem Jahr voraussichtlich um 18 Prozent zurückgehen werden. Parallel dazu bleiben die Verkaufszahlen in Nordamerika und Japan nahezu unverändert, konnten also das Absinken in China bisher nicht kompensieren. Diese Entwicklung wird durch verschiedene externe Faktoren verschärft, wie etwa hohe neue Einfuhrzölle in den USA und den intensiven Wettbewerb im globalen Automobilmarkt. Ein wesentlicher Kritikpunkt von Experten sind die veralteten Produktlinien von Nissan.
Im Vergleich zu Wettbewerbern aus Japan und China fehlt es dem Hersteller an attraktiven, modernen Modellen, speziell im Bereich der umweltfreundlichen Fahrzeuge. Während viele Konkurrenten verstärkt auf Hybrid- und Elektroautos setzen, gelingt es Nissan bislang nur begrenzt, mit eigenen batterieelektrischen Fahrzeugen (BEVs) und Hybridfahrzeugen Markanteile zu gewinnen. Das Fehlen einer vielfältigen und erfolgreichen Hybridflotte führt zu einer geringeren Verbrauchernachfrage, insbesondere in den USA, die nach wie vor der wichtigste Absatzmarkt für Nissan sind. Die angestrebte Produktoffensive unter der Leitung von Espinosa setzt daher auf die Einführung neuer, zeitnah entwickelter Modelle, die speziell auf den US-Markt zugeschnitten sind. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf Crossover- und SUV-Modellen, die derzeit besonders gefragt sind.
Dabei soll die Entwicklung deutlich beschleunigt werden, um schneller auf Marktveränderungen reagieren zu können. Zudem sollen elektrische und hybridbetriebene Varianten bestehender Bestseller auf den Markt kommen, beispielsweise eine Plug-in-Hybrid-Version des Rogue SUV, die gemeinsam mit Mitsubishi Motors entwickelt wird. Geplant ist ebenso die Einführung einer weiteren Hybridvariante mit der sogenannten e-Power-Technologie. Trotz dieser strategischen Neuausrichtung bleibt die Skepsis groß. Experten wie Julie Boote vom Forschungsunternehmen Pelham Smithers Associates weisen darauf hin, dass Plug-in-Hybride bislang nicht das gleiche Absatzpotential besitzen wie reine Hybride oder reine Elektrofahrzeuge.
Der Übergang zu umweltfreundlicheren Antrieben ist für Nissan also ein Balanceakt, da er mit hohen Investitionskosten verbunden ist, während der Markt aktuell noch nicht klar zwischen den verschiedenen Technologien entschieden scheint. Neben den Herausforderungen im Produktportfolio spielen auch wirtschaftliche Faktoren eine entscheidende Rolle. Die neuen US-Zölle auf importierte Fahrzeuge und Fahrzeugteile erhöhen Nissans Produktionskosten im wichtigsten Markt zusätzlich. Das Unternehmen könnte gezwungen sein, die Verkaufspreise zu erhöhen, was die Attraktivität der Modelle beeinträchtigen und den ohnehin harten Wettbewerb verschärfen könnte. In Kombination mit stagnierenden Absätzen und der Notwendigkeit, die Gewinnmargen zu stabilisieren, erhöht sich der Druck auf das Management erheblich.
Um dem entgegenzuwirken kündigte Nissan an, dass weitere 11.000 Stellen gestrichen und sieben Produktionsanlagen geschlossen werden sollen. Diese rigorosen Einsparungen sind Teil eines umfassenden Restrukturierungsplans, der den Personalbestand auf ein nachhaltigeres Niveau bringen und gleichzeitig die Produktionskapazitäten gezielt auf profitablere Standorte konzentrieren soll. Gleichzeitig versucht der Hersteller, durch Digitalisierung und effizientere Produktionsmethoden Kosten zu senken und flexibler auf Marktnachfragen reagieren zu können. Dennoch ist klar, dass Kostensenkungen allein nicht ausreichen werden, um Nissan dauerhaft aus der Krise zu führen.
Ivan Espinosa betont, dass die Wiederbelebung der Verkaufszahlen vor allem von starken, attraktiven Produktneuheiten getragen werden muss. Die Herausforderung wird darin bestehen, diese Innovationen schnell und erfolgreich auf den Markt zu bringen, ohne die Qualität zu beeinträchtigen und gleichzeitig mit den aggressive Wettbewerbern mitzuhalten. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob Nissan es schafft, die Balance zwischen Restrukturierung und Innovation zu meistern. Die Chancen stehen angesichts der Wettbewerbslage im globalen Automobilsektor und der besonders dynamischen Entwicklung im Bereich der Elektromobilität zwar nicht schlecht, gleichzeitig ist der Druck auf das Unternehmen jedoch so hoch wie seit Langem nicht mehr. Für Kunden, Investoren und Beobachter bleibt daher spannend, wie sich einer der Traditionshersteller aus Japan unter der neuen Führung positionieren wird.
Während die Konkurrenz aus China und anderen aufstrebenden Märkten ihre Marktanteile kräftig ausbaut und technische Fortschritte bei Elektro- und Hybridfahrzeugen erzielt, darf Nissan keine Zeit verlieren. Die Transformation hin zu einem wettbewerbsfähigen Unternehmen mit einem attraktiven, zukunftsfähigen Produktportfolio ist nicht zuletzt eine Frage des Überlebens im zunehmend umkämpften globalen Autosektor. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Nissan zwar mit großem Nachdruck Kosteneinsparungen und Restrukturierungen verfolgt, um die finanzielle Stabilität zu sichern. Die eigentliche Wende hin zu wachsendem Absatz und gesteigerter Marktattraktivität erfordert jedoch vor allem innovative Produktentwicklung, die sich schnell und effektiv im Markt durchsetzen kann. Nur so kann der längste Abschwung in der Firmengeschichte gestoppt werden, und ein nachhaltiger Wachstumskurs ermöglicht werden.
Nissan steht vor einer entscheidenden Aufgabe, deren Ergebnis weitreichende Folgen für die Automobilbranche und die Positionierung japanischer Hersteller im internationalen Wettbewerb haben wird.